Angriffe auf Studenten am Uni-Campus Golm - "Ich habe nichts als Hass in diesen Augen gesehen"
Nach tätlichen Angriffen auf Studierende fordert die Universität Potsdam Maßnahmen gegen gewalttätige Jugendliche, die immer wieder am Campus Golm in Erscheinung treten. Die Polizei sieht zunächst keinen besonderen Handlungsbedarf. Von Sara Simons
"Die Landeshauptstadt Potsdam muss in Schwung kommen", sagt Silke Engel, die Pressesprecherin der Universität Potsdam. Potsdam sei eine tolerante und weltoffene Stadt. "Nur weil das jetzt in Golm ist, ein bisschen jenseits der Innenstadt, kann man nicht einfach sagen, da muss die Universität selbst sehen, wie sie klarkommt." Stattdessen müsse man gemeinsam mit der Stadt an einem Strang ziehen, um das Problem zu bekämpfen, so Engel weiter.
Das Problem, von dem Engel spricht, ist eine Gruppe von Jugendlichen. In den vergangenen Monaten haben sie auf dem Campus Golm drei Mal Studierende angegriffen.
Situation eskaliert seit Monaten
"Es ging los als Randale von einer Gruppe von zehn bis zwölf Jugendlichen", erzählt Engel im Interview mit rbb24 Recherche. Erst hätten die Jugendlichen auf dem Campus nur gefeiert. Dann sei es immer öfter zu Vandalismus gekommen: Scheiben gingen zu Bruch, die Turnhalle wurde aufgebrochen, das Studentencafé der Universität verwüstet. Es gab Hakenkreuzschmierereien und rechte Musik soll lautstark abgespielt worden sein.
Studierende berichten von rassistischen und diskriminierenden Beleidigungen. Mit drei Angriffen auf Studierende eskalierte die Situation dann. [tagesspiegel.de]
Pöbeleien und Schläge
Zu den ersten Übergriffen kommt es im Juli und November vergangenen Jahres, in beiden Fällen trifft es ein Pärchen, das in Golm studiert. Die beiden möchten aus Angst vor den Angreifern namentlich nicht genannt werden. "Einer von denen hat geschrien, während ich auf den Kopf geschlagen wurde 'Deutschland! Ausländer raus!'", erzählt der junge Mann.
"Ich habe sie im Grunde genommen angefleht aufzuhören", erinnert sich seine Freundin. Einer der Täter habe sie mit einem hasserfüllten Blick angeschaut. "Niemand hat mich jemals zuvor so angesehen. Ich habe wirklich nichts als Hass in diesen Augen gesehen."
Der jüngste Vorfall ist erst wenige Wochen her. Das Opfer: ein Student. Er wird mehrfach geschlagen und queerfeindlich beleidigt.
Universität Potsdam ergreift Maßnahmen
"So etwas kann nicht toleriert werden", erklärt Pressesprecherin Silke Engel. "Wir sind eine Universität, die ein offenes Klima lebt. Wir setzen uns für eine demokratische Kultur ein, die die Gleichheit aller Menschen vorlebt und dafür einsteht." Die Universität selbst habe Maßnahmen ergriffen, um weiteren Vorfällen vorzubeugen. So wurden die Schließzeiten der Gebäude verändert und das Sicherheitspersonal kontrolliert jetzt häufiger.
Die Gruppe Jugendlicher ist auf dem Campus schon länger bekannt, aber die Universität allein kann die Probleme mit den Jugendlichen nicht lösen.
Noch vor den tätlichen Angriffen im vergangenen Jahr hatten die Sozialarbeiterin und Ortsvorsteherin Kathleen Knier und ihre Kollegin einen Brandbrief verfasst. Knier wies schon damals auf eine sich immer mehr zuspitzende Situation durch die teils rechtsgerichteten Jugendlichen in Golm hin. Auch eine Auflistung der Sachbeschädigungen seit 2021 war Bestandteil des Briefes. Die Stadt Potsdam bewilligte daraufhin eine Sozialarbeiterstelle - die allerdings erst jetzt besetzt werden soll. Bislang fehlte das Geld.
