Bundestag konstituiert sich - "Das ist ein bisschen wie Einschulung"
Jeder dritte Abgeordnete im Bundestag ist neu im Parlament. Für sie beginnt nun eine Karriere als Berufspolitiker. Zwei der 280 Neulinge kommen aus dem gleichen Wahlkreis im Süden Brandenburgs. Wie ticken sie? Von Thomas Bittner
Parlamentarier sind meist Rechtsanwälte, Politikwissenschaftler oder Lehrer. Nur drei Prozent der Bundestagsabgeordneten haben einen Handwerkerberuf. Zu diesen wenigen gehört Hannes Walter, Kfz-Mechaniker und Betriebswirt aus Massen in der Niederlausitz.
In Massen kennt man seinen Namen, denn "Walter und Sohn" ist eine alteingesessene Autowerkstatt. Den Familienbetrieb seines Vaters muss der 36-Jährige verlassen, denn seit diesem Dienstag ist er Berufspolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion. "Ich bin überzeugt, wir brauchen mehr einfache Leute im Bundestag, die wenig politische Erfahrung haben, um einen ganz anderen Blick auf die Sachen zu werfen, gerade wenn es um Bürokratieabbau geht", sagt Walter.
"Man will ja auch ein normaler Mensch bleiben"
Der erste Tag als Abgeordneter beginnt ganz profan mit dem Abholen eines Schlüssels fürs Büro. Und das dauert seine Zeit. Die Wege im Bundestag sind lang. Und ohne Unterschrift gibt es keinen Schlüssel.
Zur Sitzung der Landesgruppe Ost seiner Fraktion kommt Walter verspätet. Danach trifft sich die SPD-Bundestagsfraktion. Die eigentliche konstituierende Sitzung im Plenarsaal ist später schon die dritte Sitzung des neuen Abgeordneten an diesem ersten Tag. So langsam ahnt Walter, dass er in Zukunft sehr viel Zeit in Sitzungen verbringen wird. Walter war bisher auch Handballtrainer beim heimischen TSV Germania. Wie soll das gehen?
"Da versuche ich mir die Termine auch fürs Wochenende freizuhalten, wenn wir ein Spiel haben, damit ich mitfahren kann. Denn man braucht auch ein bisschen Abwechslung. Man will ja auch ein normaler Mensch bleiben."
Das erste Facebook-Statement als Politiker
Während Walter sich in seiner Fraktion auf den Parlaments-Start vorbereitet, steht vor dem Reichstagsgebäude Knut Abraham und spricht laut in eine Kamera: "Liebe Freunde, ich verspreche, dass wir auch in der Opposition für sie arbeiten werden. Ich freue mich auf die kommenden vier Jahre in diesem Gebäude."
Mit einem Mitarbeiter zeichnet der neue CDU-Abgeordnete sein erstes Facebook-Statement als Abgeordneter auf. Abraham war im gleichen Wahlkreis wie Walter angetreten. Der SPD-Kandidat hatte das Direktmandat gewonnen, Abraham zog über die CDU-Landesliste ein. Dass er wahrscheinlich nicht in einer Regierungsfraktion sitzen wird, scheint ihn nicht zu betrüben. "Ehrlich gesagt ist es für jemanden, der neu in den Bundestag kommt, auch eine Chance, weil neue Ideen gefragt sind, und neue Gesichter. Und ich bin eines dieser Gesichter."
"Für mich ist das ein bisschen wie Einschulung"
Abraham ist ein erfahrener Diplomat, selbst im Kanzleramt hat der 55-jährige schon gearbeitet, als Osteuropa-Experte. Er war an deutschen Botschaften in Helsinki, Sofia, Washington tätig, zuletzt als Gesandter in Warschau. Doch im Bundestag muss er sich als Neuling hinten anstellen. "Das ist so. Für mich ist das ein bisschen wie Einschulung. Ich weiß noch nicht, wo ich da drin sitze, das bewegt mich jetzt wirklich. Wo muss ich hin? Wer sind meine Mitschüler sozusagen?"
So leutselig Abraham als gelernter Diplomat auch wirkt, kann er auch hart sein? "Klar, sie werden von mir hören in den nächsten vier Jahren." Abraham will im Europa-Ausschuss mitarbeiten. Hannes Walter findet Wirtschaft und Energie spannend. Doch der Zuschnitt der Bundestagsausschüsse wird erst nach einer Regierungsbildung festgelegt. Und die Mitgliedschaften werden in den Fraktionen ausgehandelt, da geht es auch um den Einfluss von Landesverbänden und um Bundestagserfahrung.
Die Gemeinsamkeiten? Skepsis gegenüber der AfD
Mit Hannes Walter verbindet Abraham einiges, nicht nur der Wahlkreis in Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz, auch der gemeinsame Wahlkampf hat sie miteinander bekannt gemacht. Auch wenn der eine demnächst wohl in der Regierung und der andere in der Opposition sitzt, es gibt Gemeinsamkeiten: Skepsis gegenüber der AfD haben beide.
"Der Herr, der für die AfD als Vizepräsident kandidiert, kommt aus dem Landesverband Thüringen. Und wenn man sich den anschaut, dann hat man als Demokrat doch große Sorge", sagt Abraham vor der Sitzung. "Und deshalb bin auch ich sehr reserviert gegenüber diesem Kandidaten." Auch Hannes Walter verweist auf die Thüringer AfD: "Der Kandidat ist vom Höcke-Landesverband. Ich kann den nicht ruhigen Gewissens wählen."
Erster Tag im Parlament endet ohne Überraschung
Der Thüringer AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann fällt bei der Wahl zum Vizepräsidenten durch, mit nur 118 Stimmen verfehlt er die erforderliche Mehrheit von 369 Stimmen. Die Kandidierenden von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken haben dagegen kein Problem im ersten Wahlgang.
Die neue SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte zuvor 576 Stimmen bekommen. Das ist eine satte Zweidrittelmehrheit, 160 Stimmen mehr als die derzeit verhandelnden Ampelfraktionen zusammen im Bundestag haben. Dass nun eine Bundestagspräsidentin und vier Vizepräsidentinnen in der Parlamentsspitze das Haus repräsentieren, täuscht darüber hinweg, dass im Bundestag nur 35 Prozent der Abgeordneten Frauen sind.
Aber Diplomat Abraham sieht die Zusammensetzung des Präsidiums als gutes Zeichen: "Ich hab ja jahrelang unter einer Kanzlerin gearbeitet, da freue ich mich drauf, das sehe ich gar nicht ideologisch." Der erste Tag im Parlament endet selbst für die Neuen ohne Überraschung.
Sendung: Brandenburg aktuell, 26.10.2021, 19:30 Uhr