Feingeist im Kohlestaub - Gerhard Gundermann wäre heute 70 Jahre alt geworden

Er war Liedermacher, Rockpoet und Baggerfahrer im Lausitzer Kohlerevier. Heute wäre Gerhard Gundermann 70 Jahre alt geworden. Seine Biographie ist so durchwachsen, wie die der Region. Seine Texte geben dem Leben in der DDR-Kohle bis heute eine Stimme.
Gerhard Gundermann war überzeugter Teil des DDR-Staates und zählte gleichzeitig zu den Widersachern im System. "Er war eine Kerze, die von zwei Seiten brannte", sagen Wegbegleiter über den singenden Baggerfahrer, der vor fast 30 Jahren jung und unerwartet verstarb.
Bis heute gilt Gundermann als "Stimme des Ostens". Auch, weil seine Biographie die Geschehnisse vor, während und nach der Wende gut abbildet. Seine poetischen Liedtexte sind ein Abziehbild von Erfahrungen der Arbeitergesellschaft im Lausitzer Braunkohlerevier.
Ein Leben voller Widersprüche
Schon kurz nach seinem Abitur 1973 in Hoyerswerda, zwischen Plattenbauten und Tagebau, eckt der gebürtige Weimarer an. Weil Gundermann sich weigert, ein Loblied auf einen General zu singen, fliegt er von der Offiziershochschule Löbau. Den Armee-Singeklub hatte er selbst ins Leben gerufen.
Mitte der 70er Jahre geht es für ihn dann in den Tagebau Spreetal, wo er lange Jahre als Baggerfahrer arbeitet. Erst als Hilfsarbeiter, eine Art Handlangerposition mit schlechtem Ansehen, später als Baggerfahrer.
Um Textideen festhalten zu können, hat er fast immer sein Diktiergerät dabei. Gundermann wird zu dieser Zeit auch als inoffizieller Mitarbeiter von der Staatsicherheit rekrutiert. Der selbsternannte Kommunist bespitzelt Kollegen, Freunde und Bandmitglieder.
"Alles ist ambivalent, ich auch", sagte Gundermann einmal über sich selbst. "Das gehört zusammen. Ich bin auch gut und böse, ich bin tolerant und engstirnig".
Zunehmend musikalische Erfolge
Seine musikalische Leidenschaft verfolgte der Liedermacher Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre vor allem mit dem "Singeklub Hoyerswerda", der sich später in "Brigade Feuerstein" umbenennt. Die ersten Soloauftritte folgen, 1986 wird sein Solo-Debüt "Männer, Frauen und Maschinen" veröffentlicht. Die Gruppe "Gundermann & Seilschaft" wird 1993 gegründet, und spielt immer öfter vor ausverkauften Häusern.
Mit der Seilschaft veröffentlicht er auch seinen "Engel über dem Revier", eine seiner melancholischsten Beschreibung des Umbruchs der 90er Jahre in der Lausitz. Dort heißt es: "Da fliegt ein Engel durch den rauchigen Himmel, über dem Revier, er hat jetzt fast ein halbes Leben auf mich aufgepasst, jetzt trennt er sich von mir". Später schreibt er mit Sängerin Tamara Danz auch Texte für die bis heute erfolgreiche Ostband "Silly".
Während Gundermann auf der Bühne immer mehr Erfolge verzeichnen kann, gerät er zunehmend in Konflikt mit der SED. Weil er sich nicht klanglos in ein Kollektiv einfügen will, wird er von der Partei ausgeschlossen und gerät schließlich selbst ins Visier der Stasi.
"Man musste gut vorbereitet sein, wenn man mit ihm diskutiert" sagt Jens Quandt, Musikproduzent und Weggefährte von Gundermann über ihn. Die Präsenz der Stasi sei ihm egal gewesen, so Quandt. Gundermann habe immer "Sand im Getriebe" sein wollen.
Ein intellektueller Malocher
Tagsüber sitzt der junge Musiker auf dem Bagger, Abends steht er auf der Bühne vor dem Mikrofon. Er findet nur selten Ruhe. Obwohl er ab einem gewissen Zeitpunkt ohne Probleme von seiner Musik hätte leben können, kommt ein Abschied von der Kohlegrube für ihn nicht in Frage. Sie ist seine Inspiration, in der Grube fliegen ihm die Texte förmlich zu.
"Er hat immer Vergleiche gebracht", erinnert sich Musikproduzent Jens Quandt. "Die Arbeit, das ist der Motor. Was er mit der Gitarre macht, das ist das Getriebe." Beides gehöre zusammen und könne allein nicht existieren.
Selbst als der Liedermacher 1997 arbeitslos wird, schult er noch zum Tischler um. Nur ein Jahr später stirbt er an einem Hirnschlag. Gerhard Gundermann wird nur 43 Jahre alt.
Kinofilm verhilft zu bundesweiter Bekanntheit
Auch wenn Gundermanns Musik mit der Seilschaft nach dem Mauerfall zunehmend populärer wird - bundesweite Bekanntheit erlangt der Sänger erst 20 Jahre nach seinem Tod. Regisseur Andreas Dresen widmet ihm 2018 den biographischen Kinofilm "Gundermann".
Gerhard Gundermanns musikalisches Erbe wird heute unter anderem durch den Verein "Gundermanns Seilschaft e.V." hochgehalten. Auch Tochter Linda Gundermann führt seine Leidenschaft weiter. Sie ist selbst unter die Musiker gegangen und tritt unter anderem mit der Band "Hasenscheisse" auf.
Programmhinweis:
Anlässlich des 70. Geburtstags von Gundermann ist der gleichnamige Film von Andreas Dresen noch bis zum 27. Februar 2025 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Sendung: rbb24 Inforadio, 21.02.2025, 14:55 Uhr