Politisch motivierte Straftaten - Der Wahlkampf in Brandenburg verläuft deutlich aggressiver
Mehrere Parteien in Brandenburg sind sich einig: Der Bundestags-Wahlkampf ist in diesem Jahr rauer als 2017. Sie klagen über zerstörte Plakate, aber auch handfeste Übergriffe. Vorläufige Zahlen der Ermittler geben ihnen Recht. Von Andreas Hewel
Möglicherweise wird es in Brandenburg während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl deutlich mehr politische Straftaten geben wie noch vor vier Jahren. Die Polizei hat bereits 263 politisch motivierte Straftaten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl in diesem Jahr registriert. Im Vergleichszeitraum 2017 waren es 232. Zudem liegt eine hohe Zahl an zusätzlichen Meldungen von Straftaten bereits vor, ist aber noch nicht in die Statistik eingegangen.
Zahlenmäßig das Hauptziel der Übergriffe sind die Wahlplakate. Sie werden beschädigt, völlig zerstört oder gleich geklaut. Aber auch die Fälle von Bedrohungen oder Beleidigungen von Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern nehmen zu.
Es wird mit deutlich härteren Bandagen gekämpft, sagt Torsten Herbst, Pressesprecher des Polizeipräsidiums in Brandenburg. Beleidigungen und Bedrohungen, so Herbst weiter, seien ein Zeichen für die Verrohung des Wahlkampfes. Die Grenze zur Illegalität wird zusehends überschritten im Kampf um Wählerstimmen.
Grüne, AfD und FDP klagen besonders über Übergriffe
Eine Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel im August liegt der Landesvorsitzenden der Grünen Alexandra Pichl noch heute im Magen. Rund 100 Demonstranten aus der Querdenker-Szene hätten sich unter die Gäste gemischt, sagt sie, und die Veranstaltung massiv gestört. Der ebenfalls anwesende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, habe nach der Kundgebung nur unter Polizeischutz die Stadt sicher verlassen können. So massiv seien die Bedrohungen und Einschüchterungsversuche der Querdenkerdemonstranten gewesen.
Aggressiver, schärfer und herabwürdigender, klagt Pichl, seien die Angriffe zumindest von manchen politischen Gegner geworden. Die Grünen seien eine Partei, die für große Veränderungen werbe, versucht sie die Übergriffe zu erklären. Da werde man schnell zum Feindbild für die Gegner.
Auch die AfD klagt über deutlich mehr Plakatzerstörungen als in den vergangenen Wahlkämpfen. Auch massive körperliche Bedrohungen und sogar Angriffe habe es gegeben, sagt der Sprecher der Brandenburger AfD, Detlev Frye. In vielen Fällen aber habe man die Täter ausfindig machen und anzeigen können.
Eine harte Gangart im Wahlkampf, so die Brandenburger FDP-Spitzenkandidatin Linda Teuteberg, gebe es in ihrem Wahlkreis, zu dem Potsdam gehört, leider schon lange. Botschaften auf Wahlplakaten würden verfälscht oder die Plakate zerstört. Vereinzelt würden auch Wahlveranstaltungen gezielt gestört. Das alles sei schlecht für die Demokratie, klagt Teuteberg. Diese lebe davon, dass man andere reden lasse und nicht versuche, sie zu verbannen.
Weniger betroffen sehen sich SPD, CDU und Die Linke
Andere Parteien sind von einer Zunahme von Übergriffen hingegen eher verschont geblieben oder sie haben ein dickeres Fell. So kann auch die SPD von Plakatzerstörungen ein Lied singen. Das aber, so Landesgeschäftsführer Daniel Rigot, geschehe auf dem Niveau von früheren Wahlen.
So sieht es auch die Union. Das Niveau an Übergriffen allerdings sei sehr hoch, sagt Generalsekretär Gordon Hoffmann. Deutlich rauer geworden sei es vor allem im Internet. Das Maß an Hass und Häme sei hier enorm.
Einen rauen Wahlkampf nach bekannter Art bestätigt auch der Landesgeschäftsführer der Linken, Stefan Wollenberg. In der Summe seien die Übergriffe nicht mehr geworden als sonst, stellt er fest. Doch zur Wahrheit gehöre auch, dass eben mal in ganzen Ortschaften über Nacht Plakate der Linken verschwänden und die von politischen Gegnern der ganz anderen Seite aufgehängt würden.
Ein freiheitsliebender Flamingo wird besonders oft geklaut
Die Polizei und die Ermittlungsbehörden würden den zunehmenden Straftaten im Wahlkampf nicht tatenlos zusehen, versucht Torsten Herbst vom Polizeipräsidium zu beruhigen. Schon jetzt liege die Aufklärungsquote für politisch motivierte Straftaten im Jahr 2021 bei mehr als 45 Prozent, sagt er. Und das, obwohl viele Ermittlungsverfahren noch liefen.
2017 lag die Aufklärungsquote bei knapp 50 Prozent. Die werde man dieses Jahr, so Herbst selbstsicher, deutlich überbieten. Und weiter kündigt er an, "jeder zweite Straftäter kommt nicht ungeschoren davon".
Relativ gut durch den Wahlkampf kommen unterdessen die Freien Wähler. Nicht schlimmer als sonst sei die Lage für sie, so der Landesvorsitzender von BVB/Freie Wähler, Péter Vida. Einen Fall von massivem Plakatdiebstahl habe es zwar in Berlin gegeben, den aber führt Vida nicht auf Übergriffe von politischen Gegnern zurück.
Im Gegenteil: Es seien hier nur Plakate mit einem speziellen Motiv geklaut worden: das Flamingo-Plakat, sagt Vida. Unter einem orangefarbenen Flamingo, der unter vielen anderen Vögeln steht, ist die Schrift zu lesen "Freiheit. Zu sein, was man ist". Dieses Plakat und dieser Slogan, so vermutet Vida stolz, habe offenbar gerade in der Bundeshauptstadt besonders viel Zuspruch gefunden. Solche Übergriffe nimmt man dann offenbar gerne hin.