US-Wahlnacht in Berlin - "Es ist eine so große Enttäuschung für mein Land. Es ist wie ein Albtraum."
Die US-Wahl wurde auch in Berlin gespannt verfolgt – und gefeiert. In der ganzen Stadt haben sich in der Nacht Politik, Wirtschaft, Kultur, Amerikaner und sonstiges Partyvolk getroffen. rbb|24 war dabei.
0:30 Uhr in der Landesvertretung Baden-Württemberg
Ausgezählt ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Die ersten Wahllokale in Georgia (Swing State), Indiana, Kentucky, South Carolina, Vermont und Virginia schließen erst in 30 Minuten. Letzter Staat: Alaska um 7 Uhr Berlin-Brandenburger Zeit.
Muffins, vegetarische Maultauschen, Trump-Aufsteller
Das Aspen Institut – eine US-amerikanische "Denkfabrik" – hat in die Landesvertretung Baden-Württembergs am Tiergarten eingeladen. Rund 1.200 Menschen sollen hier sein. Kurz vor 23 Uhr kommt eine Mail: "Bitte erstmal nicht mehr kommen. Wir sind voll." Vorherrschende Kleidung: Sakko, schickes Kleid. Peek & Cloppenburg statt H&M. Hier wird deutlich mehr Deutsch als Englisch geredet. Es gibt Sekt und – wir sind in der Vertretung Baden-Württemberg – Tannenzäpfle. Der Ausschank dauert relativ lang für eine Party.
Die Zeit kann man sich aber mit bunten Donuts, Brezeln oder Muffins eines deutschen Discounters vertreiben. Für den größeren Hunger gibt’s – wir sind immer noch in BaWü – vegetarische Maultauschen. Die Mutigen trauen sich, mit Pappaufstellern von Donald Trump fotografieren zu lassen. Der Griff nach Kamala Harris geht deutlich leichter von der Hand. CNN scheint Medienpartner zu sein, auf übergroßen Screens laufen die vertrauten Gesichter von Anderson Cooper, Dana Bash oder Kate Bolduan (wer sich noch an die lange Auszählung 2016 erinnert – das sind die Leute, die wir damals häufiger gesehen haben als unsere Lebenspartner). Davor spielt eine ziemlich gute Jazzband.
Hofreiter, Klöckner, Staatssekretärin im AA
Auch die Politik treibt sich hier herum: Anton Hofreiter (Grüne) ist zu sehen, außerdem Julia Klöckner (CDU), oder der Berliner Ex-Senator Thomas Heilmann (CDU). Auf der Bühne in einem Innenraum spricht unter anderem Katja Keul, Grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
Was glauben die Leute, wer gewinnt? Harris. Harris. Trump (aber Wunsch Harris). Trump. Harris (aber skeptisch, ob das klappt). Manch einer versteht, warum die Amerikaner Trump wählen. Knapp wird es allemal.
Ella Streng ist 23 Jahre alt und Amerikanerin, sie studiert an der FU. "Ich denke, dass ich hier einen neutraleren Blick haben kann. Weil die Dinge für Amerikaner so persönlich sind. Ich finde es wirklich wertvoll, die USA aus deutscher und europäischer Perspektive kennenzulernen, weil ich das Gefühl habe, eine umfassende und weniger voreingenommene Sicht auf die amerikanische Geschichte und Politik zu erhalten."
Über 21.000 US-Bürger in der Region
Felipe Valdez, 41 Jahre alt, ist vor sechs Jahren nach Berlin gekommen, um für ein Startup zu arbeiten. Er hat via Briefwahl seine Stimme für Kamala Harris abgeben. Seine Mutter kommt aus Kolumbien, die Großeltern des Vaters aus Mexiko. Warum viele Amerikaner mit Migrationsgeschichte Donald Trump wählen, kann er nicht nachvollziehen. "Es ist ein heikles Thema, aber die Schaffung eines Weges für hart arbeitende Einwanderer, die illegal in die USA gekommen sind, aber einfach nur ein besseres Leben für sich und ihre Familie wollen, ist definitiv etwas, das ich unterstütze. Auch aus humanitärer Sicht."
Mehr als 21.000 US-Bürger wohnen in Berlin und Brandenburg. 20.110 leben nach Angaben des Statistischen Landesamts in der Hauptstadt, 18.636 von ihnen sind 18 Jahre und damit wahlberechtigt (Stand 12/23). In Brandenburg wohnen 1.378 US-Amerikaner, 1.245 davon durften an der Wahl teilnehmen.
02:20 Uhr. Die ersten Staaten sind ausgezählt. Laut CNN gewinnt Trump in Kentucky und im Swing State Georgia. Harris in Vermont oder Deleware. Trump führt mit 95 Wahlleuten, Harris hat 35. Wer 270 Wahlleute holt, wird Präsident:in. Aber die Nacht ist lang. Auf zum nächsten Ort.
3:45 Uhr Babylon Berlin
Eigentlich laufen hier tagsüber Filme wie "Der Himmel über Berlin", "A guardia di una fede" oder "Metropolis". Doch in dieser Nacht haben sie MSNBC auf die Leinwand im im Berliner Kino Babylon geworfen. Die "Democrats abroad" veranstalten hier ihre Wahlparty. Im Foyer grüßen Kamala Harris und Vize Tim Walz aus Pappe.
