Ausstellung | "Böse Blumen" in Berlin - Irritierte Flora

Über 120 Exponate in der Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigen die menschlichen Abgründe des einst skandalösen Gedichtbands "Les Fleurs du Mal". Die Faszination für florale Motive mit düsteren Inhalten scheint ungebrochen zu sein. Von Julia Sie-Yong Fischer
Blumen können für vieles stehen: Schönheit, Unschuld, Wachstum, Frieden. Und sie überbringen manchmal auch eine versteckte Nachricht: Eine rote Rose signalisiert romantische Absicht, rote Nelken proletarische Solidarität, Tulpen Freundschaft. Ihre Ästhetik dekoriert, beschenkt und erfreut Liebhaber:innen als auch Politiker:innen.
Aber es gibt auch unkonventionelle Exemplare wie die Rafflesie, die sich als Schmarotzerin von Insekten ernährt, die sich von ihrem Aasgestank angezogen fühlen. Aber wirklich "böse" kann eine Blume nur dann sein, wenn sie von Menschen so gesehen und dazu erklärt wird.
Unmoralische Poesie
Von einer eher pessimistischen menschlichen Perspektive soll auch die Ausstellung "Böse Blumen" in der Sammlung Scharf-Gerstenberg handeln. Nämlich um die des Gedichtbands "Les Fleurs du Mal" des französischen Lyrikers Charles Baudelaire aus dem Jahr 1857. Dieser besteht aus etwa 100 Gedichten, von welchen kein einziges nach dem Titel benannt wurde.
Das Werk gilt heute als Wegbereiter der Moderne, damals sahen Zeitgenoss:innen das noch anders: Baudelaire und sein Verleger wurden wegen "Beleidigung der öffentlichen Moral" verklagt, sechs Gedichte wurden verboten, der Band aus Abscheu verbrannt. In seiner Lyrik nimmt er das urbane Leben unter die Lupe, welches durch die Industrialisierung und die politischen Umbrüche seiner Zeit durchaus widersprüchlich war. Die Verelendung von Arbeiter:innen stand im Kontrast zu dem verheißungsvollen Wohlstand der Nation, der sich unter anderem durch den blühenden Kolonialismus nährte. Auch in seinen Liebesgedichten widmet er sich nicht konventioneller, schöner Romantik, sondern beschreibt Morbidität, Perversion und Rausch.
Dunkles Bouquet
Die gezeigte Kunst soll laut den Ausstellungsmachenden aber nicht als Illustration für die "Fleurs du Mal" dienen, auch wenn sie die für das Buch von Baudelaire selbst authorisierte Grafik "Les Épaves" (1866) von Félicien Rops gleich zu Beginn zeigt. Auf diesem Blatt zeigt er die sieben Todsünden in Form von Pflanzen, die sie symbolisch repräsentieren.
Aber zumindest die inhaltliche Struktur mit den Kapiteln Depression, Eros und Rausch, Krankheit und Verfall, Surrogate, Kitsch und Irrgärtnerei für die Themenfelder der Ausstellung sind dem Sammelband entlehnt. Und tatsächlich sind es dadurch sehr viele und unterschiedliche Arbeiten: Von Installationen, Skulpturen, Video, Grafik, Fotografie und Malerei aus dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart ist fast alles Erdenkliche dabei.

Fiese Pflanzen
Den Anfang machen Werke, die sich als Hommage "Les Fleurs du mal" genannt haben oder sich direkt auf konkrete Inhalte der Gedichte beziehen. Es ist bemerkenswert, dass Künstler:innen, die maßgeblich von Baudelaire inspiriert wurden, seinen Titel wortwörtlich mit Pflanzen umsetzten. Ein bekanntes Beispiel ist das gleichnamige Gemälde (1922-24) der dadaistischen Künstlerin Hannah Höch: Auf dunklem Untergrund blitzen einzelne geometrisch vereinfachte Blätter und Stiele in zurückgenommener Farbigkeit auf. Im Zusammenspiel mit dem Titel können sie schon eher als Pflanzen gelesen werden, dennoch bleiben sie inhaltlich und ästhetisch im Vagen.
Auch Otto Piene zeigt mit "Fleurs du Mal" (1969) Blumen in Dunkelheit. In einem separaten Raum werden die langen Stängel mit den stachelförmigen Blättern aus schwarzer Kunstseide mit Luft aufgepumpt. Dazu flackern Stroboskoplichter und es ertönt ein lauter Sound, der nach verstärkten Staubsaugern klingt. Die Pflanzen scheinen einen Geistertanz aufzuführen, der durch Schatten und Licht noch unheimlicher wirkt. Das Böse scheint hier in der Aktivität der Gewächse zu stecken, die trotz ihrer Verwurzelung wie von einem Dämon besessen unkontrolliert zucken und zappeln. Nach kurzer Zeit stoppen Licht, Gebläse und Ton und die Blumen sacken langsam in sich zusammen, welken erschlafft. Leben und Tod in einer unaufhaltsamen Wiederholung.

Nicht nur Kunst
Politischer wird es im letzten Teil: Die Installation "Harvest of Time" (2023) (deutsch: Zeiternte) der kurdischen Künstlerin Fatoş İrwen besteht aus einem Erdboden, aus dem bräunliche Baumwollpflanzen herausragen. Die sonderbaren Kugelblüten bestehen näher betrachtet aus Haaren ihrer Mitinsass:innen, die sie in der Zeit ihrer dreijährigen Inhaftierung sammelte.
Neben Kunstwerken sind auch andere Ausstellungsstücke zu sehen: Mit KI-generierte Coronaviren und Pressebilder von 9/11 oder Hiroshima zeichnen in ihren Formen mit etwas Fantasie auch "Blumen des Grauens" nach. Hier fängt das Ausstellungskonzept sich zu öffnen, teilweise diffus zu werden. So auch bei der Wahl von Leni Riefenstahls Filmausschnitt aus "Triumph des Willens"(1935), bei der sie SA- und SS-Märsche propagandistisch in Szene setzt.
Gleich daneben positioniert sind ihre "Impressionen aus dem Meer" (2002), in der sich Fischschwärme vermeintlich in ähnlicher Ordnung aneinanderreihen und los schwimmen. Eine skurrile, fast schon künstlerische Anordnung, die eine seltsame Eigendynamik entwickelt.

Doch die Schau möchte nicht gefallen und gerät laut Einleitungstext der Kuratorin Kyillikki Zacharias "an die Grenzen des guten Geschmacks“. Vor Start der Ausstellungsplanung hatte Zacharias die Befürchtung, dass die einzelnen Positionen dem ausdrucksstarken Titel nicht das Wasser reichen könnten. Dem kann an dieser Stelle widersprochen werden, denn es gibt hier viele in sich komplexe und interessante Arbeiten zu sehen.
Und überraschenderweise sind sie hier doch zu finden: die guten und normativ schönen Blumen. Unter dem Begrüßungstext stecken sie aus bunter Seide von einer sächsischen Manufaktur gefertigt, die auch das englische Königshaus regelmäßig beliefert.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.12.2024, 18:50 Uhr
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