Fazit | Berlinale 2024 - Grundsolider Abschied

So 25.02.24 | 09:50 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Carlo Chatrian, künstlerischer Direktor der Berlinale, und Mariette Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale, stehen während der Preisverleihung bei der Abschlussgala im Berlinale Palast auf der Bühne. (Quelle: dpa/Skolimowska)
Bild: dpa/Skolimowska

Die Ära Chatrian/Rissenbeek endet mit einem ganz normalen Berlinale-Programm – und einer überzeugenden Preisvergabe. Nachfolgerin Tricia Tuttle wird es nicht leicht haben dort anzuknüpfen - aus mehreren Gründen. Von Fabian Wallmeier

Was macht man, wenn man weiß, dass man demnächst vor die Tür gesetzt wird, und in diesem Wissen seinen Job noch ein letztes Mal bewältigen muss? Man zieht entweder noch einmal alle Register – oder man macht nur noch das Nötigste. Der von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) geschasste künstlerische Leiter Carlo Chatrian hat bei seiner letzten Berlinale weder das eine noch das andere getan.

Er hat eine grundsolide letzte Ausgabe abgeliefert, mit herausragenden und ärgerlichen Filmen. Alles wie immer eigentlich. Programmlich zumindest - politisch hingegen schlug die Gala im Nachhinein hohe Wellen.

Der Wettbewerb, der zu Beginn noch einer der stärksten der vergangenen Jahre zu werden versprach, pendelte sich am Ende im gewohnten Mittel ein. Jury-Präsidentin Lupita Nyong’o und ihre Mitstreiter:innen hatten aber ausreichend prämierenswerte Filme zur Auswahl. Und sie haben fast ausschließlich absolut nachvollziehbare Entscheidungen getroffen, die auch in ihrer Gesamtheit die Vielfalt des Wettbewerbs abbilden.

Wieder eine Doku

Mit "Dahomey" hat nun schon zum zweiten Mal in Folge ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären gewonnen. Doch während die Vergabe an Nicolas Philiberts "On the Adamant" im vergangenen Jahr viele überrascht hat, lag die Auszeichnung für Mati Diop in diesem Jahr beinahe schon auf der Hand. "Dahomey" hat nicht nur ein politisch relevantes, zeitgeistiges Thema, was traditionell bei der Bärenvergabe eine Rolle spielt. Der nur 67 Minuten kurze Film packt sein Thema, die Rückgabe von Raubkunstgegenständen von Frankreich an Benin, auch künstlerisch eigenständig und überzeugend an.

Einzig der Nebenrollenpreis für Emily Watsons eher eindimensionale Darstellung einer eiskalten Nonne im mauen Eröffnungsfilm "Small Things Like These" verwundert. Und überraschend ist, dass der hoch gehandelte iranische Beitrag "My Favorite Cake" leer ausging.

Die Entdeckung schlechthin: "Pepe"

Der Große Preis der Jury für Hong Sangsoos meisterliche Komödie "A Traveler's Needs" mit Isabelle Huppert ist dagegen ebenso Grund zur Freude wie der Preis der Jury an Bruno Dumonts Science-Fiction-Satire "The Empire" - wenn auch letzterer Film von der Kritik gespalten aufgenommen wurde. Eine schöne kleine Überraschung ist die Würdigung von Nelson Carlos De Los Santos Arias' "Pepe" mit dem Regie-Preis. Ein formal gewagter wie lustvoller Film aus der Warte eines Nilpferds - und wahrscheinlich die Entdeckung schlechthin in diesem Wettbewerb.

Der Drehbuchpreis schien in diesem Jahr wie gemacht für Matthias Glasner. Sein Film "Sterben" ist so voll von knallharten, ultraintensiven, dann aber auch brüllend komischen Dialogen wie kein anderer. Auch die Auszeichnung für Martin Gschlachts intensive Kameraarbeit in "Des Teufels Bad" ist schlüssig. Der Silberne Bär für die beste Hauptrolle an Sebastian Stan in "A Different Man" ist ebenfalls nachvollziehbar. Er macht in dem furchtlosen und sehr lustigen Film glaubhaft eine Transformation der ungewöhnlicheren Art durch.

Bitte nicht die Encounters abschaffen!

Carlo Chatrians größte Neuerung waren die Encounters. Er zog damit eine zweite Sektion mit offiziellen Preisen ein. Kleinere oder sperrigere Filme als im Wettbewerb sollten hier das große Rampenlicht bekommen. Das stellte sich im Rahmen der Berlinale zunächst als schwierig heraus, weil mit dem Forum bereits eine Sektion bestand, die einen ähnlichen Fokus hat.

