Probetag am Gymnasium - "Die ganze Situation an der Schule war sehr unkoordiniert"

Fr 21.02.25 | 20:30 Uhr
  40
Symbolbild: Eine Schülerim am Schreibtisch. (Quelle: dpa/Ute Grabowsky)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.02.2025 | Lion Talir | Bild: dpa/Ute Grabowsky

Mila ist zwölf Jahre alt und geht in die sechste Klasse einer Berliner Grundschule. Weil sie danach ein Gymnasium besuchen möchte und ihr Schnitt über 2,2 liegt, musste sie am Freitag zum Probetag. Ihre Mutter und ihre große Schwester erzählen, wie es lief.

Seit diesem Schuljahr müssen Schüler und Schülerinnen, die zur Oberschule auf ein Gymnasium wechseln wollen, einen Notendurchschnitt von 2,2 oder besser haben. Ist ihr Schnitt schlechter, mussten sie am 21. Februar zum Probetag. Mila, die Tochter beziehungsweise kleine Schwester von Tina und Alina G., hat den Tag absolviert.

rbb|24: Hallo Tina und Alina G., Ihre Tochter beziehungsweise kleine Schwester Mila war heute beim ersten Probetag für künftige Gymnasiasten in Berlin. Wie war es?

Tina: Erst einmal war immerhin die Aufregung in all der Zeit vor dem Probetag schlimmer als der Tag selbst. Es war wirklich schwer, Mila vorzubereiten und immer wieder zu motivieren. Denn es ist ja ungewiss, ob sie überhaupt Glück damit hat. Meine Tochter ist insgesamt ein sehr aufgeregtes Kind und Prüfungssituationen sind nicht ihre Stärke. Dafür war sie erstaunlich gefasst heute morgen. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt.

Als sie dann aus der Schule rauskam, war sie dann aber doch frustriert. Denn es sind Dinge abgefragt worden, die sehr lange zurückliegen. Also Stoff, den sie in der vierten Klasse durchgenommen hat. Darauf hatten wir sie nicht vorbereitet – auch weil die Musterbeispiele diese Inhalte gar nicht angedeutet hatten.

Die ganze Situation vor Ort an der Schule war sehr unkoordiniert. Es waren über 200 Kinder da. Die Lehrkräfte vor Ort haben zwar sicherlich ihr Bestes getan, aber es war schwierig.

Alina: Als Mila rauskam meinte sie, dass es schlecht gelaufen sei und keinen Spaß gemacht habe. Ich fand es auch sehr schlecht koordiniert. Die Informationen darüber, wann was genau stattfindet und wann man sein Kind wieder abholen kann, waren desaströs. Als wir Mila dann abholen wollten hieß es, es daure noch eine halbe Stunde länger. Für jedes der 200 Kinder war ja ein Erziehungsberechtigter vor Ort – und in der Regel müssten die eigentlich alle arbeiten. Da schienen viele frustriert über den Ablauf.

Sie haben gerade Musterbeispiele erwähnt, mit denen man sich vorbereiten konnte. Von wem kamen die? Woher und wie kamen überhaupt Informationen im Vorfeld?

Tina: Eigentlich sollte so eine Prüfung für diesen Jahrgang ja gar nicht stattfinden. Die Regeln für den Zugang ans Gymnasium sollten erst im kommenden Schuljahr geändert werden. Im Sommer hieß es dann, dass es doch schon jetzt käme. Aber wie das im Detail für die betroffenen Kinder aussehen könnte, so einen "Hospitationstag" zu absolvieren, wusste erst mal niemand. Irgendwann hieß es dann, es werde ein Test daraus. Das erfuhr man aber erst zum Ende des Jahres 2024. Da hieß es, es ginge um Englisch, Deutsch und Mathe. Themengebiete oder Beispiele, anhand derer sich die Kinder vorbereiten konnten, gab es keine. Es hieß dann nur, es gebe eine schriftliche Überprüfung an einer fremden Schule, die noch nicht feststand. Erst im neuen Jahr gab es die Information, dass es Musterübungen für Deutsch und Mathe gibt – Englisch schien vom Tisch zu sein. Diese Übungen musste man aktiv beim Senat suchen.

Die Informationen darüber, wann was genau stattfindet und wann man sein Kind wieder abholen kann, waren desaströs

Alina G. aus Berlin

Und was waren das für Übungen?

Tina: Ich fand die Übungsaufgaben sehr human. Aber da hieß es ja auch, es seien nur Musteraufgaben. Sie waren auf jeden Fall recht kurz und vom Niveau her gut schaffbar für im Prinzip jedes Kind. Aber jeder erzählte auch plötzlich was anderes, jeder hatte was anderes gehört. Keiner, auch die Grundschule, wusste, wie dieser Tag überhaupt gestaltet sein würde.

