Kino International wird 60 - Hommage an eine Ikone der Kinokultur

Mo 13.11.23 | 06:10 Uhr | Von Knut Elstermann
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Das Kino International in der Karl-Marx-Allee während der Berlinale 2022. (Quelle.
Video: rbb24 Abendschau | 13.11.2023 | Nachrichten | Bild: Picture Alliance/CHROMORANGE/Karl-Heinz Spremberg

Stahlbeton und elegantes Interieur: Das International hat Flair. Bevor das frühere DDR-Premierenkino eine Sanierungspause einlegt, feiert es 60. Geburtstag. rbb-Filmkritiker Knut Elstermann über ein architektonisches Juwel mit Erinnerungswert.

Es war immer eines meiner Lieblingskinos: das International im neueren Teil der Karl-Marx-Allee, ein schwungvoller, weißer Stahlbetonbau mit gemauertem Sockel und dezenten, optimistischen Flachreliefs an den Seiten.

Zusammen mit dem dahinter liegenden himmelblauen Quader des Hotels Berolina bildete es ein Ensemble der DDR-Moderne, ein Symbol der Aufbruchszeit in den frühen 1960er Jahren. Auch wenn sich der frische Wind bald legte und die Hoffnungen auf einen menschlicheren Sozialismus schnell endeten, blieb dieser kühne architektonische Ausdruck einer neuen Zeit immer eindrucksvoll. Er stand im bewussten Gegensatz zum nahegelegenen alten Teil der Ostberliner Prachtmeile im stalinistischen Zuckerbäcker-Stil. Das Hotel wurde inzwischen abgerissen, aber durch einen sehr ähnlichen Neubau ersetzt, das Rathaus Mitte. Dadurch ist die Einheit des Ensembles noch heute erfahrbar – ein leider sehr seltener, pfleglicher Umgang mit dem gebauten DDR-Erbe in Berlin.

zur person

Knut Elstermann im Berlinale-Studio (Bild: rbb)
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Knut Elstermann ...

... alias "Kino King Knut", Jahrgang 1960, wuchs im Prenzlauer Berg auf, eine halbe Stunde Fußweg entfernt vom Kino International. Der Filmkritiker, Autor, Moderator und Regisseur arbeitet für den rbb und andere Medien. Seit 1997 läuft samstags bei Radioeins seine Sendung "12 Uhr mittags – Das Filmmagazin".

Ein Filmpalast, der durch Eleganz besticht

Das International war damals ein multifunktionaler Bau. Im Jugendklub gab es Konzerte, Disco, Lesungen und Diskussionen. Durch einen Seiteneingang gelangte man zur Bertolt-Brecht-Bibliothek, wo auch ich mir Kinderbücher auslieh. Seinen Glanz erhielt dieses DDR-Premierenkino durch die Schönheit seiner geschlossenen architektonischen Gestaltung: Jedes Detail, die Türen und Griffe, die am Bauhaus orientierten Tische und Sessel im Foyer, die edlen Holzvertäfelungen waren aufeinander abgestimmt. Architekt Josef Kaiser, von dem auch das ehemalige Kino Kosmos und das abgerissene DDR-Außenministerium stammen, schuf hier sein Meisterwerk: einen Filmpalast, der nicht durch Prunk und Protz besticht, sondern durch Eleganz. Die riesigen Fenster im Foyer lassen die Stadtlandschaft vor dem Kino selbst wie eine filmische Inszenierung erscheinen. Auch dieses Zusammenspiel von Innen und Außen, diese Transparenz des Hauses gehören zu den einmaligen, schöpferischen Leistungen Kaisers.

Die Wellen der Decke im Saal leiten die Aufmerksamkeit zur Leinwand, vor der bei besonderen Anlässen ein heller Vorhang mit glitzernden Streifen hing, den es noch heute gibt. Bei den Sonntagsmatinees liefen so herrliche Kostümschinken wie "Der Untergang der Römischen Reiches" oder "El Cid". Ich liebte als junger Kinofan das einstimmende Lichtspiel auf diesem Vorhang. Große Scheinwerfer-Kreise in wechselnden Farben, schlicht, aber wirkungsvoll.

