Karstädt (Prignitz) - Bürger sollen Stimmungsbild zu geplanter Biomethananlage abgeben

Do 19.09.24 | 08:09 Uhr | Von Björn Haase-Wendt
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Protest gegen Biomethananlage in Karstädt (Bild: rbb/Björn-Haase-Wendt)
Audio: rbb Antenne Brandenburg | 19.09.2024 | Udo Staeck | Bild: rbb/Björn-Haase-Wendt

Der Ölkonzern Shell will in der Prignitz eine große Biomethananlage bauen. Seit knapp zwei Jahren wird in Karstädt heftig diskutiert. Am Sonntag sind die Einwohner gefragt - parallel zur Landtagswahl gibt es eine Bürgerbefragung. Von Björn Haase-Wendt

Noch steht der Mais auf dem riesigen Feld an der A14-Abfahrt bei Karstädt (Landkreis Prignitz). Schon bald könnten hier bis zu 16 riesige Gärbehälter stehen, in denen jährlich um die 500.000 Tonnen Gülle, Mist und andere landwirtschaftliche Reststoffe zu Biomethan weiterverarbeitet werden. Anschließend soll es zum Großteil in eine Gasleitung eingespeist und im Ruhrgebiet zu Bio-LNG für den Lkw-Verkehr weiterverarbeitet werden.

Diese Pläne hat zumindest der Ölkonzern Shell und treibt die Planungen in Karstädt dafür voran. Für die Gemeinde wäre es ein enormes Investitionsvorhaben, sagt Bürgermeister Udo Staeck (CDU): "Die Anlage ist hochmodern, sie schafft Arbeitsplätze, Gewerbesteuer wird gezahlt und sie liefert auch einen bestimmten Prozentsatz Methan, der uns zur Verfügung steht." Mit einer weiteren geplanten Ansiedlung eines Wasserstoff-Projektes könnte Methanol hergestellt werden, so die Hoffnung.

Angst vor mehr Verkehr, Lärm und Umweltbelastungen

Doch das Shell-Biomethanprojekt spaltet die Gemeinde. Seit fast zwei Jahren wird heftig über den Sinn und Nutzen der geplanten Ansiedlung diskutiert. Viele Anwohner sorgen sich um die Entwicklung Karstädts, fürchten mehr Verkehr, Lärm und Umweltbelastungen. "Das wird eine Mega-Chemieanlage in unmittelbarer Nähe zu bewohntem Gebiet von einem Konzern, wo wir überhaupt nicht überblicken können, wie die Verhandlungen mit dem Konzern laufen sollen", sagt Benedikta Meinberg, eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative "Stoppt Shell Karstädt".

Die Initiative wirft dem Konzern Intransparenz in den Planungen vor, trotz eines eingerichteten Arbeitskreises. Dort sollten Vertreter der Verwaltung, des Konzerns und der Gemeindevertretung Kriterien für den Bau der Anlage festlegen. Auch die Bürgerinitiative ist mit zwei Beobachtern vertreten.

Auf diesem Feld bei Karstädt soll die Shell Biomethananlage entstehen (Bild: rbb/Björn-Haase-Wendt)Auf diesem Feld soll die Biomethananlage entstehen.

Nicht ausreichend Gülle in der Region?

So zweifelt die Bürgerinitiative an, dass es im engeren Umkreis ausreichend Rohstoffe für die Biomethan-Produktion gibt. "Wir haben hier ganz wenige Milchkühe. Meistens sind es Mutterkuhherden, die den ganzen Tag draußen stehen. Die produzieren nicht diese Gülle", kritisiert Benedikta Meinberg. Sie fürchte, dass die die Gülle und die landwirtschaftlichen Reststoffe über viele Kilometer nach Karstädt gebracht werden müssten.

Anders sieht das der Kreisbauernverband Prignitz. Er spricht sich in einer Stellungnahme, die dem rbb vorliegt, für die Anlage aus und hält diese für "ökonomisch und ökologisch" sinnvoll. So schaffe sie zum einen eine zusätzliche Einnahmequelle für die Landwirte, zum anderen gebe es kurze Transportwege zur Anlage. "Entsprechende Anfragen von Mitgliedbetrieben liegen vor", heißt es.