Zuletzt funktionierte die Aufteilung immer besser. Und auch wenn dieser Encounters-Jahrgang nicht der stärkste war: Man kann nur hoffen, das Tricia Tuttle Chatrians Baby nicht gleich wieder abschafft, sondern sie weiterentwickelt: zu einem klar konturierten Nebenwettbewerb wie den Orizzonti in Venedig und Un certain regard in Cannes.

Verschlankt und cinephiler

Was wird sonst bleiben von fünf Jahren Doppelspitze aus Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek? Sie haben das Festival verschlankt - aus Spardruck zwar, aber dennoch: Es hat der Berlinale gut getan, sich auf weniger Sektionen und weniger Filme zu konzentrieren, nachdem Dieter Kosslick sie immer weiter aufgebläht hatte.

Und Chatrian hat der Berlinale eine viel dezidierter cinephile Ausrichtung verpasst. Kein Wunder, dass es in der internationalen Filmszene einen Aufschrei gab. Unter anderem Martin Scorsese, der diesjährige Ehrenbärträger, unterzeichnete eine Petition gegen die Absetzung Chatrians. Was Chatrian weniger interessierte, war der Glamour auf dem roten Teppich - im krassen Gegensatz zu seinem Vorgänger.

Das soll nicht heißen, dass die Stars komplett abwesend gewesen wären. Doch abgesehen von Oscar-Anwärter Cillian Murphy und Produzent Matt Damon, die gemeinsam den Eröffnungsfilm präsentierten, fand das Star-Schaulaufen eher außerhalb des Wettbewerbs statt: Kristen Stewart, Adam Sandler, Sharon Stone sind einige der bekannteren Namen.

Schwierige Zeiten für die Nachfolgerin

Auch Tricia Tuttle wird an dem Dilemma nichts ändern können, dass die ganz großen US-Premieren nicht kurz vor der Oscar-Verleihung im Berliner Wettbewerb Premiere feiern werden, sondern eher später im Jahr in Cannes und Venedig. Und sie hat zusätzliche schwere Bürden zu bewältigen: Die Berlinale steht weiter unter Spardruck - und hat ein stetig wachsendes Problem mit Spielstätten. So wird der Potsdamer Platz im kommenden Jahr mit dem Umzug des Filmhauses inklusive des Arsenal noch weiter verwaisen und über das als Spielstätte immer wichtiger gewordene Cubix am Alexanderplatz kursieren immer wieder Abrisspläne.

Es wird also künftig nicht leichter werden, den Tanker Berlinale zur Zufriedenheit aller zu steuern. Und der ständig prüfende Blick der Kulturstaatsministerin wird auch Tricia Tuttle nicht erspart bleiben.

Und das sind die Gewinner!

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Beitrag von Fabian Wallmeier

18 Kommentare

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  1. 18.

    Die Äußerungen während der Preisverleihung können auch nicht als unbedacht angesehen werden. Die Diskussionen und Positionen bekannt. Israel Genozid vorzuwerfen hat nichts mit Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung oder einer Kritik am Staat Israel zu tun (auch wenn sich so gerne mal antisemitische Narrative verkleiden)..

  2. 17.

    Nun was bleibt ist sicherlich nicht die Erinnerung an eine "grundsolide" Berlinale. Mag sein das der eine oder andere "Künstler" sich an Persönliches und Organisatorisches Erinnern wird. Im Ausland und bei dem überwiegenden Teil der deutschen Bevölkerung werden die antisemitischen Vorfälle und der politische Missbrauch von Bühnen und Teppich durch "Kulturschaffende" im Gedächtnis bleiben. Für Chatrian/Rissenbeek ist es somit tragisch, aber nicht ohne eigene Schuld. das ihr gesamtes Wirken letztlich auf diesen "Abschied" reduziert im Gedächtnis bleiben wird.

  3. 16.

    Ihr bewertet Antisemitismus also als "grundsolide"?

  4. 14.

    Die Ausladung der AfD-Vertreter war richtig und wichtig, die Anti-Israelischen Äußerungen sind nicht zu tolerieren. Schändlich, dass die Berlinale-Leitung hier nicht eingeschritten ist.

  5. 12.

    Im internationalen Vergleich ist doch die Berlinale gar nicht mehr relevant. Aus Spargründen kann man die ganz schließen.

  6. 11.

    Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Auf der einen Seite AfD-Politiker ausladen, auf der anderen Seite dulden, daß eine Preisträgerin offen ihren Antisemitismus in der deutschen Hauptstadt heraus schreit, ist eine Schande und sollte Konsequenzen haben!

