Interview | Mariëtte Rissenbeek - "Wir wünschen uns, dass die Berlinale nicht zur Polarisierung beiträgt"
Die Einladung von AfD-Politikern zur Eröffnung der Berlinale führt vorab zu Aufregung. Die Kritik nehme sie sehr ernst, sagt Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek im Interview. Doch das Festival stehe auch in erster Linie für Austausch und Dialog.
rbb: Frau Rissenbeek, haben Sie manchmal das Gefühl, dass über der Chatrian-Rissenbeek-Ära doch ein bisschen ein Fluch liegt?
Mariëtte Rissenbeek: Da kann ich gar nicht richtig nein sagen. Es kommen jedes Jahr andere Themen hoch. Kaum hat man gedacht, man hat Lösungen gefunden, ist wieder etwas ganz Neues da.
Im Augenblick geht es darum, dass AfD-Abgeordnete und -Mitglieder zur feierlichen Eröffnung der diesjährigen Berlinale eingeladen sind. Jetzt wird öffentlich diskutiert, ob das richtig ist. Wie kam es dazu, und wie müssen Sie sich als Berlinale dazu verhalten?
Wir bekommen Einladungslisten für Kontingente, die wir sowohl der BKM, also dem Staatsministerium für Kultur und Medien, wie auch der Senatskanzlei zur Verfügung stellen. Jedes Jahr bekommen wir von beiden Institutionen Listen mit Namen und E-Mail-Adressen. Dann laden wir diese Menschen ein. Die Listen werden so zusammengestellt, dass Menschen, die im Parlament [Anm. d. Red.: gemeint ist hier der Bundestag] oder im Abgeordnetenhaus für Kultur und Medien zuständig sind, auf diesen Listen stehen. Dass AfD-Politiker oder -Politikerinnen auf diesen Listen stehen, war uns bewusst, weil diese Menschen in den Parlamenten sitzen. Diese Partei hat viele Vertreter im Parlament und im Abgeordnetenhaus, gerade im Ausschuss für Kultur und Medien, der dann sehr Berlinale-bezogen ist.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass AfD-Politiker bei einer Eröffnung oder einer anderen öffentlichen Veranstaltung, bei denen Parlamentarier oder Abgeordnete eingeladen sind, dabei sind.
Genau, das passiert öfter.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Situation ist in diesem Jahr vielleicht anders geworden durch die Petition, dass wir sie wieder ausladen sollen. Ich werde dazu auch noch mal mit den beiden Institutionen sprechen, weil die Sensibilität der Öffentlichkeit für die AfD durch deren neuerliche Ausführungen, wie sie mit Immigration und anderen Themen gedenken, die Zukunft gestalten zu wollen, eine andere ist. Das muss ich ernst nehmen und will mich deshalb noch mal tiefer damit befassen, als wir das in einem normalen Jahr tun.
Wie sehr belastet es Sie, sich immer wieder positionieren zu müssen?
Als Festival wollen wir uns nicht positionieren, wir möchten für Austausch, Kommunikation, Dialog da sein. Jede Art von Positionierung führt zu mehr Polarisierung. Und diese Polarisierung ist im Moment ein sehr großes Thema in der Gesellschaft. Es ist sehr schwer sich als Festival nicht daran zu beteiligen. Aber wir wünschen uns, dass wir nicht zur Polarisierung beitragen.
Schauen Sie jetzt mit Sorge auf die Eröffnung und auf das, was alles passieren kann?
Ich bin sehr gespannt, wie es bei der Eröffnung sein wird, aber sorge mich eigentlich nicht. Ich glaube, die Berlinale ist ein sehr starkes Podium. Und unser Publikum, aber auch die Menschen, die zur Eröffnung kommen, sind zu fast 100 Prozent auf unserer Seite, vertreten unsere Werte. Also ich habe eigentlich keine Angst, dass die Demokratie das nicht aushält.
