Asylpolitik - "Nationale Alleingänge sind im EU-Recht nur in absoluten Ausnahmefällen vorgesehen"
![Symbolbild: In Plastiksäcken tragen neu angekommene Flüchtlinge ihre persönlichen Habseligkeiten zu ihrer Unterkunft in der Erstaufnahmeeinrichtung. (Quelle: dpa/Roessler) Symbolbild: In Plastiksäcken tragen neu angekommene Flüchtlinge ihre persönlichen Habseligkeiten zu ihrer Unterkunft in der Erstaufnahmeeinrichtung. (Quelle: dpa/Roessler)](/content/dam/rbb/rbb/rbb24/2025/2025_01/dpa-account/familie-gefluechtete.jpg.jpg/size=708x398.jpg)
Die Europäische Union regelt das Migrationsrecht für seine Mitgliedsstaaten. Daran im Alleingang etwas ändern zu wollen, wie es CDU und CSU derzeit im Wahlkampf fordern, sei nahezu unmöglich, so eine Migrationsrechtlerin.
rbb|24: Im Moment gibt es an den deutschen Grenzen zeitlich beschränkte Kontrollen. Wieso ist es nicht erlaubt, diese unbefristet einzurichten, wie die Union es derzeit fordert?
Pauline Endres de Oliveira: Grenzkontrollen richten sich erstmal an alle Menschen. Das wird geregelt durch den Schengener Grenzkodex. In der EU setzt man vor allem auf Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen und versucht möglichst wenig Kontrollen innerhalb der EU selbst zu schaffen – das schützt auch unser aller Freizügigkeit und Verkehrsfreiheit innerhalb der EU. Mittlerweile haben auch einige Menschen Klage gegen die Kontrollen an deutschen Grenzen eingereicht, weil diese sie zum Beispiel beeinträchtigen, wenn sie in einem Land arbeiten und in dem anderen Land leben, also sogenannte Grenzgänger sind.
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg stellt bisher sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Notlage, die vorübergehende Grenzkontrollen rechtfertigen könnte. Sollten es bestimmte außergewöhnliche Umstände erfordern, dann ist es außerdem auch möglich, dass ein Mitgliedstaat in Absprache mit der EU im eigenen Land Kontrollen an den nationalen Grenzen einführt, und dann wird das von der EU auch mitorganisiert und getragen. Aber nationale Alleingänge, wie jetzt von der Union gefordert, sind im EU-Recht nur vorübergehend und in absoluten Ausnahmefällen vorgesehen.
Friedrich Merz (CDU) kündigte an, Asylsuchende an deutschen Grenzen direkt abweisen zu wollen. Wer darf nach derzeitigem Recht an der Grenze abgewiesen werden? Wer nicht?
Auch hier werden die nationalen Regeln Deutschlands von europäischen Regeln überlagert. Die greifende Regel findet sich in der Dublin-Verordnung. Deutschland ist danach verpflichtet, erst einmal zu prüfen, welcher Staat für den jeweiligen Asylsuchenden zuständig ist. Häufig ist das ein Staat an der EU-Außengrenze, es könnte aber auch Deutschland sein, beispielsweise wenn es sich um eine minderjährige Person handelt oder wenn hier Familienangehörige leben. Das muss erstmal geprüft werden.
Eine Änderung dieser Regeln müsste auf europäischer Ebene passieren, das geht nicht auf deutscher Ebene allein. Das könnte sonst dazu führen, dass das gemeinsame europäische System zusammenbricht. Manche mögen das befürworten - aber Migration allein regeln zu wollen, bringt wiederum große Herausforderungen mit sich und kann auch Auswirkungen auf andere Bereiche haben, die europäischen Regelungen unterliegen, wie etwa die eben erwähnte Freizügigkeit in der EU.
Dass die Union derartige Anträge vorbringt, die in einem solch erheblichen Maß zu geltendem EU-Recht in Widerspruch stehen, kann das darauf hindeuten, dass sich die Union in der Regierung von der EU abwenden würde?
Die Union könnte ihre geplanten Änderungen jedenfalls so nicht durchsetzen, ohne dass es zu erheblichen europäischen Widerständen kommt. Diskussionen über die Defizite der bestehenden Regelungen gibt es ja schon jetzt. Nicht umsonst wurde gerade erst acht Jahre lang eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verhandelt, die im Mai 2024 dann endlich beschlossen wurde.
Die neuen europäischen Regelungen sollen im nächsten Sommer zur Anwendung kommen. Natürlich kommt da nicht an Tag eins jemand und entmachtet die Bundespolizei an den Grenzen, aber langfristig ließe sich das nicht auf nationaler Ebene im Alleingang durchzusetzen.
