BerlinTrend | Analyse - Voll im Bundestrend
Die Grünen bleiben die stärkste Partei in Berlin, ganz knapp vor der CDU. Die SPD mit ihrer Regierenden Bürgermeisterin rutscht in der Wählergunst weiter ab. Auch wenn das dem Bundestrend entspricht, muss Rot-grün-rot vor allem sich selbst fürchten. Von Christoph Reinhardt
Für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sind die aktuellen Zahlen sicher höchst unangenehm. Mit viel Sendungsbewusstsein und maximaler Präsenz hat sie seit ihrem Amtsantritt für ein positives Bild der Senatsarbeit gekämpft. Aber auch ein Jahr nach den Wahlen ist die Botschaft nicht angekommen. Im Gegenteil.
Waren im März noch 40 Prozent mit ihrer persönlichen Arbeit zufrieden, sind es jetzt nur noch 31 Prozent. Genauso niedrig liegt die Zufriedenheit der Wahlberechtigten mit dem Senat als Ganzem - und es spricht alles dafür, dass vor allem Giffeys SPD die Koalition nach unten zieht.
Verblüffend resistente Linke
Würde am kommenden Sonntag das Abgeordnetenhaus gewählt, kämen die Berliner Sozialdemokraten nur noch auf 17 Prozent (-3). Während die Berliner Linken sich verblüffend resistent gegen die Querelen ihrer Bundespartei zeigen und ihre 12 Prozent vom März verteidigen, bauen die Grünen die Führung im linken Lager weiter aus: 22 Prozent (+1) sind nicht nur koalitionsintern eine Ansage an den Führungsanspruch der SPD, sondern reichen auch aus, um die CDU mit 21 Prozent (+1) ganz knapp auf Abstand zu halten.
Allerdings: Was aus der kurzfristigen Perspektive wie ein brutaler Absturz der SPD wirken könnte, sieht aus etwas größerem Abstand betrachtet eher aus wie der Berliner Normalzustand. 15, 16 oder 17 Prozent waren für die Berliner SPD unter rot-rot-grün ganz normale Umfragewerte, und für die Grünen waren 22 Prozent kein Grund zum Jubeln. Bis sich im Sommer 2021 die Großwetterlage plötzlich drehte und der Bundestrend auch die Berliner Umfrageergebnisse durcheinanderrüttelte.
Berliner Werte steigen und fallen mit dem Bundestrend
Ein Jahr nach dem plötzlichen Höhenflug des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz wirkt der späte Triumph Franziska Giffeys am Wahlabend ähnlich unwirklich wie zuvor der Absturz der Grünen Annalena Baerbock im Wahlkampf und dem Einbruch der Berliner Grünen. Und jetzt? Hat sich der Bundestrend wieder komplett gedreht, und die Berliner Umfragewerte drehen sich mit.
Seit dem letzten BerlinTrend im März sind die Grünen im Bund um vier Prozentpunkte nach oben geklettert. Die Bundes-SPD hat acht Punkte verloren. Daran gemessen sind Giffeys Verluste noch milde, und für die Berliner Grünen ist der erste Platz kein Grund zu Selbstzufriedenheit.
Denn so bitter es für die Berliner Akteure auch sein mag: Dem Bundestrend ist es egal, ob die Giffey-SPD das 29-Euro-Ticket durchsetzt oder die Jarasch-Grünen die Verkehrswende vorantreiben. Solange die Außenministerin eine gute Figur macht und sich der Kanzler bei Waffenlieferungen nicht festlegen will, steigen und fallen auch die Berliner Umfrageergebnisse.
CDU kommt nicht an den Grünen vorbei
Mit ein paar regionalen Besonderheiten, die vor allem die drei parlamentarischen Oppositionsparteien treffen. Wer nach dem schwachen Abschneiden der Berliner AfD bei den letzten Wahlen auf den weiteren Niedergang gehofft hatte, sieht sich getäuscht. Für die AfD bleibt die Metropole Berlin ein hartes Pflaster.
Sie kann den Rückenwind des Bundestrends nicht voll mitnehmen, wird sich aber mit zehn Prozent (plus zwei) trotzdem als Gewinner fühlen. Auch die FDP ist in Berlin traditionell schwächer als im Bund - der Verlust von zwei Prozentpunkten seit März führt in Berlin schnell auf den Weg unter die Fünf-Prozent-Hürde, trotz guter Performance im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Berliner CDU kommt trotz des Bundes-Hochs nicht an den Grünen vorbei. Dafür bleibt die CDU im Osten zu schwach, während die Grünen den Abstand zwischen Ost- und West zuletzt Stück für Stück verkleinern konnten.
Die Linke hat dagegen ihren Bonus im Ostteil aufgebraucht und liegt in der einstigen Hochburg im Parteienranking nur noch auf Platz vier. Weniger als den Bundestrend muss die Berliner Linke die Entfremdung von ihren eigenen Anhängern fürchten. Zwar regiert die Linke im Senat, aber ihre Parteianhänger gehen nicht mehr mit: Zwei Drittel von ihnen sind unzufrieden mit dem Senat, gerade mal ein Drittel ist zufrieden - so fühlt sich eigentlich Opposition an.
Frontfrau wird wohl in Frage gestellt werden müssen
So lange das rot-grün-rote Bündnis das aushält, hat es nicht viel zu befürchten. Zwar stehen nur magere 51 Prozent der Wahlberechtigten hinter der Landesregierung. Aber die Opposition ist mit 37 Prozent noch weiter abgeschlagen. Die größte Gefahr für den rot-grün-roten Senat kommt von innen: Wenn die Grünen ihren Führungsanspruch festigen wollen, müssen sie früher oder später die Dominanz der Regierenden Bürgermeisterin angreifen – das ist riskant, denn die Grünen-Führungsriege ist in der "Abteilung Attacke" schwach aufgestellt.
Auch die Linken müssen sich dringend profilieren, wenn sie nicht ihre Anhänger verlieren wollen - oder dürfen zumindest nicht den richtigen Moment zum Absprung verpassen. Für die Berliner SPD ist die Schonzeit nach einem vergleichsweise harmonischen Jahr nun vorbei. Wie lange der Burgfrieden in der Partei noch hält, wird man sehen - 17 Prozent sind jedenfalls ein mehr als ausreichender Grund, um auch die Frontfrau wieder in Frage zu stellen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21. September 2022, 19:30 Uhr