Flughafen Halle/Leipzig - Deutschland schiebt 28 Straftäter nach Afghanistan ab
Es ist der erste Abschiebeflug nach Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban: In Leipzig ist am Morgen eine Maschine mit 28 afghanischen Straftätern an Bord nach Kabul gestartet. Darunter sind auch zwei Gewalttäter aus Berlin.
Deutschland hat das erste Mal seit der Machtübernahme der Taliban wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Vom Flughafen Leipzig/Halle ist am Freitagmorgen ein Abschiebeflug gestartet. Das bestätigte das sächsische Innenministerium, später auch die Berliner Justizverwaltung. Zuvor hatte der "Spiegel" mit Verweis auf Sicherheitskreise berichtet.
Demnach startete am Morgen ein Charterjet der Fluggesesellschaft Qatar Airways mit 28 afghanischen Straftätern an Bord in Richtung Kabul. Die waren aus verschiedenen Bundesländern nach Leipzig gebracht worden, darunter zwei aus Berlin. Der eine sei wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung und der andere wegen Vergewaltigung verurteilt worden, teilte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit.
"Das Land Berlin wird auch in Zukunft die Ausreisepflicht für diese Personengruppe im Rahmen der rechtlichen und praktischen Möglichkeiten konsequent durchsetzen", erklärte Spranger. "Dies schließt Rückführungen nach Afghanistan und Syrien ein."
Aktion seit zwei Monaten vorbereitet
Laut "Spiegel" wurde die Aktion federführend vom Bundesinnenministerium organisiert. Jeder Abgeschobene erhielt demnach vor dem Flug 1.000 Euro Handgeld. Die Abschiebung sei vom Kanzleramt und den Innenbehörden seit gut zwei Monaten vorbereitet worden, hieß es weiter. Es habe keine direkten Verhandlungen mit den Taliban gegeben, stattdessen habe man das Emirat Katar um Vermittlung gebeten.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag angekündigt, dass Deutschland "sehr bald" Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan umsetzen werde. Ein "großes Rückführungs- und Abschiebepaket" sei schon vor dem tödlichen Anschlag von Solingen "auf den Weg gesetzt" worden.
Es ist Teil eines größeren "Sicherheitspakets" [tagesschau.de], das nach Faesers Ankündigung nun mit den Ländern und mit der Union als größter Oppositionsfraktion besprochen werden soll. Es sieht unter anderem auch vor, dass Ausreisepflichtigen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, die Sozialleistungen gestrichen werden. Wenn Asylberechtigte in ihr Heimatland reisen, soll ihnen der Schutzstatus aberkannt werden. Messerverbote sollen deutlich ausgeweitet werden.
Bei einem Termin in Sachsen nannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Abschiebeflug "ein klares Zeichen, wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden Wege suchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht".
Kritik vom Flüchtlingsrat und von Amnesty
Der Berliner Flüchtlingsrat reagierte empört auf die Abschiebung nach Afghanistan. "Mit diesem Flug hat Deutschland die Kooperationen mit den Taliban salonfähig gemacht, einer menschenrechtsverachtenden De-facto-Regierung, die zuletzt Mädchen und Frauen das Sprechen und Singen in der Öffentlichkeit verboten hat und Menschen, die nicht ihren Glaubensgrundsätzen folgen, einsperrt, foltert und tötet", hieß es in einer Erklärung.
Ähnlich äußerte sich Amnesty International. Niemand dürfe in ein Land abgeschoben werden, wo Folter drohe, teilte Generalsekretärin Julia Duchrow mit. Sie sprach von "Schaupolitik in Wahlkampfzeiten". Die Bundesregierung riskiere, "sich zur Komplizin der Taliban zu machen".
Neun Straftäter aus Brandenburg noch nicht abgeschoben
Personen aus Brandenburg waren bei dem ersten Abschiebeflug nicht an Bord. Dabei hatte Brandenburg im Juni dem Bundesinnenministerium (BMI) neun afghanische Straftäter für eine mögliche Abschiebung gemeldet, die Männer wurden jetzt aber nicht abgeschoben, wie das Brandenburger Innenministerium dem rbb mitteilte.
Nach Angaben eines Brandenburger Behördensprechers seien die neun vom BMI zwar geprüft worden. Allerdings konnten einige offene Fragen und Formalia vor dem Abschiebeflug nicht geklärt werden, etwa der Widerruf des Schutzstatus oder die Beschaffung von Identitätsdokumenten. "Die Schaffung der Vollziehbarkeit der Ausreise wird nach Rücksprache mit dem BMI noch einige Zeit in Anspruch nehmen, so dass das BMI mitteilte, dass von einer sehr zeitnahen Rückführung der benannten Personen nicht auszugehen sei", hieß es aus dem Brandenburger Innenministerium.
Debatte über "Handgeld"
Im Netz entzündet sich aktuell eine Debatte daran, dass Abgeschobenen ein sogenanntes Handgeld von 1.000 Euro mitgegeben wurde. Nutzer verwiesen auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2022, die darauf abstellt, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer nach seiner Rückkehr "gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen".
Bundesinnnenministerin Nancy Faeser sagte, beim Handgeld handle es sich um ein übliches Verfahren, um Rechtssicherheit herzustellen, damit Gerichte die Abschiebung nicht stoppen. Laut einer Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums hätten sich alle beteiligten Bundesländer auf 1.000 Euro geeinigt. Das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten zu können, erklärte sie.
Sendung: rbb24 Abendschau, 30.08.2024, 19:15 Uhr