Filme und Frisörwettbewerbe

Nach drei Jahren Bauzeit war das International am 15. November 1963 eröffnet worden. Es wurde bald zu einem der beliebtesten Kinos der Stadt, auch Ort von Bällen und Veranstaltungen aller Art wie Frisörwettbewerben oder Modeschauen. Festliche Premieren fanden hier statt und im regulären Programm sah ich neben Filmen der DEFA und Produktionen aus den sozialistischen Ländern auch große internationale Hits wie "Cabaret" oder "Jenseits von Afrika".

Heute wechselt das Kinoprogramm am Donnerstag, in der DDR war es am Freitag. Nach der Schule wollte ich freitags immer dabei sein, wenn das neue Kinoplakat in mehreren großen Teilen an Seilen zur Fassade des International emporgezogen und in den Rahmen eingefügt wurde. Dieses Schauspiel bietet sich auch heute, denn glücklicherweise pflegt das International als eines der wenigen deutschen Kinos noch diese schöne, alte Tradition des handgemalten Filmtransparents.

Mauerfall und die Premiere von "Coming Out"

Das International, diese Ikone der Kinoarchitektur, hat selbst Filmgeschichte geschrieben. Am 9. November 1989 hatte hier der erste Schwulen-Film der Defa, "Coming Out" von Heiner Carow, seine Premiere. Als die Gäste aus dem Kino kamen, war die Mauer gefallen und die Welt plötzlich eine andere geworden. Alle fünf Jahre feiern wir im International dieses historische Datum. Die Darsteller und Darstellerinnen wie Matthias Freihof, Dirk Kummer und Dagmar Manzel versuchen immer, dabei zu sein. Für mich als Moderator ist es besonders bewegend, viele der Premierengäste von damals begrüßen zu dürfen. Manche besitzen noch die Eintrittskarten und Programmhefte und berichten, wie aufgewühlt sie damals waren, wie sehr sie der Film ermutigt und die queere Bewegung in der untergehenden DDR bestärkt hat. Auch diese Tradition wird im International bis heute gepflegt mit der fest etablierten Filmreihe "Mongay", die es bereits seit 25 Jahren gibt.

"Spur der Steine" und eine denkwürdige Begegnung

Nur wenige Wochen nach der legendären Premiere von "Coming Out" wurde das International wieder zum Symbolort eines tiefen Wandels. Am 23. November 1989 erlebte hier Frank Beyers seit 1966 verbotener Film "Spur der Steine" seine Wiederaufführung – mit dem merkwürdigen Zusammentreffen des damaligen SED-Chefs Egon Krenz und des in den Westen ausgereisten Hauptdarstellers Manfred Krug. Später konnte ich im Foyer des International zum ersten Mal den großen Defa-Regisseur Frank Beyer interviewen. Auch nach so vielen Jahren spürte ich seinen Schmerz darüber, dass sein mutiger, aufrichtiger und kraftvoller Film in der DDR um seine Wirkung gebracht worden war.

60 Jahre Kino International

Kinoleben mit Respekt vor der Geschichte

Der Wert des International wurde schon früh erkannt. Bereits 1990 kam das Kino auf die Denkmalschutz-Liste, was seinen Erhalt dauerhaft sicherte. Der Yorck-Gruppe, die das Traditionshaus 1992 übernahm, gelingt es seither, ein lebendiges Kinoleben mit Respekt vor der großen Geschichte zu verbinden. Das war und ist mit einem Ein-Saal-Kino im Zeitalter der Multiplexe keine leichte Herausforderung. Sicher nicht zufällig waren es Filme über die DDR wie "Das Leben der Anderen" und "Good Bye, Lenin!", die hier zu den großen Kinoerfolgen der Nachwende-Zeit wurden.

