#Wiegehtesuns | Nanette vom SO36 - "Wir strampeln und machen und tun. Aber es hilft nichts, wenn nicht alle mitmachen"

Das SO36 in Berlin-Kreuzberg ist seit Ausbruch der Pandemie vorbildlich, was Hygienekonzepte angeht. Doch angesichts stagnierender Impfquoten und der Aussicht auf erneute Schließung schwindet den Macher:innen die Kraft. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Nanette Fleig gehört seit vielen Jahren zum SO36 Team und ist dort aktuell für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Gerade kippt bei uns ein bisschen die Stimmung. Seit Anfang September haben wir uns so viele Sachen ausgedacht, um diesen Blitzneustart hinzulegen. Da haben so viele aus dem Team so viele Stunden gekloppt. Und jetzt kommt der Dämpfer à la "Macht euch schon mal für den nächsten Lockdown bereit". Das wird dann auch zum Energieproblem.
Dieser ständige Wechsel aus Hoffnung und Niederschlag. Das zehrt an der psychischen Gesundheit und die Energie geht in den Keller. Wir sind müde und genervt, denn wir haben wirklich versucht, mit allem was ging vorbildlich zu agieren und es hilft nichts, wenn nicht alle mitmachen. Wir strampeln und machen und tun. Und es bringt nichts. Wir haben jetzt schon wieder über Kurzarbeit gesprochen. Und es wird kommen, wir machen uns da keine Illusionen, da wird noch mal was Lockdown-artiges kommen. Das ist schon ganz schön frustrierend.
Für uns war das wirklich viel Arbeit seit Beginn der Pandemie. Wir haben die Zeit, in der wir geschlossen waren, wirklich genutzt und viel gerödelt. Wir haben unsere Lüftung massiv aufgerüstet. Dafür gab es Fördergeld. Und sobald wir wieder irgendwas machen durften, haben wir immer wieder die Konzepte so angepasst wie verlangt oder sogar darüber hinaus. Wir haben Abstände eingehalten, Hygienekonzepte erarbeitet, das komplette Team hat sich doppelt impfen lassen, wirklich alle. Wir hatten neben dem Club schon ein Testzentrum eingerichtet, bevor 2G+ Pflicht wurde. Wir haben wirklich alles gemacht.
Und jetzt dürfen wir seit den letzten Beschlüssen nur noch die halbe Kapazität auslasten, das macht es schwierig, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Manche der Konzerte waren ja schon ausverkauft für die normale Kapazität, sollen wir jetzt auslosen, wer bei halber Kapazität noch rein darf? Jetzt werden auch schon wieder Konzerte abgesagt, weil die Bands die Touren canceln. Die Bands von weiter weg, aus den USA oder aus Schweden, die bekommen einfach keine vernünftigen Routen mehr hin für ihre Tourneen, weil überall andere Bestimmungen gelten und die Unsicherheit so groß ist. Das lohnt sich finanziell und vom Aufwand her für keinen mehr.
Wir versuchen trotzdem, weiter das zu machen, was geht. Wir machen halbe Kapazität, wir fahren die Lüftung auf volle Pulle, alle sind geimpft und getestet, das ist so sicher, wie es eben sicher sein kann. Und das machen wir, so lange wir es dürfen. Es sei denn, die neue Mutante stellt sich als hochgefährlich heraus oder etwas in der Art. Dann würden wir auch dicht machen, bevor es ein Gesetz gibt. Aber eigentlich wollen wir einfach nur weiter arbeiten dürfen. Das war auch so schön zu sehen, wie sich alle Besucher:innen so gefreut haben, dass bei uns wieder was los war. Das ist ja auch Lebensqualität. Und wir sind viel gelobt worden dafür, dass wir die Maßnahmen immer wirklich ernstgenommen und streng kontrolliert haben und die Leute sich bei uns sicher gefühlt haben. Es gab, soweit wir das zurückverfolgen können, bei uns im Club auch nur ein oder zwei Fälle, wo sich Besucher:innen eventuell im SO36 angesteckt haben könnten.
Wir lieben schon unsere Freiheit und werden eigentlich nicht gerne gegängelt von der Politik. Grundrechtseinschränkungen sehen wir absolut kritisch. Aber bei der derzeitigen Situation ist das doch total einzusehen. Ich verstehe auch die ständigen Appelle aus der Politik, dass die Leute sich doch impfen lassen sollen. Die Politik scheint da auch am Ende der Möglichkeiten. Man kann die Leute ja nicht einfangen und festbinden und die Spritze unter Zwang reinjagen. Ich würde mir einfach wünschen, dass die Menschen zur Besinnung kommen und sich doch impfen lassen.
Ich hatte halt immer den Eindruck, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Geimpfte gegenseitig anstecken, relativ gering ist. Und ich hab eine Zeit lang einfach verdrängt, dass es so viele Deppen gibt, die sich nicht impfen lassen. Das ist so ätzend und frustrierend. Das macht mich so wütend. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo Leute noch Kinderlähmung hatten, ich weiß einfach, dass eine Impfung eine krass gute Sache sein kann. Wie kann man so bekloppt sein, das nicht anzuerkennen?
Gesprächsprotokoll: Hendrik Schröder
Sendung: Abendschau, 1.12.21, 19:30 Uhr
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