Gegen 4 Uhr läuft der Film: "Too close to call". In vielen Staaten ist es zu knapp, um die Wahlmänner an Donald Trump oder Kamala Harris zu geben. Laut New York Times hat Trump gerade knapp "70 percent chance of winning". Doch die Frauen am Counter sagen: "Zu früh, das schon abzuschenken. Ist alles drin."
Der Kinosaal ist luftig gefüllt. Auf rund 40 Plätzen lümmeln Körper. Es ist duster. Es riecht nach süßem und salzigen Popcorn in Kombination mit einem deutlichen Bieraroma. Wie nach einem Actionfilm liegen Popcorn und Flaschen an den Sitzen. Ab und zu brandet Jubel auf, wenn ein Demokrat eine Umfrage für sich entscheiden konnte (um Senat und Repräsentantenhaus geht’s heute Nacht auch).
Wie ist die Stimmung? Scott und Bruce sind schon einigermaßen angezündet und halten noch ein volles Bier in ihren Händen. Beide kommen aus Texas und wohnen seit knapp drei Jahren in Berlin. Scott macht es wütend, dass Menschen ihre Stimme nicht nutzen. "Wenn Trump gewinnt: Wir sind hier in Sicherheit. Aber in den USA kann alles passieren" und erinnert an das Waffengesetz, das einem erlaube, Waffen zu tragen, die sonst nur das Militär tragen sollte. Am meisten Angst mache ihnen, dass die ganzen Lügengeschichten nicht aufhören - und Trump dennoch so weit komme.
Albert studiert seit neuestem Geschichte und Politik in Berlin. "Eine zweite Trump-Präsidentschaft wäre auch für Europa gefährlich. Bei der ersten war er nicht vorbereitet. Jetzt schon. Die Auswirkungen wären wohl drastischer." John ist Kanadier. "Ich hoffe, dass Harris gewinnt, aber mein Bauch sagt mir, dass es Trump wird." Markus aus München ist gegen 5:00 Uhr auch nicht mehr zuversichtlich. "Die Hoffnung schwindet."
Ein Mann aus den USA sagt: "Alles steht auf dem Spiel, wenn Trump gewinnt. Das gefährdet die Demokratie." Sarah am Empfang ist "müde, aber noch optimistisch". Klar, im Moment sei die Karte noch "rot", aber die blaue Welle komme noch.
Madison aus Maryland freut sich, dass Harris ihren Bundesstaat gewonnen hat und dass das Recht auf Abtreibung nun in der Verfassung stehe. "Und jetzt versuche ich auch für die Gesamtwahl optimistisch zu sein." Auch Eric benutzt mehrfach das Wort "optimistisch". Und überhaupt schwebt hier bei den Demokraten im Babylon durchaus noch Optimismus und Hoffnung durch die Hallen. Volle Zuversicht aber nicht mehr - nicht um 5:00 Uhr. Aber Cameron, stellvertretender Vorsitzender der Democrats, gibt nicht auf: "Die westlichen Staaten kommen noch."
Im Foyer quatschen fünf, sechs Leute miteinander in tiefstem amerikanischen Slang. Der Ess- und Getränkecounter hat offen. Es wird fleißig Bier, Wein und salziges Popcorn herausgegeben. Immer wieder gehen Leute, doch es kommen auch immer wieder neue.
Trumps "chance of winning" gibt die New York Times um 5:40 Uhr mit 89 Prozent an.
Blaue und rote Demokratenballons platzen. Das Babylon schließt.
07:05 Uhr Café Plume in Neukölln
Laut CNN und New York Times scheint der Sieg von Trump sicher, gerade hat er Swing State Georgia geholt und Harris wiederum ihren Auftritt bei den Demokraten abgesagt.
In der Bar riecht es nach frischen Franzbrötchen aus dem Ofen und Espresso, der pur, aber auch im Espresso Martini verabreicht wird. Exakt zehn Menschen verfolgen hier die CNN-Wahlsendung. Warum gucken die das um diese Uhrzeit noch? Und wie ist die Stimmung – in drei Worten?
Hartley: "Not so good."
Krista: "Enttäuscht. Traurig. Hoffnungslos." Sie kommt aus den USA und konnte eh nicht schlafen. "Es ist eine so große Enttäuschung für mein Land. Es ist wie ein Albtraum."
Ibrahim: "Hin und her gerissen. Traurig." Was in den USA passiert, tangiere die ganze Welt.
Tommy: "Überrascht. Traurig. Gespannt." Die Nacht hat er sich für und mit einem US-amerikanischen Freund um die Ohren geschlagen.
Indra: "Sprachlos. Ich bin nicht sehr schockiert, aber enttäuscht. Ich bin noch nicht bereit zu akzeptieren, was in den nächsten Jahren kommt."
Ein Gast fragt: "Kann ich noch zwei kleine Bier haben, bitte?"
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.11.2024, 7:50 Uhr