#Wiegehtesuns? | Infizierte Erzieherin - "Beim Kindergarten hat sich das Gesundheitsamt bis heute nicht gemeldet"
Systemrelevant und mit Corona infiziert: Die Erzieherin Charlotte Glowczak musste alle Entscheidungen rund um ihre Corona-Infektion selbst fällen - ohne direkte Anweisungen vom Gesundheitsamt. Sie fühlt sich deshalb verunsichert und alleine gelassen. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Charlotte*, 40 Jahre, ist seit 20 Jahren Erzieherin aus Leidenschaft. Am letzten Märzwochenende sind ihre Mutter und ihre Schwester bei ihr in Friedrichshain zu Besuch. Als ihre Mutter am Montag krank wird, sie selbst aber keine Krankheitsanzeichen hat, geht sie zum Frühdienst in den Kindergarten. Auch am Dienstag geht sie noch arbeiten. Dann die Nachricht: Ihre Mutter ist Corona-positiv. Kurz danach werden auch sie und ihre Schwester positiv getestet. Quarantänemaßnahmen und Kontaktbenachrichtigungen nimmt die Familie und auch der Kindergarten komplett selbst in die Hand. Ob sie sich dabei immer richtig verhalten haben und wie sie wieder aus der Quarantäne kommen, wissen sie bis heute nicht sicher. Denn Kommunikation mit dem Gesundheitsamt gab es so gut wie gar nicht. So geht es ihr gerade:
Die letzte Zeit war sehr ernüchternd. Ich habe gelernt: Die eine Seite ist, was alles gesagt wird, was getan wird. Die gefühlte Wahrheit ist: Mit einer Corona-Infektion ist man ganz alleine.
Ich habe aber auch gelernt, worauf ich mich verlassen kann. Das ist mein soziales Umfeld und mein gesunder Menschenverstand. Es war gut, dass ich mich vorher schon belesen habe, was ungefähr zu tun ist. Und es ist gut und wichtig, dass ich einen Freundeskreis habe, der mir Essen vorbeibringt. Dabei denke ich aber auch an Leute, die das alles nicht haben. Weil mich nach dem positiven Test niemand kontaktiert hat, war da ja auch keiner, der gesagt hat: Es gibt eine Nachbarschaftshilfe oder Ähnliches. Es geht bei einer Corona-Infektion also letztendlich darum, dass man ein soziales Umfeld hat, das funktioniert. Das man Freunde und Familie hat, die sich kümmern.
Trotzdem fühle ich mich alleine gelassen und verunsichert. Von staatlicher Seite aus ist ja erst mal nichts passiert. Leider. Am Dienstagabend habe ich direkt meinen Chef angerufen und gesagt, dass meine Mama jetzt einen positiven Corona-Test hat und dass ich mich aufgrund dieser Tatsache erstmal in Selbst-Quarantäne begebe. Daraufhin wurde auch die Kindergartengruppe, in der ich arbeite, komplett in Quarantäne gestellt. Das haben wir alles selbst organisiert. Es kamen dazu keine Informationen vom Gesundheitsamt, sondern das waren einfach die logischen Schlüsse, die wir gezogen haben. Parallel habe ich mich um einen Testtermin gekümmert.
Ich habe mir große Vorwürfe gemacht, dass ich Montag und Dienstag noch arbeiten war und hatte ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber allen, die ich getroffen habe. Ich habe auch viele ältere Kolleginnen. Eine von Ihnen hat einen chronisch kranken Mann zu Hause. Dazu die Eltern, bei denen die Kinder mir erzählt haben, dass sie einen Urlaub geplant haben oder am Wochenende ihre Oma endlich wieder besuchen fahren, nach langer, langer Zeit. Die Eltern, die systemrelevante Berufe haben, die dann ihre Kinder zu Hause in Quarantäne behalten mussten. Und natürlich die Kinder selbst, für die die Zeit im Kindergarten so wichtig ist.
Es waren einfach so wahnsinnig viele Leute, die ich damit eingeschränkt oder sogar in Gefahr gebracht habe.
Zum Glück sind jetzt alle Kontaktpersonen negativ getestet. Wir waren alle im permanenten Austausch und meine Kolleginnen und Kollegen haben auch immer wieder gefragt, wie es mir geht. Fast alle hatten Verständnis für die Situation. Beim Kindergarten hat sich bis heute niemand gemeldet. Bei meiner Mutter und meiner Schwester auch nicht.
Ich habe eine Woche nach meinem Test einen Anruf bekommen. Der hat aber nichts geholfen, NULL. Eine Kommunikation war überhaupt nicht möglich. Der Mitarbeiter hat mich gar nicht verstanden, konnte mir auf meine Fragen nicht antworten. Er hat mir lediglich einen Maßnahmenzettel vorgelesen. Meine E-Mail-Adresse durchzugeben hat zwei Minuten gedauert und er hat mich gefragt, ob ich "liege". Da habe ich gesagt: "Natürlich. Nachts, wenn ich schlafe, liege ich. Aber ich sitze und stehe und laufe auch." Es war skurril.
Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass sich gleich am Donnerstag nach dem positiven Test jemand vom Gesundheitsamt bei mir meldet und auch, dass es konkrete Anweisungen für den Kindergarten gibt.
Meine größte Sorge ist, dass ich immer noch nicht weiß, wie ich jetzt weiter verfahren soll. Ich weiß, dass ich bis zum 14. April in Quarantäne bin. Aber mir wird auch nicht gesagt, dass ich mich dann noch mal testen lassen soll oder was dann passiert. Ich kann auch nicht komplett ausschließen, dass ich mich im Kindergarten nicht ein weiteres Mal anstecke oder alle noch mal in Quarantäne müssen.
Denn wir alle haben noch keinen kompletten Impfschutz. Das ist wirklich schlimm. Alle Astrazeneca-Termine, die wir hatten, sind abgesagt. Es gibt beim Impfen so viele Baustellen und wir brauchen diesen Schutz: Als Pädagogin im Kindergarten gibt es keine Alternativen. Die Kinder halten verständlicherweise keine Distanz, da wird einem dreimal am Tag mit voller Ladung ins Gesicht genießt.
Jetzt ist wieder "Notbetreuung". Das hört sich für die Öffentlichkeit so an, als wenn die Kindergärten fast leer sind. Aber in dem Kindergarten, in dem ich arbeite, sind immer noch 50 Prozent der Kinder da."
Update: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hat sich das entsprechende Gesundheitsamt, nach mehrmaligem Hinweis seitens Charlotte Glowczak und ihrer Schwester, bei der Kindertagesstätte gemeldet.
Korrektur: In einer vorherigen Fassung schrieben wir "Am letzten Februarwochenende sind ihre Mutter und ihre Schwester bei ihr in Friedrichshain zu Besuch." Tatsächlich handelte es sich dabei um das letzte Märzwochende.
*Name von der Redaktion geändert
Gesprächsprotokoll: Bernadette Huber
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Die Kommentarfunktion wurde am 11.04.2021 um 11:35 Uhr geschlossen
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