Probetag am Gymnasium - "Die ganze Situation an der Schule war sehr unkoordiniert"

Mila ist zwölf Jahre alt und geht in die sechste Klasse einer Berliner Grundschule. Weil sie danach ein Gymnasium besuchen möchte und ihr Schnitt über 2,2 liegt, musste sie am Freitag zum Probetag. Ihre Mutter und ihre große Schwester erzählen, wie es lief.
Seit diesem Schuljahr müssen Schüler und Schülerinnen, die zur Oberschule auf ein Gymnasium wechseln wollen, einen Notendurchschnitt von 2,2 oder besser haben. Ist ihr Schnitt schlechter, mussten sie am 21. Februar zum Probetag. Mila, die Tochter beziehungsweise kleine Schwester von Tina und Alina G., hat den Tag absolviert.
rbb|24: Hallo Tina und Alina G., Ihre Tochter beziehungsweise kleine Schwester Mila war heute beim ersten Probetag für künftige Gymnasiasten in Berlin. Wie war es?
Tina: Erst einmal war immerhin die Aufregung in all der Zeit vor dem Probetag schlimmer als der Tag selbst. Es war wirklich schwer, Mila vorzubereiten und immer wieder zu motivieren. Denn es ist ja ungewiss, ob sie überhaupt Glück damit hat. Meine Tochter ist insgesamt ein sehr aufgeregtes Kind und Prüfungssituationen sind nicht ihre Stärke. Dafür war sie erstaunlich gefasst heute morgen. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt.
Als sie dann aus der Schule rauskam, war sie dann aber doch frustriert. Denn es sind Dinge abgefragt worden, die sehr lange zurückliegen. Also Stoff, den sie in der vierten Klasse durchgenommen hat. Darauf hatten wir sie nicht vorbereitet – auch weil die Musterbeispiele diese Inhalte gar nicht angedeutet hatten.
Die ganze Situation vor Ort an der Schule war sehr unkoordiniert. Es waren über 200 Kinder da. Die Lehrkräfte vor Ort haben zwar sicherlich ihr Bestes getan, aber es war schwierig.
Alina: Als Mila rauskam meinte sie, dass es schlecht gelaufen sei und keinen Spaß gemacht habe. Ich fand es auch sehr schlecht koordiniert. Die Informationen darüber, wann was genau stattfindet und wann man sein Kind wieder abholen kann, waren desaströs. Als wir Mila dann abholen wollten hieß es, es daure noch eine halbe Stunde länger. Für jedes der 200 Kinder war ja ein Erziehungsberechtigter vor Ort – und in der Regel müssten die eigentlich alle arbeiten. Da schienen viele frustriert über den Ablauf.
Sie haben gerade Musterbeispiele erwähnt, mit denen man sich vorbereiten konnte. Von wem kamen die? Woher und wie kamen überhaupt Informationen im Vorfeld?
Tina: Eigentlich sollte so eine Prüfung für diesen Jahrgang ja gar nicht stattfinden. Die Regeln für den Zugang ans Gymnasium sollten erst im kommenden Schuljahr geändert werden. Im Sommer hieß es dann, dass es doch schon jetzt käme. Aber wie das im Detail für die betroffenen Kinder aussehen könnte, so einen "Hospitationstag" zu absolvieren, wusste erst mal niemand. Irgendwann hieß es dann, es werde ein Test daraus. Das erfuhr man aber erst zum Ende des Jahres 2024. Da hieß es, es ginge um Englisch, Deutsch und Mathe. Themengebiete oder Beispiele, anhand derer sich die Kinder vorbereiten konnten, gab es keine. Es hieß dann nur, es gebe eine schriftliche Überprüfung an einer fremden Schule, die noch nicht feststand. Erst im neuen Jahr gab es die Information, dass es Musterübungen für Deutsch und Mathe gibt – Englisch schien vom Tisch zu sein. Diese Übungen musste man aktiv beim Senat suchen.
Und was waren das für Übungen?