Alina: Wir hatten auch Kontakt zur Schulleitung aufgenommen – aber die war auch überfragt.

Sie haben jetzt schon gesagt, dass die Aufregung von Mila sehr groß war vor diesem Probetag. Was war Milas Hauptproblem?

Alina: Da kommen viele Faktoren zusammen. Einmal weiß sie ja, dass es Kinder gibt, die andere Leistungen erbringen als sie selbst. Ihr Schnitt gibt ja vor, dass ihre Leistungen – in ihrem Fall liegen die bei exakt 2,3 – nicht ausreichen. Das macht ihr Druck.

Aber es war auch das ganze Setting dieses Probetags: an eine fremde Schule und in ein fremdes Umfeld zu müssen, an dem sie niemanden kennt.

Tina: Ich denke auch, dass die Ungewissheit das Schlimmste für Mila war. Sie hat insgesamt oft Versagensängste. Es wäre ihr sicherlich leichter gefallen, wenn sie gewusst hätte, worauf sie sich vorbereiten kann.

Alina: Es musste ja auch eine Gruppenarbeit absolviert werden, damit zu sehen ist, wie das Kind mit den anderen interagiert. Die Kinder kannten einander ja alle gar nicht. Trotzdem wussten sie, dass ihr Verhalten für ihre Zukunft gewertet wird. Das hat meiner Schwester enorm auf den Magen gedrückt.

Wäre das bisherige Probejahr besser gewesen für Mila?

Alina: Auf jeden Fall.

Tina: Ja, auf jeden Fall.

Alina: Als ich vor einigen Jahren in der Situation war, hatte ich ein Probehalbjahr. Mir hat das den Druck genommen. Denn auch wenn ich mal einen schlechten Tag hatte, war nicht gleich meine ganze Zukunft in der Tonne.

Tina: Der große Unterschied ist ja, dass alle Kinder dieses Probehalbjahr oder -Jahr hatten. Das hatte ja mit der Förderprognosen-Note gar nichts mehr zu tun.

Warum soll Mila eigentlich unbedingt auf ein Gymnasium?

Tina: Wir sind gar nicht so fixiert auf ein Gymnasium. Doch die Auswahl der weiterführenden Schulen, die für uns in unserem Bezirk - auch von der Entfernung und vom Umfeld her - in Frage kommen, ist klein. Es gibt einige sehr beliebte ISSen in der Nähe. Doch auf die wollen leistungsstarke Kinder aus ganz Berlin.

Da kommen auf 100 Schulplätze gern mal 300 bis 500 Bewerbungen. Hier gehen Plätze vorrangig an Geschwisterkinder, Kinder mit Härtefallreglung, oder zum Beispiel mit Erstsprache Französisch. Danach geht es dann meist um den Notendurchschnitt. Demnach ist für Mila mit ihrem Durchschnitt die Chance gleich null. Denn diese Schulen filtern dann ja auch wieder nach dem Notendurchschnitt. Deshalb war es von uns eine strategische Entscheidung, sie den Eignungstest machen zu lassen.

Das heißt, ein Schnitt wie Mila ihn hat – wir sprechen von 2,3 – reicht nicht aus, um in Ihrem Bezirk sicher auf eine Oberschule mit gutem Ruf zu kommen?

Alina: So ist das. Auch die Integrierten Sekundarschulen und die Gemeinschaftsschulen liegen – auch durch die große Nachfrage - oft weit unter diesem Schnitt. Im Prinzip verlangen diese Schulen Leistungen, die das gymnasiale Niveau abdecken.

Die ISSen bekommen so viele Anfragen – und durch die Neuregelung des Zugangs zum Gymnasium jetzt ja noch mehr. Diese Schüler:innen müssen ja alle irgendwohin verteilt werden. Ab jetzt werden die Gymnasien zwar etwas entlastet, doch der Druck wird ja nur woanders hin verlagert.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.02.2025, 18:00 Uhr

Nächster Artikel

40 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 40.

    Wenn nur 20% studierfähig sind, sollte man gleich von Anfang an auf die anderen 80% verzichten. Das ginge am einfachsten durch Aufnahmeprüfungen mit geeignet hohem Schwierigkeitsgrad unabhängig von den Zensuren auf dem Zeugnis der Grundschule.

  2. 39.

    Sie müssen aus West-Berlin sein. Zu meiner Schulzeit gab es nur das Abitur nach 12 Klassen.

  3. 37.

