Interview | Alexander Scheer über David Bowie - "Wenn es eine Berlin-Hymne gibt, dann ist es 'Heroes'"

Fr 21.03.25 | 13:00 Uhr
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BERLINER ENSEMBLE: "Heroes" Alexander Scheer singt David Bowie (Quelle: BE/Just Loomis)
BE/Just Loomis
Bild: BE/Just Loomis

Der Schauspieler Alexander Scheer verneigt sich mit einem eigenen Programm auf der Bühne des Berliner Ensembles vor David Bowie. Ein Ort, der auch den Musiker während seiner Zeit in Berlin immer wieder angezogen hat.

rbb: Herr Scheer, warum fasziniert Sie Bowie so und woher nehmen Sie den Antrieb, so ein Programm auf die Beine zu stellen?

Alexander Scheer: Vielleicht weil Bowie 1976 nach Schöneberg gezogen ist und das Ganze nun fast 50 Jahre her ist. Aber auch wegen Bowie selbst. Ich finde ihn immer faszinierender. Er brachte den Mut auf zu sagen: "Ich bin zwar in der Popmusik gelandet, bin aber eigentlich Künstler" und traute sich immer wieder, neue Wege zu gehen. Sein Motto schien zu sein: Veränderung ist die einzige Konstante im Leben.

Damit kann ich total viel anfangen. Wenn man sich mal anschaut, was er in fünf Jahren für Platten veröffentlicht hat - von queerem Rock'n Roll, über schwarzen Funk bis hin zu deutscher Elektronik. Da kommt man nicht darauf, dass das derselbe Typ ist. Und es ist ihm egal, wie die Plattenfirma damit umgeht, ob sie das verkauft bekommen. Er tut die Dinge, weil sie ihm gefallen. Das ringt mir persönlich großen Respekt ab.

Wann haben Sie ihn für sich entdeckt?

Na ja, ich war ja zweimal 14, einmal im Osten, einmal im Westen. 1990 passierte ja so viel. Wir hatten wahnsinnig viel nachzuholen. Ich kannte "Heroes" und "Let's Dance" aus dem Radio. Als meine Bibliothek Bücher und Platten auch aus dem Westen hatte, habe ich mir mal eine Bowie-Platte ausgeliehen. Leider war es "Tonight" von 1984, die schlechteste. Ich war aber tatsächlich mal auf einem Bowie-Konzert in der Deutschlandhalle. Wir sind zu dritt hingefahren, denn ich wusste, wie man umsonst reinkommt. Wir fanden den Sound mies, kannten die Songs nicht und sind nach drei Stücken wieder abgehauen. Natürlich selten dämlich in der Rückschau.

Zur Person

Alexander Scheer (1976 in Ost-Berlin geboren) zählt heute zu den wandlungsfähigsten Schauspielern seiner Generation. Für den Film "Sonnenallee" 1999 entdeckt, führte ihn sein Werdegang über alle großen Bühnen des Landes. Ihn Berlin prägte er insbesondere die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz der Ära Castorf entscheidend mit. Auch im Film ist Scheer erfolgreich. Für die Verkörperung von Gerhard Gundermann gewann er 2019 den Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller. In diesem Jahr ist er gleich mit zwei Filmen nominiert.

Welche Bedeutung hat der Song "Heroes" für Sie? Und welche Verbindung hat er mit Bowies Berliner Jahren?

Wenn es eine Berlin-Hymne gibt, dann ist es "Heroes" von David Bowie. Das hat mit diesem Bild "Roquairol" hinter uns zu tun [Anmerkung der Redaktion: Dabei handelt es sich um ein Bild von Erich Heckel, welches das Albumcover zu Bowies Platte "Heroes" inspiriert hat]. Das hat auch mit dem Bild von Otto Müller "Liebende zwischen Gartenmauern zu tun". "I can remember standing by the wall and (…) the guns shot above our heads and we kissed as though nothing could fall".

