Premierenkritik | "Last Prayer" im Ballhaus Ost - Was machen wir jetzt mit dem Weltuntergang?

Fr 11.10.24 | 09:13 Uhr | Von Jakob Bauer
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Szene aus "Last Prayer" im Ballhaus Ost (Bild: Ballhaus Ost/Ackermann Simonow Kahn)
Bild: Ballhaus Ost/Ackermann Simonow Kahn

Vier Frauen warten auf die Apokalypse. Das ist die Ausgangslage des Stücks "Last Prayer" von Evy Schubert, das am Berliner Ballhaus Ost Premiere gefeiert hat. Jakob Bauer hat ein existentialistisches und gleichsam entspanntes Weltuntergangs-Kammerspiel erlebt.

Das Ende kommt, soviel ist klar. Aber wann genau, was bedeutet das eigentlich - und wie geht man jetzt mit dieser ganzen blöden Situation um? Vier Frauen stehen da auf der Bühne, die letzten Menschen, die noch übrig sind, und sie wissen auch nicht so recht. Was machen wir jetzt?

Wofür noch große Gedanken schwingen?

Wiederum klar ist allerdings, wieso dieses Ende kommt. Der Meeresspiegel steigt. In der Videoinstallation, die die Frauen auf der sonst eher reduzierten Bühne umgibt, schwimmt mal ein Riesenrad vorbei, brennende Ölfelder, Rohre, eine zivilisatorischer Resterampe. Und immer höher steigt das Wasser. Es wird aber nicht darüber gesprochen, wie man dieses Ende hätte verhindern können, keine politischen, gesellschaftlichen Strategien werden durchdiskutiert, wo man falsch abgebogen ist. Das klammern die Frauen aus.

Nur einmal versteigt sich eine zu einer Meinung, rudert dann aber sofort zurück: "Das war jetzt schon zu politisch!". Das kann man natürlich als gesellschaftliches Wegducken vor der Problematik deuten. Aber es geht eben auch darum, welche Prozesse in Gang gesetzt werden, wenn das Ende jetzt wirklich da ist. Hier zumindest gibt es keine großen Reden, stattdessen ist es aufrichtig profan, menschlich-hilflos.

Man denkt auch selbst: Was würde ich denn jetzt noch groß diskutieren, wenn gleich alles vorbei ist? Wofür denn? Eine stellt also die Frage: Warum konnte man den Steuerberater eigentlich nicht von der Steuerberatung absetzen? Eine andere ersehnt wortreich etwas Schönes im schmelzenden Gletscher, versucht doch noch ein bisschen Sinn zu generieren. Der stirbt nicht, sagt sie, der ist im Werden! Auch wenn sein Werden ein Zerfall ist, nein, ein Übergang in einen anderen Zustand!

Der Mensch gewöhnt sich an alles

Die Stimmung hat etwas Absurdes, der entspannte Umgang mit dem Untergang ist eine Art Selbstschutz, und sie sprechen es auch aus: Der Mensch gewöhnt sich an alles. Sterben halt ein paar Millionen jährlich an den Folgen des Klimawandels, gibt’s halt 50 Grad im Sommer. Ein paar halten ja durch.

Und dann sind da auch noch die Bilder des Weltuntergangs, die ja auch irgendwie schön, faszinierend sind. Giftgrün schimmert es über dem Meer, "Großartig, ein Atompilz" jubilieren sie. Aber auch unsere gegenwärtige Bilderflut wird in Erinnerung gerufen. "Der Algorithmus liebt den Untergang" sagt eine. Sie sehnt sich zurück nach unschuldigen Bildern, vor dem Algorithmus. Sie will die Bilder jenseits des Ausschnitts behalten, sagt sie, "wie wir wirklich waren".

Also gibt es sie, Erinnerungen an nackte Zehen auf heißer Straße. An Urlaube in Italien. An vermeintlich Authentisches. Kann man versöhnlich verstehen. Aber ist damit wirklich die immer wieder formulierte Frage beantwortet: Wofür haben wir gelebt?

Statt auf Godot: Warten auf den Weltuntergang

Es hat schon etwas fast Meditatives, dieser haltsuchenden Prä-Apokalypsen-Szene zuzuschauen, auch wenn die Gedanken auf der Bühne manchmal dann doch allzu haltlos durch die Gegend mäandern, sodass man selbst zu sehr den Faden verliert.

Existentialistisch kreist hier alles immer wieder um die gleichen Fragen, anstatt auf Godot warten die Frauen hier allerdings auf den Weltuntergang. Sie sind am Ende nicht viel schlauer als am Anfang. Man selbst auch nicht, aber um die großen Antworten geht’s auch nicht.

Dafür ist man ganz gut angekurbelt, mal wieder den eigenen Umgang mit Krisen, den eigenen Gewöhnungsprozess zu reflektieren. Es bleibt aber halt auch verflixt schwer, adäquat mit der drohenden Apokalypse umzugehen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.10.2024, 7:55 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

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1 Kommentar

  1. 1.

    Ganz nüchtern betrachtet, war die Erde Jahrmillionen und Mrd. von Jahren vor uns da und nichts spricht dagegen, dass sie auch Millionen und Milliarden von Jahren nach uns da sein wird.

    Nicht wir retten "die Welt", wir sorgen für uns erträgliche Lebensbedingungen oder wir nehmen mehr und mehr in Kauf, Ganzkörperanzüge in Australien, auch und gerade zu Hochsommerzeiten keine Körperpartie ausgelassen, die Freude über die umfangreichste Liquidität, die es je gab.

    So ist es, mehr Übel als zum Wohl: Der Mensch gewöhnt sich an alles. Viel wäre gewonnen, statt über Schuld über die gegebene Verantwortung zu reden, wo die Handhabe doch bei Menschen liegt.

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