Kommentar zur Wahl in Berlin - Die Wiederholungswahl zeigt, wie unwiederholbar Wahlen sind

Mo 12.02.24 | 15:43 Uhr | Von Sebastian Schöbel
  38
Archivbild: Wahlplakate in Berlin am 24.01.2024 für die Wiederholungswahl.(Quelle: dpa/Britta Pedersen)
Bild: dpa/Britta Pedersen

Berlin hat die dritte Wahl in vier Jahren überstanden. Die Aufarbeitung des Debakels von 2021 ist damit abgeschlossen - zumindest was das Wahlergebnis angeht. Noch wichtigere Baustellen aber bleiben, meint Sebastian Schöbel.

Als Berlin noch geteilt war, gab es östlich der Mauer zwar keine echte Demokratie, dafür jede Menge Orden, Medaillen oder Ehrennadeln, für (fast) alles und (fast) jeden. Heute gibt es in Berlin überall Demokratie – manchmal mehr, als die Stadt organisieren kann - dafür keine Orden mehr. Leider, muss man sagen: Ausnahmslos alle, die am 11. Februar 2024 ihre Stimme abgegeben haben, hätten eine Auszeichnung verdient. Für "Verdienste an der Berliner Demokratie". Gerne am Band, mit Sternchen oder goldenem Rand.

Wiederholungswahl zeigt, wie unwiederholbar Wahlen sind

Denn niemand sollte nach diesem skurrilen Wahl-Erlebnis über die deutlich schlechtere Wahlbeteiligung schimpfen. Es ist ein Erfolg, dass sich Tausende Berlinerinnen und Berliner am letzten Winterferientag bei Nieselregen in die Wahllokale begaben, um eine vermurkste Wahl von vor zweieinhalb Jahren zu wiederholen, während ihre Nachbarn gemütlich daheimbleiben durften. All das nach einem eher kraftlosen Wahlkampf und ohne Aussicht auf relevante Auswirkungen auf die Bundespolitik. Dass Berlin nun weniger Sitze im Bundestag hat, sollten die politisch Verantwortlichen auch nicht den zu Hause Gebliebenen anlasten: Sowas passiert, wenn Wahlen schiefgehen.

Dass nun die Scharte von 2021 ausgemerzt sei, kann aber niemand ernsthaft behaupten. Denn die Wiederholungswahl in Berlin zeigt auch, wie unwiederholbar Wahlen in Wirklichkeit sind.

Wer am Sonntag abgestimmt hat, tat das auch vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine, der Energiekrise und steigender Preise, einer zerstrittenen Ampel-Regierung und zahlreicher Massendemonstrationen gegen rechtsextreme Deportationsfantasien. Die vergangen zweieinhalb Jahre haben Spuren hinterlassen, die niemand abschütteln kann.

Dazu kommen "Sondereffekte" dieser Wiederholungswahl, und damit sind nicht nur Zugezogene gemeint, die nach 2021 anderswo nun in Berlin ein zweites Mal abstimmen durften. Wie skurril, dass zum Beispiel Michael Müller von der SPD als "Regierender Bürgermeister" auf den Wahlzetteln stand, obwohl längst sein Nach-Nachfolger regiert. Wie beunruhigend, dass die unter Umsturzverdacht stehende Birgit Malsack-Winkemann aus der U-Haft heraus für die AfD antrat, und ihr Ergebnis von 2021 sogar noch verbessern konnte. Dennoch bleiben die Auswirkungen überschaubar. Alle umkämpften Direktmandate wurden verteidigt, vier Berliner Sitze im Bundestag gehen verloren.

Nur kleine Offenbarungen

Wer jetzt im politischen Kaffeesatz wühlt, wird nur kleine Offenbarungen finden. SPD und FDP sind die Verlierer der Wiederholungswahl, während die CDU erneut profitierte, so wie schon bei der wiederholten Berlin-Wahl Anfang 2023. Zumindest hier dürfte der Ampel-Frust im Land zum Tragen gekommen sein. Dass die Grünen davon weitgehend verschont blieben, macht sie nicht automatisch zur beliebtesten Ampelfarbe: In Großstädten wie Berlin ist die grüne Wählerschaft traditionell stärker als auf dem Land. Der echte Test für die Grünen sind daher auch eher die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland. Zufrieden sein kann keine der drei Regierungsparteien im Bund.