Abseits der bildenden Kunst scheint ihn auch das Buch "Das Mädchen auf dem Delfin" inspiriert zu haben. Darin verliebt sich ein junger italienischer Arzt in eine (junge) Afrikanerin, die bei Neumond immer auf einem Delfin reitet. Sie heiraten später. Irgendwann erkrankt sie am Gelbfieber und stirbt. Der Arzt kann sie nicht retten und schaufelt ein Grab an der Küste. Eine Woche später stirbt auch der Delfin vor Gram. Neben dem Grab seiner Frau hebt der Arzt nun ein zweites für den Delfin aus. "I wish I could swim like Dolphins, like dolphins can swim": Bowie sagt, mich interessiert die Kunst, egal ob Literatur, Film, andere Musik, bildende Kunst. Sie inspiriert ihn und er bedient sich bei ihr. Wir machen es ja aber auch nicht anders. Ich meine, es war alles schon mal da.

Wie sind Sie bei der Auswahl der literarischen Texte vorgegangen? Und welche Rolle hat Literatur für Bowie gespielt?

Er war ein besessener Leser, ein Mann mit einer umfangreichen Bibliothek. Er las, um sich inspirieren zu lassen. Auf Tournee wurde ihm immer ein großer Koffer voller Bücher ins Hotelzimmer hinterher gerollt. Es gibt eine Liste mit 100 Büchern, die sein Leben und Werk am meisten beeinflusst haben. Diese hat uns ganz besonders interessiert. Es tun sich ganz erstaunliche Querverbindungen auf, wenn man seine Musik und diese Texte nebeneinanderstellt. Im Prinzip ist "Heroes" auch ein Gemälde in Liedform. Für mich ist Bowie ein Universalkünstler.

Wie hat ihn die Berliner Zeit langfristig geprägt?

Er war einer der bekanntesten Rockstars der Welt. Um ihn herum hat sich regelrecht ein Kult gebildet. Nach fünf Jahren auf Tour ernährte er sich irgendwann nur noch von Milch und Kokain, wog nur noch rund 50 Kilo und fing an zu fantasieren. Iggy Pop brachte ihn dann auf die Idee, nach Schöneberg zu ziehen, wo er mit dem Fahrrad langfahren konnte, ohne dass es jemanden interessierte. Und das hat ihn natürlich auch ein Stück weit geheilt. Die Stadt selbst mit all ihren Zeitebenen, ihren Narben und ihrer Geschichte inspirierte ihn dann offenbar zu der mutigsten Musik, die er je aufgenommen hat. Zum Album "Low" und zum Album "Heroes".

2018 verkörperten Sie im gleichnamigen Film den Liedermacher Gerhard Gundermann. Was hätten sich Bowie und Gundermann zu erzählen gehabt?

Die hätten sich einiges zu erzählen gehabt. Der eine ein Realist aus dem Tagebau, der andere der Außerirdische vom Mars. Da wäre ich gerne dabei gewesen, wie die beiden sich unterhalten.

Es gibt einen schönen Satz aus einem von David Bowies Lieblingsbüchern "Nach der Flut das Feuer" von James Baldwin: "Wenn du weißt, woher du kommst, dann kannst du unendlich weit gehen". Berlin. Es gibt keine Stadt weltweit, die eine Geschichte hat wie diese Stadt. Allein die letzten 100 Jahre waren ein einziges Auf und Ab: die 20er, die Nazis, Zentrum des kalten Krieges, die Mauer. Es lohnt sich immer, zurückzublicken, zu schauen, wo wir eigentlich herkommen, damit wir vielleicht auch erkennen können, wohin wir gehen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Alexander Scheer führte Steffen Prell für rbbKultur - das Magazin, zusammengefasst von Hendrik Matter.

Sendung: rbbKultur – das Magazin, 15.03.2025, 18:30 Uhr

Kommentar

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4 Kommentare

  1. 4.

    "Wenn es eine Berlin-Hymne gibt, dann ist es..." Nothing Else Matters.

  2. 3.

    @ Nunja, du hast mit allem Recht. Würde Bowie das Berlin von heute erleben, würde er schreiend wegrennen. Ich bekomme immer noch Gänsehaut wenn ich Heros höre. Die Stadt hat das Lied nicht mehr verdient. Sie ist abgewirtschaftet.

  3. 2.

    Gute Musik eines tollen Künsters, aber eine Berlin Hymne kann momentan nur "Loser" heißen.
    Bekommt noch jemand mit, was hier los ist?
    Wenn nicht gestreikt wird, erwarten uns einsturzgefährdete Brücken oder hilflose Politik.
    Ich bin tgl in der Stadt unterwegs, sehe und höre von Helden aber nichts.

  4. 1.

    David Bowie hat auch selbst gemalt u.ist regelmäßig ins Museum gegangen.