Eklat bei Preisverleihung - Wegner und Roth kündigen Aufarbeitung von Israel-Kritik bei Berlinale an
Israel-kritische Aussagen von Filmschaffenden bei der Abschlussgala der Berlinale stoßen auf ein heftiges Echo. Berlins Regierender Bürgermeister Wegner hat nun Gespräche mit der Festival-Leitung und Kulturstaatsministerin Roth angekündigt.
- Anti-israelische Statements bei Berlinale-Preisverleihung
- Israels Botschafter spricht von antisemitischer Rhetorik
- Berlins Regierender Bürgermeister: Berlinale muss Vorfälle aufklären
- Kulturstaatsministerin Roth will Vorkommnisse aufarbeiten
- Bildungsstätten-Direktor Mendel fordert mehr Gelassenheit in Debatte
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat die israel-kritischen und pro-palästinensischen Interventionen während der Berlinale-Preisverleihung scharf kritisiert. Die Geschäftsführung der Filmfestspiele müsse für Aufklärung sorgen, sagte Wegner bei der Veranstaltung "Kai Wegner vor Ort" im Berliner Maison de France am Montagabend.
Wegner: Berlinale kein Platz für Hass und Hetze
Hass und Hetze gehörten nicht auf eine solche Veranstaltung, mahnte der CDU-Politiker. Der Berlinale sei dadurch "schwerer Schaden" entstanden, auch international. "Ich erwarte Aufklärung, zumal es dabei auch um strafrechtlich relevante Vorgänge geht", erklärte der Regierende Bürgermeister, der selbst bei der Preisverleihung vor Ort war. Er werde zeitnah das Gespräch dazu mit der neuen Festival-Leitung der Berlinale suchen. "Diese Bilder, diese Töne will ich nicht aus Berlin sehen und hören".
Wegner kündigte an, über die Vorfälle auch "sehr zeitnah" mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zu sprechen.
Roth kündigt Aufarbeitung an
Die "Vorkommnisse" würden sie gemeinsam aufarbeiten und untersuchen, ob die Berlinale ihrem Anspruch, ein Ort für Vielfalt und Dialog zu sein, gerecht geworden sei, hatte Roth zuvor gesagt.
"Die Statements bei der Bären-Verleihung waren erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israelhass geprägt", so die Staatsministerin. Sie habe die Berlinale im Vorfeld darauf hingewiesen, dass sie sich auf diese schwierige Situation vorbereiten müsse.
Vorwürfe von "Genozid" und "Apartheid" gegenüber Israel blieben unerwidert
Während der Berlinale-Preisverleihung war der israelische Staat von mehreren Kulturschaffenden heftig kritisiert worden, unter anderem warf der US-Amerikanische Regisseur Ben Russell Israel vor, einen Völkermord in Gaza zu begehen. Der israelische Journalist Yuval Abraham sprach von einer Apartheid im Westjordanland und forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern.
Abrahams Dokumentarfilm "No other Land", den er gemeinsam mit palästinensischen Filmemachern produzierte, beschäftigt sich mit der Vertreibung von Palästinensern aus Dörfern im Westjordanland und wurde bei der Verleihung mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet, der von Radioeins in Zusammenarbeit mit der Berlinale verliehen wird. Auch bei der Filmpremiere hatten sich die Filmemacher bereits ähnlich geäußert, im Kinosaal waren Parolen wie "Free Palestine" zu hören gewesen.
Die Äußerungen bei der Preisverleihung blieben unerwidert und bekamen Applaus. Auch nonverbal positionierten sich Kulturschaffende im Konflikt, beispielsweise mit Ansteckern. Eine Einordnung der Aussagen, beispielsweise durch Hinweis auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober durch die Moderation der Gala erfolgte nicht.
Israelischer Botschafter Prosor entsetzt
In der Folge kritisierten vor allem Politikerinnen und Politiker die Fesitvalleitung und auch Claudia Roth. Der israelische Botschafter Ron Prosor beispielsweise schrieb am Sonntagabend auf X: "Auf der Berlinale wurden antisemitische und israelfeindliche Äußerungen mit tosendem Applaus bedacht." Die "deutsche Kulturszene" habe "einmal mehr" Einseitigkeit gezeigt, in dem Künstlern der rote Teppich ausgerollt worden sei, die sich für die Deligitimierung des Staates Israel einsetzten. Antisemitische und antiisraelische Rhetorik sei "unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit" zelebriert worden.
Berlinale: "Stellen uns explizit gegen Diskriminierung und jeglichen Hass"
Aus Sicht des Zentralrats der Juden wurde "schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht". Bei der documenta fifteen hatte es vor zwei Jahren heftige Auseinandersetzungen um antisemitische Kunstwerke gegeben. Damals hatte die Leitung nur zögerlich reagiert.
Die Berlinale-Spitze reagierte am Tag nach der Verleihung. "Wir stellen uns explizit gegen Diskriminierung und jeglichen Hass", hieß es dort. Äußerungen von Preisträgerinnen und Preisträgern seien unabhängige individuelle Meinungen. "Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder." Zudem distanzierte sich die Berlinale von einem israelfeindlichen Instagram-Beitrag, der zuvor auf einem Konto einer Berlinale-Reihe veröffentlicht worden war. Der Instagram-Kanal sei gehackt, die Posts sofort gelöscht worden. Die Berlinale habe Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.