  7. 10.

    Es würde mich wirklich interessieren, ob “grundsolide” als Kritik verstanden werden soll oder nicht. Für mich ist grundsolide genau das, was im Kulturbetrieb allenthalben fehlt. Bravo Marietta Rissenbeek und Carlo Chatrian!! Danke, dass ihr die Berlinale sicher, mit Würde und ohne Schnickschnack durch eine so schwierige Zeit gelotst habt, Man hat euch/ Herrn Chatrian leider nicht die Zeit und Mittel gelassen (chronisches Geschwür im derzeitigen Kulturbetrieb), eine grundsolide Basis für junge Filmschaffende dauerhaft zu festigen. Kultur braucht langen Atem und Investitionen auf lange Sicht. Das ist natürlich langweilig und so gar nicht “sexy”, äh Entschuldigung, ich wollte sagen “ glamourös” . Frau Tuttle wünsche ich alles Gute, auch wenn man das Ende absehen kann. Unmöglich für nur eine Person, noch dazu weder mit der deutschen Sprache noch ( was schwerwiegender ist) mit der deutschen Kulturpolitik vertraut ist, den Ozeandampfer Berlinale alleine auf Kurs zu halten.

  8. 9.

    Die Berlinale zeichnete die Doku über Raubkunst mit Goldenen Bären aus, den Film „Dahomey“ von Mati Diop.
    Das war in Ordnung wegen dem brisanten Inhalt der Doku, den fast keiner im Alltag mitbekommt.
    Was weniger gut ankam nach der Preisverleihung, dass die Berlinale derartig politisch verlief in verschiedene Richtungen. Das Für und Wider dieser Meinungen war zu krass um die Berlinale froh in Erinnerung zu halten.



  9. 8.

    Die Berlinale ist kein Filmfestival mehr, sondern eine politische Veranstaltung, die zumal einseitig ausgerichtet ist.

  10. 7.

    Eine Berlinale bei der am Abend der Preisvergabe noch jede Menge freie Sitzplätze waren, sagt sehr viel über den Abgesang dieses Festivals aus!

  11. 6.

    Wie soll man die „Berlinale“ bewerten? Sie war farbloser, trotz hervorragte Filme.
    Beim Verzicht zu weniger Filme, wetteiferte der Glamour auf dem roten Teppich.
    Da war von Spareinnahmen nichts zu sehen. Das Interesse an der Berlinale nimmt in Deutschland ab.
    Viele Menschen können mit mehr guten Filmen mehr anfangen, als mit der Schaustellung traditionellen Glamour.
    Da wird offengelegt, was mit der normalen Realität des heutigen Lebens nichts mehr zu tun hat.



  12. 5.

    Für den 2. Teil Ihres Kommentars gebe ich Ihnen recht.
    Fast 20 Jahre Kosslick mit 5 Jahren Chatrian zu vergleichen, wovon 3 Coronajahre, finde ich dagegen arg unfair.

  13. 4.

    Die Berlinale muss sparen… Das merkt man als Besucher. Keine Ticketcounter mehr, im HKW war der rote Teppich auf Latzgröße geschrumpft, Gäste aus dem Ausland haben keine Kopfhörer mehr bekommen bei deutscher Einsprache, kaum noch Filmposter am Potsdamer Platz usw.
    Was aber super funktioniert seit etwa 3 Jahren sind jährlich steigende Preise. Dieses Jahr hat man bei der Generation um satte 3€ je Ticket erhöht auf 9€ je Ticket. Vergangenes Jahr kosteten die Tickets bereits 6 statt 5€.

  14. 3.

    Die Berlinale kann man abschaffen, nachdem, was in diesem Jahr dort los war. Man kann sich nur noch schämen für diese Branche.

  15. 2.

    Was mich bei den Danksagungen und Ansprachen gewundert hat, waren die vielen Hinweise auf die Palästinenser und nicht Einmal ein Bedauern zu den Toten Israelies oder den Schuldigen der Gewalt, es war die Hamas und nicht Israel. Objektivität viel wohl den Künstlern etwas schwer!

  16. 1.

    Seltsam, dass alle Preisträger dem verschnarchten Berlinale -Chef dankten: klingt konzertiert. Das Duo konnte nie den Platz von Kosslick ausfüllen, keine Begeisterung oder gar Empathie ausstrahlen. Der Preis für Dahomey mutet wie plumpe Wiedergutmachung in Sachen Raubkunst an. Ein durchsichtiges Manöver. Doch hier steht die Politik in der Pflicht.

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