Polizei: Golm kein kriminalitätsbelasteter Ort
Nicht nur die Stadt, auch die Polizei sieht zunächst keinen besonderen Handlungsbedarf: "Eine signifikante Straftatenhäufung im Phänomenbereich der Jugendkriminalität am Campus der Universität in Golm ist derzeit durch die Polizeidirektion West nicht festzustellen", schreibt die Polizeipressestelle auf rbb-Anfrage.
Die Situation vor Ort galt für die Polizei offensichtlich nicht als besonders ernst. Als die beiden Opfer nach dem ersten Angriff Hilfe riefen, hat es ihrer Darstellung nach längere Zeit gedauert, bis jemand kam. Den Umgangston empfanden die beiden als schroff.
Anzeige nach dem zweiten Angriff erstattet
Dass Polizei in Brandenburg oft mit Verspätung komme, sei ein Kapazitätsproblem, sagt Hannes Püschel vom Verein Opferperspektive. "Sich dann aber nicht zu entschuldigen, sondern den Opfern mit einem Vorwurf entgegenzutreten, verstärkt das Gefühl von Nichtachtung und von Nicht-Ernstnahme", erklärt er weiter. Wenn den Opfern nicht geglaubt wird, könne das zu einer "sekundären Viktimisierung" der Opfer führen, so Püschel. "Sie erleben das dann wie einen zweiten Angriff."
Das Verhalten der Polizeibeamten entmutigte die Betroffenen damals offenbar so sehr, dass sie sich zuerst gegen eine Anzeige entschlossen.
Erst nach dem zweiten Angriff erstatteten sie dann doch Anzeige. Die beiden hatten deswegen einen Termin bei der Polizei – ihre Zeugenaussage wurde noch einmal aufgenommen, wie sie sagen. Jetzt sei ihnen zugehört worden – mehr als vier Stunden.
"Ich hoffe, wir können endlich Frieden finden", sagt die junge Frau nach dem Termin. Erleichterung verspüre sie aber noch nicht. Das, so sagt sie "wird wohl erst passieren, wenn die Täter Konsequenzen für ihr Handel erfahren."
Die Angst bleibt
Auch bei ihrem Freund stellt sich nach dem Termin keine Erleichterung ein. Dafür verspürt er die Sorge, dass die Jugendlichen Rache üben könnten, weil sie sich an die Polizei gewendet haben und den Angriff öffentlich machen.
Er habe schon jetzt mit den psychischen Folgen der Schläge und Beleidigungen zu kämpfen, erzählt er. Jeden Tag gebe es Momente, in denen er sich in den Erinnerungen an die Übergriffe verliere. Und nicht nur das: "Ich wollte Lehrer werden, aber dieser Traum wurde mir genommen", denn seit den Übergriffen konnte er sein Studium kaum noch fortsetzten, konnte kaum noch Kurse besuchen, da ihn die Situation so sehr belaste.
Auch seine Freundin, mit der er gemeinsam nach Potsdam zog, ist durch die Vorfälle eingeschüchtert: "Alleine gehen wir eigentlich gar nicht mehr raus", erzählt sie, "einfach aus Angst und Sorge, dieser Gruppe Jugendlicher wieder zu begegnen."
Präventionsrat von Potsdam inzwischen involviert
Im März trafen die beiden wieder auf die Jugendlichen. Sie wurde beschimpft, er rassistisch beleidigt – körperlich wurden sie diesmal nicht angegangen, doch das Gefühl der Unsicherheit bleibt. Beide, so schildern sie, seien sich in einigem Momenten nicht mehr sicher, ob sie hier in Potsdam ihr Studium fortsetzen wollen. Nur klein beigeben, das wollen sie auch nicht.
Inzwischen hat sich auch der der Präventionsrat der Landeshauptstadt Potsdam des Themas angenommen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 17.04.2023, 19:30 Uhr