#Wiegehtesuns? | Die OP-Krankenschwester - "Wir operieren wieder so viel wie vor der Pandemie, nur mit mehr Risiko"

Julia P. ist seit acht Jahren Operationstechnische Assistentin an einem Berliner Krankenhaus – ihre Arbeitsbedingungen sind wieder so angespannt wie zu Zeiten vor der Pandemie. Protokoll einer weiterhin ungewöhnlichen Situation. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Julia P. (Name von der Redaktion geändert), 30, arbeitet jahrelang unter teilweise sehr angespannten Verhältnissen als OTA (Operationstechnische Assistentin). Mit dem Coronavirus kam zunächst Entspannung in ihren Berufsalltag beziehungsweise in den OP-Bereich; nach einem Vor- und Zurück mit planbaren und nichtplanbaren Operationen sind jetzt vor-Corona-artige Verhältnisse wieder eingekehrt. So geht es Julia:
Das Aufkommen des Coronavirus und die sich verbreitenden Mutationen beunruhigen mich und meine Kollegen doch sehr. Auch wenn wir uns mit der Zeit doch relativ gut an die neuen Herausforderungen gewöhnt haben. Heute geht es mir darum, eine Infektion unbedingt zu vermeiden, da es schwere Folgen nach sich ziehen kann. Der Krankheitsverlauf beziehungsweise die Langzeitfolgen sind nicht absehbar, wie wir wissen. Das ist ein großes Problem. Den Geruchs- und Geschmackssinn zu verlieren ist eine Sache, aber nach einer Covid-Erkrankung an chronischer Erschöpfung zu leiden, stelle ich mir als Worst-Case-Szenario vor. Ich könnte dann eine Weile nicht arbeiten und es hätte auch starke Auswirkungen auf mein Privatleben.
Der Impfstoff Astrazeneca wurde mir vor zwei Wochen zum ersten Mal von meinem Arbeitgeber angeboten. Ich habe mich zunächst dagegen entschieden, auf Grund einer möglichen Unverträglichkeit und Skepsis dem Impfstoff gegenüber. Kolleginnen und Kollegen von mir hatten nach der Impfung durchaus Nebenwirkungen, welche aber auch normal und absehbar sind. Das heißt, ich werde mich mit dem Impfstoff schon impfen lassen, allerdings in einer Woche in der ich etwas weniger arbeite und auch sonst weniger Verpflichtungen habe.
Schutzausrüstung (FFP2/ FFP3 Masken, Schutzkittel und OP-Handschuhe) ist in unserem Krankenhaus mittlerweile in ausreichendem Maße vorhanden, was im vergangenen Jahr nicht immer der Fall war. Was das gesamte Gesundheitssystem anbelangt, denke ich, dass es auf Grund der vielen Intensivpatienten und der längeren Liegezeiten der Corona-Patienten finanziell völlig überlastet ist. Das zeigt sich jetzt auch in den OPs: In unserem Bereich findet jetzt wieder das elektive Programm statt (planbare OPs), plus akute Eingriffe, die wir teilweise an Corona-infizierten Patienten durchführen müssen.
Zur Zeit führen wir etwa 70 Prozent akute Eingriffe und 30 Prozent elektive OPs durch. Insgesamt wird wieder genau so viel operiert wie vor Corona. Tendenziell haben wir wieder zu wenig Personal für zu viele OPs – erschwerend kommen bei den akuten OPs teilweise Corona-Patienten hinzu. Wir operieren wieder so viel, wie vor der Pandemie, nur mit mehr Risiko. Das war aber vor allem im Dezember / Januar spürbar. Die Zahlen sind seitdem ja glücklicherweise zurückgegangen, was sich auch im OP-Bereich widerspiegelt.
Heute muss ich etwa zwei bis acht Operationen pro Dienst als OTA betreuen. Das Krankenhaus zeigt sich wieder als wirtschaftliches Unternehmen, das schwarze Zahlen schreiben muss. Es ist das gleiche Dilemma, wie vor der Pandemie.
Zum Glück bin ich als Operationstechnische Assistentin weiterhin nicht auf Corona-Stationen einsetzbar. Die Pflege und Behandlung auf einer Corona-Intensivstation ist komplex und körperlich wie psychisch sehr belastend; insbesondere, wenn man an die menschlichen Schicksale denkt, die einem hier begegnen.
Was das geplante Corona-Krankenhaus auf dem Messegelände anbelangt, bin ich nach wie vor skeptisch. Man hat in letzter Zeit nichts von dem Krankenhaus gehört, es hat aber viel Geld gekostet und ausreichend Personal hat es für diese Einrichtung meines Wissens nie gegeben.
Wieso die Corona-Zahlen derzeit steigen, ist mir nicht ganz klar. Wahrscheinlich lässt sich das auf die Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung und den damit verbundenen Leichtsinn der Menschen zurückführen. Die Mutationen spielen sicher auch eine größere Rolle aber davon merkt man zumindest im OP-Bereich momentan nicht viel. Wenn wir es bei einer OP mit einer Corona-infizierten Person mit der mutierten Variante zu tun haben, wird uns das mitgeteilt. Das heißt aber nicht, dass wir andere Schutzausrüstung tragen oder Ähnliches. Wir werden dann dafür sensibilisiert und lassen größte Vorsicht walten.
Traurigerweise sind wir, was die OP-Arbeit anbelangt, definitiv zum alten Muster zurückgekehrt. Das Verhältnis von OP-Anzahl zu Personalstärke bleibt unausgeglichen. Es ist immerhin nicht schlimmer geworden, als es vor der Pandemie bereits war.
Was die heutige Situation am Krankenhaus anbelangt, bin ich recht gefasst, angesichts der Tatsache, dass Corona-Schnelltests, Impfungen und OP-Material in ausreichendem Maße vorhanden sind. Andererseits sind wir alle recht ausgelaugt – auch im OP-Bereich ist eine recht ausgeprägte Corona-Müdigkeit festzustellen. Im Vergleich zum Intensivbereich und zu Covid-Stationen, auf denen es sehr anstrengend ist zu arbeiten, sind wir noch recht glimpflich davongekommen.
Die Anerkennung für Krankenhaus- und Pflegepersonal, die vergangenes Jahr zugenommen hat, wird sich bestimmt wieder auf dem alten Stand einpendeln. Der Respekt für den Berufstand wird sich in der Gesellschaft nicht nachhaltig halten, denke ich. Es ist bedauerlich, dass die Bevölkerung auf die Wichtigkeit und die schwierigen Bedingungen unserer Arbeit erst in der Pandemie aufmerksam geworden ist und gleich wieder woanders hinschaut.
Gesprächsprotokoll: Victor Buzalka
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