– Zahnarzt Fred Abraham und Benedikta Meinberg von der BürgerinitiativeZahnarzt Fred Abraham und Benedikta Meinberg von der Bürgerinitiative kritisieren den geplanten Bau der Biomethananlage.

Gestank in Karstädt befürchtet - Ärzte in Sorge

Eine weitere Sorge vieler Karstädter ist eine mögliche Geruchsbelästigung. Das würden Erfahrungen einer ähnlichen Anlage im dänischen Kvaers zeigen, wo es immer wieder zu Anwohnerbeschwerden komme. Hinzu kämen Sicherheitsbedenken, wenn es einen Störfall in der Biomethananlage gibt. "Hier im näheren Umkreis sind nur Freiwillige Feuerwehren, die sind gar nicht für eine Industrieanlage ausgebildet", sagt die Sprecherin der Bürgerinitiative. Zugleich gebe es Angst, dass dann Atemgifte freigesetzt werden könnten.

Am Sonntag, parallel zur Brandenburger Landtagswahl, startet nun eine Bürgerbefragung zum Thema. Kurz vor der Befragung haben sich auch zwölf Karstädter Ärzte, Apotheker und Therapeuten positioniert. Gemeinsam haben sie eine Erklärung zur Anlage verfasst und lehnen diese ab. Zum einen aufgrund der bestehenden Sicherheitsbedenken, zum anderen aus Sorge um die Attraktivität des Ortes. "Wir stehen ja alle vor der Herausforderung, irgendwann einen Nachfolger für unsere Praxen zu finden. Da haben wir die großen Bedenken, dass diese Biomethananlage die Attraktivität von Karstädt nochmals deutlich schmälern wird", sagt Zahnarzt Fred Abraham.

Seit mehr als 30 Jahren hat er seine Praxis im Ort, wie er sagt. "Es ist ja jetzt schon schwierig. Junge Kollegen können sich aussuchen, wo sie hinmöchten. Da gucken sie schon, wie das Umfeld aussieht. Es ist die Frage, ob sie dorthin wollen, wo schon ein riesiger Windpark steht und dann noch eine Gasanlage vielleicht", fügt der Zahnarzt hinzu.

Stimmungsbild soll abgefragt werden

Schon vor einem Jahr hatte die Bürgerinitiative mehr als 2.000 Unterschriften gegen die Biomethananlage gesammelt und eingereicht. Trotzdem entschied die Gemeindevertretung später mit knapper Mehrheit, dass die Planungen fortgesetzt werden.

Im Frühjahr beantragten mehrere Gemeindevertreter die nun anstehende Bürgerbefragung. Am Sonntag sollen die Einwohner mit ihrem Kreuz erklären, ob sie für oder gegen den Bau der Anlage sind. "Um zu wissen, wie in der Gesamtgemeinde das Stimmungsbild ist, wurde dieser Beschluss gefasst, und mit dem Ergebnis muss man dann sehen, ob man weiterplant oder nicht", sagt Christian Gadow aus dem Karstädter Bauamt.

Die Bürgerinitiative hofft, dass sich die Gemeindevertretung diesmal an das Abstimmungsergebnis hält, auch wenn die Befragung – anders als ein Bürgerentscheid – rechtlich nicht bindend ist. Shell selbst teilte auf rbb-Anfrage mit, dass man in engem Austausch mit dem Gemeinderat stehe und den demokratischen Entscheidungen aus den politischen Gremien folge werde.

Sendung: rbb Antenne Brandenburg, 19.09.2024, 14:30 Uhr

Beitrag von Björn Haase-Wendt

14 Kommentare

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  1. 13.

    Sie haben allerdings das zentrale Argument unterschlagen:

    Das haben wir noch nie so gemacht.
    Da könnte ja jeder kommen.

  2. 12.

