Reaktionen auf Parlamentswahl - "Die polnische Bevölkerung hat gezeigt, dass sie auf der Seite der Demokratie steht"
Polen steuert nach der Parlamentswahl auf einen Machtwechsel zu. Ein Bündnis aus drei Oppositionsparteien unter der Führung von Donald Tusk könnte die PiS-Partei ablösen. In Deutschland stimmt das voraussichtliche Wahlergebnis zuversichtlich.
Nach der Parlamentswahl in Polen am Sonntag haben sich Politiker und Wissenschaftler aus Deutschland optimistischg gezeigt, dass sich bei einem möglichen Machtwechsel in Polen das deutsch-polnische Verhältnis verbessern könnte. Der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte am Montag dem rbb, er wünsche sich von dem Wahlergebnis, dass es in Polen wieder "eine konstruktivere Haltung zur Europäischen Union und zu Deutschland gibt". Die bisherigen Prognosen wollte Woidke am Montag noch nicht kommentieren.
Die Grünen hoffen nach der Wahl auf eine bessere Zusammenarbeit beim Thema Hochwasserschutz. Der Ausbau des Flusses durch Polen durchkreuze alle Pläne zur Revitalisierung der Oder, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jan-Niclas Gesenhues. Der Umweltpolitiker zeigte sich mit Blick auf die Parlamentswahl zuversichtlich: "Wir hoffen auf einen Neustart in der Umweltpolitik", sagte Gesenhues. Es gehe darum, dass der Fluss besser geschützt werde.
Mehr als 90 Prozent der Wählerstimmen waren in Polen am Montagabend ausgezählt. [wybory.gov.pl]. Der polnische Präsident Andrzej Duda rechnet nach eigenen Angaben damit, dass das offizielle Wahlergebnis am Dienstagmittag feststeht. Bisher deutet alles darauf hin, dass die nationalkonservative Regierungspartei PiS wiederholt stärkste Kraft in Polen wird. Allerdings verliert sie ihre absolute Mehrheit. Oppositionsführer Donald Tusk, dessen Bürgerkoalition nach aktuellem Stand zweitstärkste Kraft wird, setzt auf eine Dreierbündnis zur Regierungsbildung.
Polenbeauftragter lobt hohe Wahlbeteiligung
Nach Ansicht des Polenbeauftragen der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD) zeigt der Wahlausgang den Wunsch der dortigen Bevölkerung nach Veränderung. "Ich bin sehr froh, dass die polnische Gesellschaft gezeigt hat, dass sie auf der Seite der Demokratie steht", sagte Nietan am Montag im Bayerischen Rundfunk. Er hob die "Rekordwahlbeteiligung von fast 73 Prozent" hervor. Das habe es "nach der Wende im demokratischen Polen noch nie gegeben". Er glaube an ein besseres Verhältnis zu Polen, so Nietan.
Damit ist er nicht allein. Auch Agnieszk Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut zeigte sich zuversichtlich, dass sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland durch einen möglichen Machtwechsel verbessern könnte. "Man wird kooperationsbereiter sein – im deutsch-polnischen Verhältnis wie auch in der EU." Gleichzeitig warnte Lada-Konefal vor der Erwartung, dass sich in der polnischen Politik sofort alles ändere.
Das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau hatte einen Tiefpunkt erreicht, nachdem die nationalkonservative bisherige Regierungspartei PiS im vergangenen Oktober von Deutschland mehr als 1,3 Billionen Euro an Weltkriegsreparationen forderte.
Stabilisierung für wissenschaftliche Zusammenarbeit
Ein möglicher Regierungswechsel würde auch die Kooperationen in der Wissenschaft stabilisieren, sagte Sonja Priebus, Expertin für Verfassungspolitik an der Viadrina in Frankfurt (Oder), dem rbb: "Weil das natürlich auch für uns, gerade in der Grenzregion wichtig ist: Wie wird die Kooperation auch künftig verlaufen?" Die deutschlandfeindlichen Töne der PiS-Partei im Wahlkampf hätten die wissenschaftliche Zusammenarbeit bislang zwar nicht beeinflusst, "aber wenn so etwas über einen längeren Zeitraum andauert, kann sich das natürlich auch auswirken. Insofern haben wir auf diese Wahlen mit sehr viel Spannung geschaut."
Wichtig sei das Wahlergebnis auch für das Verhältnis Polens zur EU, mit der es derzeit zahlreiche Konflikte um die Rechtsstaatlichkeit in Polen gebe, so Priebus. Oppositionsführer Donald Tusk hatte im Wahlkampf angekündigt, diese Konflikte beenden zu wollen, denn dadurch seien derzeit EU-Fördergelder für Polen eingefroren." Ob ihm das gelingen könne, hänge aber auch von den Mehrheitsverhältnissen im Senat und Sejm ab, sagte Priebus weiter.
Sollte ein Dreierbündnis unter Donald Tusk an die Macht in Polen kommen, sei es entscheidend, eine gemeinsame Linie bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit zu fahren, sagte Anja Hennig, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Viadrina, dem rbb. "Das darf man nicht unterschätzen, was das bereits für einen Schaden an der Demokratie in Polen angerichtet hat."
Stärkung der Zusammenarbeit in Grenzregion
Dass sich in Polen ein Machtwechsel hin zu einer pro-europäischen Regierung abzeichnet, ist für Piotr Firfas von der Euroregion Spree-Neiße Bober ein gutes Zeichen für die künftige Zusammenarbeit an der Grenze: "Wir gehen davon aus, dass es die Kooperation mit Polen um einiges erleichtern wird", sagte er.
Auch der Gubener Bürgermeister Fred Mahro (CDU) wertete das bisherige Wahlergebnis als positives Signal. Vieles dürfte leichter werden, wenn Demokratie stärker gelebt werde, sagte er. "Wir werden weiter kooperativ zusammenarbeiten, wir werden weitersehen, dass wir beide Stadthälften entwickeln, dass wir ein Stück weit wieder zusammenwachsen." Es wäre laut Mahro eine gute Entwicklung, wenn sich auch Berlin und Warschau näherkämen – "möglichst so nah, wie wir es hier in Guben/Gubin haben."
Etwas zurückhaltender äußerte sich Bartłomiej Bartczak, Chef im Gubiner Rathaus. Die Regierungsbildung dürfte Monate dauern, sagte er dem rbb. Ihm sei unklar, wie die Oppositionskräfte unter einen Hut zu bringen seien.
Sendung: Antenne Brandenburg, 16.10.2023, 16:40 Uhr
Machtwechsel in Polen wahrscheinlich
Polen steht Prognosen zufolge vor einem Machtwechsel. Bei der Parlamentswahl am Sonntag erhielt die seit acht Jahren regierende PiS laut Nachwahlbefragungen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zwar die meisten Stimmen (36,6 Prozent), verfehlte aber die absolute Mehrheit. Als Koalitionspartner kommt nur die ultrarechte Konfederacja infrage, die laut akteuellen Prognose auf 14 Mandate kommt. Laut aktuellen Prognosen würde eine Koalition beider Parteien nicht für eine Regierungsbildung reichen.
Die oppositionelle liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk landete mit 31,6 Prozent auf dem zweiten Platz. Sie würde damit 161 Mandate holen. Sie könnte mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (13,5 Prozent) und dem Linksbündnis Lewica (8,6 Prozent) eine Koalition bilden. Das Dreierbündnis käme auf 248 Abgeordnete und hätte eine Mehrheit im Parlament. Das offizielle Ergebnis wird am Dienstag erwartet.
Sendung: Antenne Brandenburg, 16.10.2023, 14.40 Uhr