Es hätte zu schön sein können, wenn einfach mal eine reibungslose letzte Berlinale stattgefunden hätte. Der Alfred-Bauer-Preis, Bauarbeiten am Potsdamer Platz, Kinos, die geschlossen werden mussten, Bahnsperrungen, die Pandemie, der Ukraine-Krieg, der Nahost-Konflikt: Es war und ist eine sehr schwere Zeit für Sie. Wahrscheinlich war es gar nicht möglich, überhaupt die eigene Berlinale, die eigene Rissenbeek-Chatrian-Ära zu erschaffen?
Tatsächlich habe ich unsere Presse-Frau mal gefragt, die sehr lange beim Festival ist, ob es schon mal eine Phase von fünf Jahren gab, wo so viel aufeinander gekommen ist. Sie sagte nein, das sei für sie auch ganz neu. Also, es ist schon sehr dicht gewesen, was alles an Sonderlösungen gefunden werden musste, um sehr plötzlich auftretende Probleme oder Situationen zu bewältigen. Von daher war es eine teilweise richtig harte Schule. Es gab so viele Rahmenbedingungen, die dem, was man umsetzen konnte, einfach Grenzen gesetzt haben.
Bei so viel Adrenalin – ist da überhaupt Kraft und Raum geblieben, um die Berlinale zu gestalten, die sie gestalten wollten?
Das ist eine gute Frage. Ich habe viel Energie in all diese Themen gesteckt. Ich habe mir jetzt überlegt: Wie kann ich meine letzte Berlinale so gestalten, dass ich auch mir selbst einen guten Abschied geben kann? Die Momente nochmal zu genießen, sich klarzumachen, dass die Filme und Filmschaffenden, die man im Programm hat, ganz besondere sind, zu wissen, dass die Berlinale im internationalen Umfeld eine sehr deutliche gesellschaftspolitische Stimme hat. Es war für mich immer wichtig, meine Arbeit so zu machen, dass ich selbst als Mensch, als Person dahinter stehen kann. Ich hoffe, dass ich das bei dieser Berlinale nochmal so richtig bewusst erleben kann.
Wie unglücklich sind Sie mit der Form ihres Abschieds? Der hatte leider einen etwas schalen Beigeschmack, weil sich am Ende Carlo Chatrian ebenfalls verabschiedet hat.
Ich hatte schon im März beschlossen, dass ich keinen neuen Vertrag ab März 2024 will. Toll finde ich an dem Resultat, dass endlich eine Frau an der Spitze der Berlinale steht: In Cannes und Venedig sind seit Beginn nur Männer an der Spitze. Die Doppelspitze war eine gute Konstruktion, weil Carlo Chatrian von Anfang an gesagt hat, er möchte nicht für Budget und Organisation verantwortlich sein. Aber ich denke, dass Tricia Tuttle als alleinige Person das auch gut führen wird. Und ich bin froh, dass mit ihr ein guter Name steht. Ich bin sehr davon überzeugt, dass dieses Festival eine große Existenzberechtigung hat und auch unbedingt zukunftsfähig bleiben soll.
Es waren schwierige Jahre, auf die Sie zurückblicken. Aber es ist sicherlich auch viel Schönes passiert. Woran können Sie sich am meisten erinnern?
Also ehrlich gesagt, habe ich mich letztes Jahr sehr berührt gefühlt, als ich Joan Baez auf dem roten Teppich traf. Sie ist jemand, die ich aus den 1970er Jahren noch sehr gut in Erinnerung habe mit ihren Themen, die aber auch heute noch genauso virulent sind. Und wir haben nur fünf Minuten gesprochen, aber es war ein sehr echtes Gespräch, und das werde ich auf jeden Fall mitnehmen.
Was machen Sie nächstes Jahr im Februar?
Da gehe ich vielleicht auf eine einsame Insel und lege mich in die Sonne.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alexander Soyez.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.02.2024, 10:45 Uhr