    Ihr könnt euch alle aufregen wie ihr wollt, wer Jahrzehnte nichts in der Bildung grundlegend ändern wollte, wird es weiterhin nicht tun. Denn im Hintergrund sitzen die gleichen Beamten die die Politiker immer wieder aus bremsen werden. Man braucht da auch nicht in andere Länder schauen, es wird einfach durch die Sturheit unserer Beamten und der unqualifizierten Politiker ausgebremst. Die wider bekommen ihre Kinder und Enkelkinder in die richtige Schule und das ohne Bauchschmerzen bei dem Kind.

  4. 36.

    Was für ein kaputtes Bildungssystem. Kompliziert, unorganisiert, überfordert, Lehrkräftemangel usw.
    Sieht da überhaupt noch einer durch?

  5. 34.

    An sich ist der Übergang zum Gymnasium ja ein tolles Ereignis, auf das sich alle freuen.
    Bildungspolitiker und - ideologen schaffen es aber mühelos, daraus etwas zu machen, was nur noch Aufregung und Belastung bedeutet, und das über Monate (in gut vier Monaten weiß man ja überhaupt erst, welche Schule es werden wird!).
    Und andauernd kommt wieder etwas anderes...

  6. 33.

    Unser Bild von der Grundschule: Viel fordern, wenig leisten, Präsenzzeit verplempern, Nachmittage und Wochenenden mit Aufgaben überfrachten, Eltern als Abendlehrer missbrauchen. Das Ende der Grundschulzeit besteht aus dem unwürdigen Wettrennen um die Förderprognose und den Bangen um den Platz am Gymnasium.

    Und am Gymnasium? Plötzlich ist alles entspannt und produktiv!

    Zurück bleibt der schale Eindruck, dass die Kinder an den Grundschulen systematisch vernachlässigt werden, um den Gymnasialanteil zu reduzieren.

    Wo bleiben denn die begeisterten Berichte darüber, wie schön die Schulen abseits der Gymnasien sind? Dieser Run auf die Gymnasien hat leider seine Gründe.

  7. 32.

    Oha, die Meinung einer Schülerin bzw. Mutter wird hier zur Schlagzeile. Nicht sehr seriöser Journalismus.
    Und es schätzt leider nicht sehr wert, welchen Aufwand und Mühe viele Kolleginnen und Kollegen im Schuldienst für diesen Tag betrieben haben.
    In Charlottenburg/Wilmersdorf am Marie-Curie-Gymnasium lief es nach Meinung vieler sehr gut organisiert.
    Und zum Test selbst: Kein Kind muß daran teilnehmen. Es sind wohl eher "übermotivierte" Eltern, die ihren Kindern sowas abverlangen. Kinder, die das nicht schaffen, werden am Gymnasium sowieso nicht erfolgreich und haben nur Misserfolge. Das sollten Eltern eher bedenken.

  8. 31.

    PrüfungsANGST meinte ich, nicht: Prüfungsausschuss...
    ^blöde Autokorrektur^

    Kritisch an der Abschaffung des Probejahres finde ich außerdem, daß es sehr kurzfristig geändert wurde und die Kommunikation seitens der Senatorin nicht ehrlich über die Bühne ging!

    So hieß es erst: Probe-Unterricht. Später stellt sich raus, es ist ein Test gemeint. Das ist schon ein Unterschied!
    Dann hieß es, die Änderung gelte erst ab nächstem Schuljahr, dieses Schuljahr würden noch die bisherigen Regeln gelten. Dann auf einmal doch quasi "ab sofort".
    Wie sollen sich die Eltern darauf verlassen können?
    Gibt es gar keinen Bestandsschutz???

    Gut, daß die CDU nicht an der Macht war, als meine Kinder vor der Entscheidung standen. Meine Große konnte in dem Alter mit Druck gar nicht gut umgehen, das hat sich dann später erledigt, als sie (auch durch die Zensuren) mehr Selbstvertrauen bekam.

  9. 30.

    Wenn nur 20% einer Gymnasiumklasse überhaupt studierfähig ist/wird, müssen den Eltern vor Augen geführt werden, was es bedeutet mit über 2,2 Durchschnitt es dennoch zu versuchen... Selbst schlechte Gespräche werden ignoriert und andere Dinge (Tanzen?) an den Haaren herbeigezogen. Die Eltern wollen es nicht einsehen und tun ihren Kindern viel an!

    P.S. Eine 2 ist doch heute eher eine 4? Oder sogar noch schlimmer.

  10. 29.

    "Erfunden" hat's die CDU-Bildungssenatorin.
    War ihr wohl sehr wichtig.
    So zementiert man die Chancen.

    Ich finde das Probe(halb)jahr auch besser für die Kinder, weil jeder mal einen schlechten Tag haben kann (Prüfungsausschuss, Erkältung, etc.). Einen längeren Zeitraum, um zu prüfen, ob das Kind fürs Gymnasium geeignet ist, halte ich für gerechter.
    Manche Kinder brauchen ein paar Wochen, oder Monate, um mit den steigenden Anforderungen am Gymnasium (im Vergleich zu den niedrigeren an der Grundschule) klarzukommen. Dann klappt es aber. Kenne mehrere Fälle.
    Außerdem gibt es immer noch Lehrer, die ihre Noten nicht nach Leistung vergeben, sondern nach Neigung, auch in der Grundschule. Das war in den 80'ern so- und danach auch.
    Da kann man sich schon fragen, ob die Noten immer die tatsächliche Leistung widerspiegeln?
    Wenn's danach ginge, hätte ich nie aufs Gym gekonnt (mit meinen schlechten Noten in Sport + Kunst) und mich weiter in der Schule gelangweilt.

  11. 28.

    Da wurde doch gar nichts rückwirkend geändert. Nur dieser Test statt des Probejahrs. Die Noten in Sport, Kunst und Musik zählten schon immer einfach. Und der Sportunterricht an Grundschulen in Berlin hat sich in 40 Jahren nicht verändert, sondern besteht nach wie vor zu 90% aus Leichtathletik, sodass nur Kinder die gut Laufen und Werfen können gute Noten bekommen, Beweglichkeit und do stige spirtlichen Fähigkeiten werden nicht bewertet.

  12. 27.

    @Jörg60
    Zitat:"Wird Bildung wieder abhängig von der sozialen Klasse?"

    Wieso "wird"?? Dank konservativer Bildungspolitik BLEIBT Bildung abhängig vom sozialen Stand! Konservative Parteien und deren "alte weisse Männer" werden daran auch nichts ändern! Nur leider wählen die "kleinen Bürger" diese Parteien trotzdem. Also beschwert euch bitte alle bei euch selbst, ihr habt es so gewollt. Alternative: Sonntag ist Wahl! Da kann man entscheiden, ob modern und fortschrittlich, oder zurück ins vorletzte Jahrhundert. Und mit ganz viel blaunen Menschen heißt es dann wieder Frauen an den Herd und Wahlrecht nur für weiße Männer!
    PS: wer hier Sarkasmus findet, kann ihn behalten!

  13. 26.

    ISS steht für "Integrierte Sekundarschule" und hat die vormaligen Schultypen Hauptschule, Realschule und Gesamtschule abgelöst. Größter Vorteil für Schüler/innen ist dort, dass jede ISS entweder selbst eine gymnasiale Oberstufe (also den Weg zum Abitur) anbieten muss oder mit einer anderen Oberschule kooperieren muss, die diesen Weg anbietet. Die ISS stellt also für Kinder, die in der Grundschule noch nicht so richtig den Weg zum Lernen gefunden haben, eine gute Wahl dar.

  14. 25.

    Alle Kinder hatten dieselben Bedingungen, insofern war der Test gleich schwierig für Alle, ergo nicht unfair. Ein Kind kann auch in 9Jahren Abitur machen. Auf den Gymnasien (G8) gibt es leider zu viele SchülerInnen, die nicht selbständig lernen können.

  15. 24.

    Auch wenn man den Probeunterricht skeptisch sieht. So kann ich die Aussage zu fehlenden Informationen und chaotischer Durchführung nicht teilen. In Charlottenburg-Wilmersdorf gab es vorab Informationen zum Ablauf und der Tag am Gymnasium war gut organisiert.

  16. 23.

    Genau das wurde in dem Artikel angesprochen. Es geht Vielen gar nicht ums Gymnasium, sondern um eine gute Schule. Da die ISS en überfüllt sind, weichen Schüler* innen (ungewollt) auf Gymnasien aus, die weniger übernachgefragt sind.

  17. 22.

    Gymnasium ist halt nicht für jeden etwas. Vielleicht eher auf eine Gesamtschule gehen und dann später mit der 10. Klasse entscheiden, ob Potenzial für mehr vorhanden ist. Notenschnitt von 2,2 klingt nicht nach Gymnasium, muss aber auch nicht sein, gibt andere Möglichkeiten. Wichtig ist, dass Schule bundesweit vereinheitlicht wird von der nächsten Bundesregierung.

  18. 21.

    In diesem Jahr wurden noch alle Fächer gewertet. Nach der Reform sollen nur noch die Hauptfächer Ma/De/Eng entscheiden. Weiß man mittlerweile ab wann diese Regelung gelten wird?