AfD mit Stimmenzuwachs

Bemerkenswert ist der Stimmenzuwachs der AfD, trotz der jüngsten Proteste gegen die Partei. Gerade auch das starke Abschneiden in Pankow zeigt, dass die rechtspopulistische Partei ihre Wähler:innen inzwischen zuverlässig mobilisieren kann, selbst bei starkem gesellschaftlichen Gegenwind. Das sollte allen anderen Parteien Grund zur Sorge bereiten.

Viel wichtiger aber für Berlin war der erneute Test für die Berliner Wahlorganisation. Bis auf kleinere und letztendlich verzeihbare Wackler muss man sagen: Alles hat geklappt. Dass Wahlhelfende Unfälle erleiden oder irgendwo ein Schlüssel vergessen wird, macht das Wahlergebnis nicht anfechtbar. Berlin kann offenbar wieder Wahlen.

Landeswahlleiter erinnert fortwährend an ausstehende Reform der Wahlorganisation

Zu verdanken ist das auch Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Der nimmermüde, stets gut gelaunte Verwaltungswissenschaftler zeigt seit seinem Amtsantritt, wie sehr die Stadt einen proaktiven, dauerpräsenten und zupackenden Wahlorganisator gebraucht hat. Dass die Wahlbeteiligung niedriger war, als erhofft, ist ihm nicht anzulasten: Wenige hatten vorab so nachdrücklich fürs Wählen geworben wie er.

Bröchler lässt zudem keine Gelegenheit aus, die Politik an die noch ausstehende Reform der Wahlorganisation zu erinnern – angefangen mit dem Landeswahlamt, das nun schleunigst eingeführt und aufgebaut werden muss. Dazu pocht der Landeswahlleiter auch auf echte Durchgriffsrechte gegenüber den Bezirken.

Doch die AG-Wahlen, die ein neues Wahlgesetz entwerfen soll, kommt nicht voran. Denn tatsächlich ist bislang noch sehr wenig von dem umgesetzt, was die Expertenkommission dem Senat und den Bezirken als Hausaufgabe gegeben hat. Diese Wunde zu heilen ist fast wichtiger als jede nachträgliche Ergebniskorrektur beim Wahlergebnis.

Beitrag von Sebastian Schöbel

38 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 38.

    "Also ehrlich, sie bewegen sich im Internet und sie wissen nicht wo sie diese Informationen finden können?" Es war Ihr Argument, also müssen Sie auch den Nachweis bringen und nicht darauf warten, daß jemand anderes eine passende Quelle für Ihr Argument findet. Das sollte aber zum Allgemeinwissen gehören, welches man schon in der Schule lernt, wie man das macht. Also, auf welche Quelle stützen Sie Ihre Behauptung?

  2. 37.

    Also ehrlich, sie bewegen sich im Internet und sie wissen nicht wo sie diese Informationen finden können?

    Ich bin ein wenig enttäuscht.

  3. 36.

    Also ehrlich, sie bewegen sich im Internet und sie wissen nicht wo sie diese Informationen finden können?

    Ich bin ein wenig enttäuscht.

  4. 35.

    "Rechnen und verstehendes Lesen ist nicht so ihr Ding oder?" Dann erklären Sie doch bitte, was Sie unter "Die meisten Wähler der rechtsextremen AfD gelten als gesichert rechtsextrem." mit 'meisten' meinen? Ich verstehe unter 'meisten' die überwiegende Mehrheit einer Menge, also wesentlich über 50%, eher in Richtung fast alle.

  5. 34.

    Nicht nur "Ja, kann ich." schreiben, sondern den Beleg auch als Link einfügen, damit es alle nachlesen können.

  6. 33.

    " Das ist eine steile These über die Wähler. Können Sie das belegen?"

    Ja, kann ich.

    "Das wären dann so 25-30% der Wähler in Brandenburg, welche Sie als rechtsextrem bezeichnen."

    Rechnen und verstehendes Lesen ist nicht so ihr Ding oder?

  7. 32.

    Ich glaube, daß der Kommentator gar nicht die AfD meint, sondern 'Tichys EInblick', wo da wohl schon recht früh was dazu stand.

  8. 31.

    "Die meisten Wähler der rechtsextremen AfD gelten als gesichert rechtsextrem." Das ist eine steile These über die Wähler. Können Sie das belegen? Das wären dann so 25-30% der Wähler in Brandenburg, welche Sie als rechtsextrem bezeichnen.

  9. 30.

    "Man sollte doch anlässich der Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin daran erinnern, wer für den Schlamassel verantwortlich ist und vor allem, wer das ganze illegale Gewirtschafte aufgedeckt hat und gegen hinhaltenden Widerstand mit großer Arbeitsintensität die Fakten für eine Gerichtsentscheidung zusammen getragen hat. "

    Es war auch nicht ihre rechtsextreme AfD, für die sie unermüdlich Propaganda der unterirdischen Art betreiben.