    "Mit der RAL-Gütesicherung der Bundesgütegemeinschaft Kompost werden Gärprodukte zertifiziert, die als Bodenverbesserungs- und Düngemittel erfolgreich eingesetzt werden. Die Hersteller unterstellen ihre Erzeugnisse freiwillig der neutralen Güteüberwachung und regelmäßigen Kontrolle der Gütegemeinschaft."
    Quelle DLG.
    "Verklappen" ist in dem Zusammenhang fachlich und sachlich falsch.

  3. 11.

    Zusammengefasst: Es könnte stinken, sieht vielleicht nicht gut aus, und ganz sicher gibt's irgendwann einen Unfall.
    Keine Energieerzeugung sieht gut aus und riecht gut. Nicht die Zechen und Kokereien im Ruhrgebiet, nicht die Braunkohlekraftwerke und Tagebaue, kein einziger Kraftwerk ist schön. Tschernobyl hat wenigstens nicht gestunken, aber so einen Meiler wird Karstädt wohl auch nicht wollen. Würde die Biomethananlage 100 Kilometer entfernt geplant, es würde in Karstädt keinen kratzen.

  4. 10.

    Eine Herausforderung besitzt soviele Dimensionen mehr, als nur einfach der Druck des "Geld"es. Wir haben in Brandenburg schon einige Standortfehlentscheidungen zu ertragen, da macht es durchaus mal Sinn, die primär betreffenden Bürger verbindlich mit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Leider haben wir auch in den Gemeinden eine stark ausufernde parlamentarische Demokratie, die allzugerne über den Bürgerwillen hinwegentscheidet, als wenn man seine eigenen Bürger nur als Parteienmenge aus einer hinreichenden abstrakten Distanz ertragen kann.

  5. 9.

    Wenn sie das Verklappen von Gülle und Gärresten als Arbeitsplatz bezeichnen, finden sie wohl auch Dürfen und Hochwasser seien einmalige Launen der Natur?

  6. 8.

    Diese Leute denken anscheinend immer Geld wird einfach gedruckt. Jede Kommune sollte dafür Sorge tragen, dass sie auch Gewerbesteuereinnahmen bekommt.
    Den Zahnarzt mit seinen 10.000€ netto im Monat interessiert das nicht. Der will seine Ruhe haben.

  7. 7.

    Vielleicht läuft die Praxis des Zahnarztes schlecht und dann sind die anderen Schuld!

  8. 6.

    Seit wann hört irgendjemand aus Politik oder der Verwaltung auf die Bürger ohne dabei selbst hintergedanken zu haben.

  9. 5.

    Amüsant, Arbeitsplätze in Ortsnähe blockieren, stattdessen lieber x Kilometer fahren, am besten per Kfz und auf einer Autobahn, in Kauf nehmen.

  10. 4.

    >"Neudeutsch: "Stimmungsbild", was ist das genau?"
    Ich finde die Verwendung der Begrifflichkeit Stimmungsbild in diesem Entscheidungsprozess auch etwas unangebracht. Meinungsbild wäre zutreffender. Es geht um Ja, Nein oder Neutral.
    Vielleicht sollen die Bürger dann am Sonntag bei dieser Befragung einen Aufsatz schreiben, wie sie sich fühlen, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen, ob sie dabei eher depressiv oder fröhlich sind, was Gülle und Methan in ihrem Kopf anregt usw... Was man halt so schreibt, wenn man seine Stimmung beschreiben sollte ;-))

  11. 3.

    Die Gülle ist ja nicht weg. Ein paar Chemikalien dampfen aus und bilden das bevorzugte Gas. Der Rest muss wieder auf den Acker. Wenn die Gülle tatsächlich aus der Entfernung kommt (Niederlande lassen grüßen), ist fraglich, ob die Gülle den Weg zurück geht oder via Strip-Till (unter) den heimischen Acker gelangt. Ich kann die Sorgen gut verstehen.

  12. 2.

    Neudeutsch: "Stimmungsbild", was ist das genau?

  13. 1.

    Schöner Schreibfehler im Titel.
    Ist auffällig, wie viele Schreibfehler in der letzten Zeit in den Beiträgen zu entdecken sind.
    Gibt es beim rbb kein Lektorat mehr?

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