Tina: Ich fand die Übungsaufgaben sehr human. Aber da hieß es ja auch, es seien nur Musteraufgaben. Sie waren auf jeden Fall recht kurz und vom Niveau her gut schaffbar für im Prinzip jedes Kind. Aber jeder erzählte auch plötzlich was anderes, jeder hatte was anderes gehört. Keiner, auch die Grundschule, wusste, wie dieser Tag überhaupt gestaltet sein würde.
Alina: Wir hatten auch Kontakt zur Schulleitung aufgenommen – aber die war auch überfragt.
Sie haben jetzt schon gesagt, dass die Aufregung von Mila sehr groß war vor diesem Probetag. Was war Milas Hauptproblem?
Alina: Da kommen viele Faktoren zusammen. Einmal weiß sie ja, dass es Kinder gibt, die andere Leistungen erbringen als sie selbst. Ihr Schnitt gibt ja vor, dass ihre Leistungen – in ihrem Fall liegen die bei exakt 2,3 – nicht ausreichen. Das macht ihr Druck.
Aber es war auch das ganze Setting dieses Probetags: an eine fremde Schule und in ein fremdes Umfeld zu müssen, an dem sie niemanden kennt.
Tina: Ich denke auch, dass die Ungewissheit das Schlimmste für Mila war. Sie hat insgesamt oft Versagensängste. Es wäre ihr sicherlich leichter gefallen, wenn sie gewusst hätte, worauf sie sich vorbereiten kann.
Alina: Es musste ja auch eine Gruppenarbeit absolviert werden, damit zu sehen ist, wie das Kind mit den anderen interagiert. Die Kinder kannten einander ja alle gar nicht. Trotzdem wussten sie, dass ihr Verhalten für ihre Zukunft gewertet wird. Das hat meiner Schwester enorm auf den Magen gedrückt.
Wäre das bisherige Probejahr besser gewesen für Mila?
Alina: Auf jeden Fall.
Tina: Ja, auf jeden Fall.
Alina: Als ich vor einigen Jahren in der Situation war, hatte ich ein Probehalbjahr. Mir hat das den Druck genommen. Denn auch wenn ich mal einen schlechten Tag hatte, war nicht gleich meine ganze Zukunft in der Tonne.
Tina: Der große Unterschied ist ja, dass alle Kinder dieses Probehalbjahr oder -Jahr hatten. Das hatte ja mit der Förderprognosen-Note gar nichts mehr zu tun.
Warum soll Mila eigentlich unbedingt auf ein Gymnasium?
Tina: Wir sind gar nicht so fixiert auf ein Gymnasium. Doch die Auswahl der weiterführenden Schulen, die für uns in unserem Bezirk - auch von der Entfernung und vom Umfeld her - in Frage kommen, ist klein. Es gibt einige sehr beliebte ISSen in der Nähe. Doch auf die wollen leistungsstarke Kinder aus ganz Berlin.
Da kommen auf 100 Schulplätze gern mal 300 bis 500 Bewerbungen. Hier gehen Plätze vorrangig an Geschwisterkinder, Kinder mit Härtefallreglung, oder zum Beispiel mit Erstsprache Französisch. Danach geht es dann meist um den Notendurchschnitt. Demnach ist für Mila mit ihrem Durchschnitt die Chance gleich null. Denn diese Schulen filtern dann ja auch wieder nach dem Notendurchschnitt. Deshalb war es von uns eine strategische Entscheidung, sie den Eignungstest machen zu lassen.
Das heißt, ein Schnitt wie Mila ihn hat – wir sprechen von 2,3 – reicht nicht aus, um in Ihrem Bezirk sicher auf eine Oberschule mit gutem Ruf zu kommen?
Alina: So ist das. Auch die Integrierten Sekundarschulen und die Gemeinschaftsschulen liegen – auch durch die große Nachfrage - oft weit unter diesem Schnitt. Im Prinzip verlangen diese Schulen Leistungen, die das gymnasiale Niveau abdecken.
Die ISSen bekommen so viele Anfragen – und durch die Neuregelung des Zugangs zum Gymnasium jetzt ja noch mehr. Diese Schüler:innen müssen ja alle irgendwohin verteilt werden. Ab jetzt werden die Gymnasien zwar etwas entlastet, doch der Druck wird ja nur woanders hin verlagert.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Inforadio, 21.02.2025, 18:00 Uhr