    Zum einen gab es kein "illegale Gewirtschafte", zum anderen sind beim Bundestag 1713 Einsprüche gegen die Bundestagswahl im Land Berlin erhoben worden, darunter auch eine des Bundeswahlleiters.

    Von "hinhaltenden Widerstand" kann also keine Rede sein. Ihr Versuch ihrer rechtsextremen AfD so etwas wie Bedeutung zuzuschanzen ist das Schmücken mit fremden Federn.

  10. 29.

    "Vielleicht war es eher nicht trotz, sondern gerade wegen der Proteste, daß die Mobilisierung des AfD-Wählerpotentials so hervorragend für die AfD funktionierte?"

    Eine Variante des beliebten "deine Kritik macht die AfD stärker" Singsangs. Die meisten Wähler der rechtsextremen AfD gelten als gesichert rechtsextrem. Da haben die Proteste tatsächlich keinen Einfluss.

  11. 28.

    @ Thomas, dafür existiert ebenfalls kein bibliographischer Beweis. Die meisten Stellen sprechen von K. Tucholsky. Nur eine Stelle spricht von "eventuell von Emmy Goldman".

  12. 27.

    Wäre ja auch noch schöner, wenn der Mann noch einmal Regierungsverantwortung bekäme. Schlimm genug, dass er weiterhin im Abgeordnetenhaus sitzt und Diäten kassiert. Da hab ich mich ungenau ausgedrückt, danke für die Korrektur.

  13. 26.

    Lieber Dirk,

    da es sich um einen Kommentar handelt, habe ich mir erlaubt, das Wort" Remigration" einzuordnen. Da es sich dabei nicht nur um die Abschiebung "krimineller Ausländer" handelt, wie Sellner und Co. selbst sagen, sondern um einen deutlich größeren Personenkreis, halte ich es für richtig, nicht das rechtsextreme Framing zu übernehmen.

    MfG
    S. Schöbel

  14. 25.

    Herr Geisel ist schon Antritt der Regierung Wegner kein Senatsmitglied mehr.

  15. 24.

    Es wären sicherlich auch mehr Menschen bereit gewesen erneut zu wählen, wenn der polit. Verantwortliche (Herr Geisel, SPD, ex-SED) nicht noch immer im Senat abkassieren würde.

  16. 23.

    Man sollte doch anlässich der Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin daran erinnern, wer für den Schlamassel verantwortlich ist und vor allem, wer das ganze illegale Gewirtschafte aufgedeckt hat und gegen hinhaltenden Widerstand mit großer Arbeitsintensität die Fakten für eine Gerichtsentscheidung zusammen getragen hat. Als Hinweis, es war nicht der Inlandsgeheimdienst, es waren auch nicht die ÖRRs und es waren auch nicht die tonangebenden Pressorgane.

  17. 22.

    Viel zu spät,3 Jahre genau,zu klein ,auch andere Wahlbezirke waren genauso betroffen und somit unbefriediegend als Wiedergutmachung.
    Ausser Spesen nichts gewesen und ziemlich sinnfrei.

  18. 21.

    Dafür existiert kein bibliographischer Beweis zu Kurt Tucholsky. Tatsächlich stammt das Zitat von Emmy Goldman:
    „If voting changed anything they would make it illegal.“

    Es ist übrigens nicht das einzige Zitat, welches Kurt Tucholsky fälschlicherweise zugeordnet wurde.

  19. 20.

    Es war ja auch keine Wiederholungswahl. Es war eine Neuwahl. Die Stimme von Menschen, die in der Zwischenzeit weggezogen sind, ist unter den Tisch gefallen. Zugezogene dürfen sich nun freuen, dass sie erneut wählen durften.

    Ein verfassungsrechtlicher Skandal. Die OECD sollte das Thema mal aufgreifen...

  20. 19.

    Kurt Tucholsky:
    „Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten.“

    Wahlen bedeuten nicht unbedingt Demokratie, wenn nach der Wahl der Wählerwille ignoriert wird.

    Ich habe das Gefühl als wenn viele Abstimmungen eher nach Parteibuch/Deals gefällt werden. Der eigene Wahlkreis muss erst zur nächsten Wahl wieder im Mittelpunkt stehen. Vor der Wahl werden ein Eröffnungstermine wahrgenommen & Wahlgeschenke verteilt.

    Die Demokratie in Deutschland ist verbesserungsfähig. Mit mehr Mitbestimmung.

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren