#Wiegehtesuns? | Die Sexarbeiterin - "Für Ungeimpfte biete ich Sexarbeit nur als Remote-Dienstleistung an"

Zum Beginn der Pandemie hat Sexarbeiterin Ruby erstmals mit rbb|24 gesprochen. Wegen des Berufsverbots verlor sie Einnahmen und Kunden. Seitdem ist viel passiert: Impf-Nachweise und Tests bestimmen ihre Arbeit - und sie kämpft gegen Long Covid. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Ruby arbeitet unter diesem Künstlernamen seit vielen Jahren als Sexarbeiterin. Inzwischen ist sie auch Aktivistin für ihre Branche, kämpft gegen das Prostituiertenschutzgesetz und die Stigmatisierung von Sexarbeitenden, tritt als Speakerin auf und bietet Workshops an. Wie ist es der 40-Jährigen Brandenburgerin seit dem #Wiegehtesuns zu Beginn der Pandemie ergangen?
Im Herbst 2020 hat sich herausgestellt, dass ich mich wohl in der ersten Welle mit Corona infiziert habe. Aber ich habe es nicht für Covid-19 gehalten, sondern für eine normale Erkältung. Damals konnte ich mich auch noch nicht testen lassen, zu diesem Zeitpunkt waren PCR-Tests noch nicht verfügbar.
Als ich wieder voll in meinen Beruf einsteigen wollte, war ich einfach überhaupt nicht fit. Ich habe mich langsam von zwei Stunden Arbeit auf vier Stunden Arbeit am Tag hochgekämpft. Ich hatte Wortfindungsstörungen, war sehr niedergeschlagen, immer atemlos und unglaublich müde.
Damals hat noch keiner von Long Covid als Krankheit gesprochen. Ich habe eine Ärzte-Odyssee hinter mir. Jedes Mal, wenn ich meine Symptome beschrieben habe, kamen Fragen nach meiner persönlichen Situation. Wenn man als Sexarbeiterin arbeitet, holen die Leute, also auch die Ärzt:innen, dann gleich wieder die Psycho-Keule raus: "Ja, das ist doch symptomatisch, die Frau müsste einfach aufhören, als Sexarbeiterin zu arbeiten." Das sind dann die typischen Stigmatisierungen.
Im Herbst 2020 habe ich einen Antikörpertest gemacht, dann war endlich klar, dass ich eine Corona-Infektion durchgemacht habe. Ich bin inzwischen auf jeden Fall besser beieinander, als vor einem Jahr. Und ich habe sehr viel über mich gelernt, was ich mir zumuten kann. Ich musste lernen, zuzulassen, dass ich jetzt für manche Dinge länger brauche.
Als Selbstständige kann ich es mir allerdings nicht leisten, krank zu sein. Ich stehe deshalb immer unter Strom. Ich muss immer im Blick behalten, ob mein Geld für den Monat reicht. Deshalb habe ich mich inzwischen auch breiter aufgestellt, um nicht allein auf die Sexarbeit angewiesen zu sein, wenn es mir gerade nicht so gut geht.
Ich führe außerdem für Hydra [Beratungsstelle für Sexarbeit und Prostitution, Anm. d. Red.] ein Presse-Archiv und setze mich viel mit dem Thema Medienkritik und Sexarbeit auseinander. Außerdem schreibe ich gerade an einem Antrag für ein Forschungsvorhaben zum Thema Desinformation und Verschwörungserzählungen über Sexarbeit. Trotzdem ist es keine Option für mich, die Sexarbeit aufzugeben. Ich wüsste nicht, was ich sonst machen will.
Die Tests und Impfungen waren ein Lichtblick und haben sehr viel verändert. Ich selbst habe alle Impfungen bekommen, bin sogar schon geboostert. Und ich suche mir jetzt auch sehr genau aus, wer von meinen Kund:innen bereit ist, die Corona-Schutzmaßnahmen minutiös so zu befolgen, wie ich sie im Protokoll festlege. Ich habe auch sehr wenig Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen. Und für diese Leute ist dann - wenn überhaupt - remote angesagt. Weil ich am eigenen Leib gemerkt habe, wie schrecklich diese Krankheit sein kann. Mir sind deshalb durchaus auch Kund:innen abgesprungen.
Die Impfungen haben eine gesamtgesellschaftliche Erleichterung gebracht, finde ich. Und gesamtgesellschaftliche Erleichterungen bringen immer auch Erleichterungen für marginalisierte Gruppen. Trotzdem muss ich einschränkend sagen, dass es immer noch so ist wie zu Beginn der Pandemie: Die Richtwerte für körpernahe Dienstleistungen gelten oft nicht für Sexarbeitende, diese sind meistens noch durch Zusatz-Regeln ergänzt. Das ist ein Stigma.
Wir haben einen neuen Gesundheitsminister, der sich in der Pandemie nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Karl Lauterbach hat uns Sexarbeitende als pandemietreibende Superspreader bezeichnet. Es sind alte Erzählungen über Sexarbeitende als Seuchenschleudern. Da wird wenig darauf geachtet, wie heute im Business gearbeitet wird.
Es geht hier um tief verwurzelte Vorurteile, die sich aus den Erzählungen von Prostitutionsgegner:innen nähren, die nur von Menschenhandel und Zuhältern sprechen. Dabei gibt es sehr viele selbstständige Kolleginnen, die sich sehr wohl um die Ressource Gesundheit kümmern und für Schutzmaßnahmen sehr erreichbar sind.
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Corona-Regeln für Sexarbeitende vereinheitlicht werden. Denn es gibt im Moment wieder ein Länder-Chaos. In einigen Bundesländern gelten Bordelle als Clubs, in anderen gelten SM-Studios als Prostitutionsstätten. Das ist kompliziert und willkürlich.
Und ich wünsche mir eine Entstigmatisierung unseres Berufs. Viele unserer Kolleg:innen können sich nicht anmelden. Deshalb haben sie auch keinen Zugriff auf die Staatshilfen und können sich somit nur schwer schützen. Und außerhalb jeder Pandemie müssen Sexarbeitende mehr einbezogen werden - es braucht mehr Rechte statt Verbote. Da habe ich ein bisschen Hoffnung, was die Ampelkoalition angeht.
Gesprächsprotokoll: Jenny Barke
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