Merz möchte außerdem ausreisepflichtige Asylsuchende inhaftieren lassen. Wäre es rechtens, zigtausend Menschen in Haft zu nehmen?
Es gibt schon jetzt Regeln dafür, wann Menschen in Haft oder in Ausreisegewahrsam genommen werden und wann nicht. Unter den Menschen, die ausreisepflichtig sind, sind sehr viele Menschen, die faktisch nicht abgeschoben werden können. Zum Beispiel, weil in ihrem Land Krieg herrscht. Oder wie im Fall von Afghanistan, wo die Taliban herrscht, mit denen Rückführungen kaum verhandelbar sind. Zu Abschiebungen gehören auch immer diplomatische Beziehungen mit dem Zielland.
Wenn diese nicht bestehen, dann müsste man diese Menschen laut dem Vorschlag der Union in Deutschland dauerhaft inhaftieren. Das wäre nicht verhältnismäßig. Die Vorschläge greifen außerdem sehr kurz. Es gibt keine Regeln dafür, was beispielsweise mit Familien mit kleinen Kindern passieren würde: Kämen die dann auch dauerhaft in Gewahrsam? Und was ist mit Minderjährigen? Und abgesehen davon sind die notwendigen Kapazitäten in Haftanstalten derzeit gar nicht da.
Die Union möchte den Familiennachzug für Menschen stoppen, die einen eingeschränkten Schutzstatus in Deutschland haben. Das wurde schon einmal gemacht, ist eine Umsetzung rechtlich also unproblematisch?
Mit eingeschränktem Schutz ist subsidiärer Schutz gemeint. Das klingt immer so unbedeutend. Aber der Schutz wird gewährt, wenn im jeweiligen Heimatland Tod, Folter oder Krieg drohen, also ganz erhebliche Gefahren. Es gibt teilweise geringe Unterschiede zwischen Menschen, die den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen und denen, die subsidiären Schutz erhalten.
Der Familiennachzug betrifft nur die Kernfamilie, also bei Minderjährigen dürfen die Eltern nachziehen oder ein Elternteil, oder eine Person kann die Ehepartnerin oder minderjährigen Kinder nachholen. Der Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wurde von 2016 bis 2018 schon mal ausgesetzt und seit 2018 ist er stark eingeschränkt und kontigentiert. Den Nachzug noch weiter einzuschränken würde bedeuten, dass zum Beispiel ein 12-jähriges Kind, das auf der Flucht seine Eltern verloren hat, dauerhaft von ihnen getrennt bliebe.
In den Forderungen der Union ist häufig die Rede davon, dass illegale Einwanderung gestoppt werden müsste. Was ist damit eigentlich gemeint?
Schutzsuchende kommen fast immer über irreguläre Wege. Es gibt kein Asylvisum und nur ganz wenige Formen der legalen Einwanderung wie etwa den Familiennachzug.
Es wird häufig in der Asylpolitik über Kontrolle gesprochen. Familiennachzug ist eine der wenigen Formen der legalen und damit auch kontrollierten Einwanderung. Dazu zählen auch humanitäre Aufnahmeprogramme, die ebenso ausgesetzt werden sollen. In diesen Verfahren gibt es aber Sicherheitsprüfungen, der Staat ist involviert, weiß genau darüber Bescheid, wer, wo, wie ankommt. Es gibt dabei also eine umfassende Kontrolle. Ich halte es deshalb für inkonsequent, diese Form der Einwanderung einstellen zu wollen, wenn es darum gehen soll, mehr Kontrolle über Migration zu bekommen.
Nun ist die Union nicht die einzige Partei in Europa, die konservativere Asylpolitik fordert. Können Sie sich vorstellen, dass die EU bald mit ähnlichen Vorschlägen nachziehen wird und damit die Weichen für die Pläne der Union stellt?
Es ist kein Geheimnis, dass das europäische Asylsystem defizitär ist. Aber wie gesagt: Es wurden gerade jahrelang neue Regelungen auf EU-Ebene verhandelt. Diese sind seit letztem Jahr in Kraft und sollen nächstes Jahr zur Anwendung kommen. Jede neue Regelung erfordert umfassende Verhandlungen und lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Die Ankündigung nationaler Alleingänge, die im Vorfeld der Bundestagswahl Diskussionen entfacht, kann auch ein Signal sein: Die EU ist uns egal.
Das kann die Kooperationsbereitschaft innerhalb der EU schwächen. Außerdem bleibt bei alldem auch abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Rechtmäßigkeit bestimmter Maßnahmen, wie etwa Grenzschließungen im europäischen Binnenraum, bewertet.
Das Gespräch führte Anna Bordel, Nachrichtenredakteurin bei rbb|24.
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