Nach der Berlinale 2024 werden wir allerdings lange ohne das International auskommen müssen. Eine umfangreiche Sanierung steht an, bei der unter anderem das Dach und das Parkett im Foyer erneuert werden und die veraltete technische Infrastruktur wie Heizung und Belüftung ersetzt wird. Diese Arbeiten sollen mindestens zwei Jahre dauern und sind mit dem Denkmalschutz genau abgestimmt. Alle sichtbaren Oberflächen, vor allem die warmen Farben der Holzvertäfelungen, die lichten Töne des Eingangsbereichs und der Treppenhäuser, sollen behutsam restauriert werden. Danach kann das International weiterhin als eine wunderbar gebaute, freundliche Einladung zum Filmeschauen im Herzen der Stadt stehen.

Sendung: rbb24 Abenschau, 10.11.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Knut Elstermann

13 Kommentare

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  1. 13.

    Das schönste Kino Berlins, gut dass es restauriert wird. Was ist denn eigentlich aus dem Tarifkonflikt bei den Yorck Kinos geworden?

  2. 12.

    In diesem Kino wurden ja nicht nur Filme gezeigt, es wurden auch tolle Lesungen und Buchvorstellungen veranstaltet.
    Es war jedesmal ein Erlebnis.

    HOFFENTLICH bleibt nach der Renovierung noch der alte Charme erhalten.

  3. 11.

    Das schönste Kino der Stadt. Mit Abstand.

  4. 10.

    Jeder Besuch verleidet durch die heftig motzenden Kartenverkäuferinnen am Eingang. Wir waren jedesmal desillusioniert und enttäuscht.

  5. 9.

    Es hilft sicher in der DDR aufgewachsen zu sein, wenn man ihre Architektur schön finden will. Das scheint ja auch umgekehrt so zu sein. Das ästhetische Empfinden von Menschen mit DDR-Sozialisation ist häufig ein ganz anderes als das von Menschen mit West-Prägung. Wichtiger erscheint mir aber noch folgende Anwerkung zur Überschrift: Vielleicht handelt es sich hier um eine Ikone der DDR-Vorzeigekultur, aber eine freie Kinokultur kann sich in einem unfreien Staat naturgemäß nicht entfalten.

  6. 8.

    Wieviele von den hier feiernden Helden war in den letzten 12 Monaten im International?

  7. 7.

    Glückwunsch altes Haus! Du Ikone der 60er Jahre Architektur.
    Immer wenn ich dieses Kino im Vorbeifahren von der Seite sehe, denke ich an einen Projektorstrahl, der nach oben hin den Film auf die Leinwand projiziert. Die große Fensterfront im modernen Cinemascope-Format schwebt als Leinwand hoch über dem Alltag.

  8. 6.

    Toller Artikel. Ich kann mich noch erinnern, wie mein Bruder dort 1977 Jugendweihe hatte. Ich war 6 und durfte lange aufbleiben…

  9. 5.

    Rbb, danke für diesen Beitrag. Selten so warmherzig, informativ und amüsiert, mit liebevoll Nostalgie verbunden, ..... kommt unheimlich gut rüber. Tut gut am zu lesen. Danke. Kommt aus dem Herzen einer ollen Kinoeule.

  10. 4.

    Lieber Knut, mit großer Freude habe ich deinen jüngsten Artikel gelesen. Wie immer sehr gut, ausgezeichnet! Uns verbinden viele Erinnerungen an das International, sicher ein Höhepunkt war die Premiere von "Coming out", die Eintrittskarte habe ich, du erinnerst dich, noch immer. Hoffentlich werde ich das renommierte International noch erleben.

  11. 3.

    Ich war am 9 November mit Freunden zur Premiere des Film Comming Out dabei. Tatsächlich ereilte uns auch der Mauerfall zur später Stunde während der Feierlichkeiten als große Mitteilung.

  12. 2.

    Ostalgie läuft, egal ob S-Bahn oder Kino.

  13. 1.

    Wir haben es nach der Wende kennen- und liebengelernt.
    Ein tolles Kino!!

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