Scholz verurteilt "einseitige Positionierung"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte die israelkritischen Äußerungen am Montag. Scholz teile es, "dass eine derart einseitige Positionierung so nicht stehen gelassen werden kann", sagte eine Regierungssprecherin. Es sei in jeder Debatte zu diesem Thema wichtig, im Auge zu behalten, was diese erneute Eskalation des Konflikts ausgelöst habe - nämlich der Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober.
CSU-Chef Markus Söder sagte in München: "Antisemitismus in der Form in der Kultur ist für uns erschreckend." Wie zahlreiche andere Politiker kritisierte er auch Kulturstaatsministerin Roth, die wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Gala-Publikum saß.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck, hatte Kulturstaatsministerin Roth am Montagmorgen im Interview mit Radioeins eine zögerliche Haltung vorgeworfen. Es brauche endlich eine Strategie, die "antisemitismuskritische Stimmen" stärke und solche Vorkommnisse "nicht einfach laufen lässt", so Beck.
Die Berlinale wird vom Bund getragen und vom Land gefördert.
Roth: Nicht akzeptabel, dass Taten der Hamas unerwähnt blieben
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sowie mehrere Politikerinnen und Politiker aus seiner schwarz-roten Regierung hatten bereits am Sonntagabend eine Reaktion der Festivalleitung gefordert. "Berlin hat eine klare Haltung, wenn es um die Verteidigung der Freiheit geht. Das bedeutet auch, dass Berlin fest an der Seite Israels steht", hatte Wegner dem rbb mitgeteilt.
Am Montag reagierte Claudia Roth und kündigte die Aufarbeitung gemeinsam mit Wegner an. Es gehe auch darum, zu klären, wie künftig sichergestellt werden könne, dass die Berlinale ein Ort ist, der frei von Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit sei, so Roth. Es sei nicht akzeptabel, dass an einem solchen Abend weder der "bestialische Terrorangriff der Hamas", noch die immer noch mehr als 130 Geiseln der Hamas und auch nicht die menschenverachtende Strategie der Hamas in Gaza benannt werde. Nur die Festivalchefin Mariette Rissenbeek habe dies klar getan, "das reicht aber nicht", so Roth.
Sie kündigte an, mit der künftigen Intendantin der Berlinale Tricia Tuttle sprechen zu wollen. "Wir werden gemeinsam die nötigen Schlüsse aus der Aufarbeitung dieser Berlinale ziehen", so Roth. An der künstlerischen Freiheit und Unabhängigkeit wolle sie aber nicht rütteln. Diese gehe aber auch mit einer großen Verantwortung einher.
Mendel fordert mehr Gelassenheit in Berlinale-Debatte
Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, hat angesichts der Debatte zu mehr Gelassenheit gemahnt. Zu sagen, es sei mit staatlichen Geldern Antisemitismus finanziert worden, schieße deutlich über das Ziel hinaus, sagte Mendel am Montag im rbb. Wenn einzelne Preisträger die Bühne instrumentalisieren, um politische Botschaften zu senden, dann brauche man das auch nicht untersuchen, so Mendel im Interview bei rbb Kultur.
Ihm fehle die Phantasie, wie so etwas in Zukunft verhindert werden soll. So könne er sich nicht vorstellen, dass die Wettbewerbsteilnehmer vorher nach ihrer politischen Meinung gefragt werden und je nachdem würden dann die Preise verliehen oder nicht. Das hätte zu einer weiteren Eskalation beigetragen - genauso wenn jemand auf die Bühne gesprungen und einem der Preisträger das Palästinenser-Tuch entrissen hätte. Der Publizist und Historiker warnte, gerade die Kritik, die derzeit von vielen Politikern laut werde, führe dazu, dass solche Provokationen auf der Bühne mehr Aufmerksamkeit bekämen.
"Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen lernen, solche Debatten auszuhalten. Es wird nicht anders funktionieren", sagte Mendel der Deutschen Presse-Agentur. Eine Verbotskultur und Versuche, alles von der Politik zu regulieren, funktionierten nicht.
Nach seiner Erfahrung schaden solche Debatten bei der Bekämpfung von Antisemitismus mehr, als dass sie nützten. "Es wäre falsch, alle diejenigen, die Israel einseitig und mit zum Teil auch radikalen Positionen kritisieren, als Antisemiten zu bezeichnen."
Mendel warnte zudem vor Ausgrenzung. "Wir bekämpfen eine Ideologie des Boykotts des Staates Israel. Nun wird versucht, dagegen mit genau den gleichen Mitteln vorzugehen, nämlich mit Boykott von denjenigen, die Israel einseitig kritisieren. Die Antwort auf Boykott kann nicht Boykott sein. Die Antwort auf Boykott kann nur Begegnung, Diskurs, Streit sein."
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.02.2024, 13 Uhr