Teilhabe am Berliner Kulturbetrieb - "Man kann hier ganz klar von sozialer Ungleichheit sprechen"

Sa 23.03.24 | 10:24 Uhr | Von Lukas Haas und Marie Kaiser
  94
Staatsoper Unter den Linden: Hinter der Nachhallgalerie. (Quelle: Staatsoper/Gordon Welters)
Video: rbb24 Abendschau | 23.03.2024 | Lukas Haas | Bild: Staatsoper/Gordon Welters

Wer in Berlin lebt, zahlt rechnerisch 43 Euro im Jahr allein für die Förderung der Oper. Doch weniger als drei von zehn Berlinerinnen und Berlinern gehen auch hin. Damit sich daran etwas ändert, lässt Berlin das Publikum systematisch erforschen. Von Lukas Haas und Marie Kaiser

Gesine Karls war noch nie in der Oper. Dabei hört die 59-jährige Berliner Erzieherin gerne klassische Musik. "Aber wenn ich mir im Fernsehen Bilder angeguckt habe, wo die Leute in die Oper gehen, habe ich mir gedacht, es ist nicht meine Welt", sagt sie. Doch nun will sie über ihren Schatten springen: "Die Walküre", fünf Stunden Wagner in der Staatsoper Unter den Linden stehen auf ihrem Programm.

Warum es in der Kultur sozial ungerecht zugeht. (Quelle: rbb)
Gesine Karls (li) beim Opernbesuch | Bild: rbb

160 Millionen Euro allein für die Opern und das Staatsballett

Mit Ihrer grundlegenden Skepsis der Oper gegenüber fällt Gesine Karls nicht aus der Reihe. Nur drei von zehn Berliner:innen gaben in einer Umfrage des Instituts für kulturelle Teilhabeforschung vor der Corona-Flaute an, innerhalb eines Jahres Opern, Ballett oder Tanztheater besucht zu haben. 2023 waren es sogar noch weniger. Ein niedriger Wert, angesichts des breiten Angebots an Kultur und Hochkultur.

590 Millionen Euro hat Berlin im vergangenen Jahr insgesamt für Kulturförderung ausgegeben. Etwa 160 Millionen Euro davon allein für die Opern und das Staatsballett. Das sind umgerechnet rund 43 Euro, die jeder Berliner und jede Berlinerin im Jahr dafür beisteuert. Doch profitieren vor allem die finanziell Bessergestellten davon - denn sie sind im klassischen Hochkulturpublikum überrepräsentiert.

Das Problem der niedrigen kulturellen Teilhabe ist auch der Berliner Politik bekannt. Schon vor Jahren hat der Senat das sozialpolitische Ziel ausgegeben, ein breiteres Publikum mit den öffentlich-geförderten Kulturangeboten anzusprechen. Die Senatsverwaltung hat deshalb 2008 das sogenannte Kulturmonitoring ins Leben gerufen, um Menschen zu befragen, warum sie der Kultur fernbleiben, und was sie vielleicht doch in die Oper oder ins Ballett locken könnte.

Kein anderes Bundesland vermisst das Publikum so systematisch

Das Kulturmonitoring in Berlin, das seit 2020 vom Institut für kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) durchgeführt wird, ist deutschlandweit ein Vorreiterprojekt. Das IKTf befragt im Monat im Schnitt 6.000 Menschen bei Kulturveranstaltungen. Um jene zu erreichen, die der Kultur fernbleiben, werden alle zwei Jahre auch postalische Befragungen durchgeführt. So bekommt das Institut Informationen über die sozio-ökonomischen Hintergründe des Publikums, den Lebensstil und die Besuchsmotivation. Das Land Berlin übernimmt für die Kulturbetriebe die Kosten dafür und stellt ihnen die Ergebnisse zur Verfügung.

Kulturangebote richten sich an privilegierte Berliner:innen

Eines der weniger überraschenden, aber doch eindeutigen Ergebnisse: Der Kulturbetrieb hat ein Diversitätsproblem. Sein Berliner Publikum ist überdurchschnittlich hoch gebildet. Nur 15 Prozent des Berliner Kulturpublikums hatte 2023 kein Abitur oder keinen Hochschulabschluss. In den Opern sind es sogar nur 13 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung haben etwa 64 Prozent dieses Bildungsniveau.

Außerdem erreichen Hochkulturangebote vor allem ältere und wohlhabende Menschen. So sind beispielsweise 60 Prozent der Opernbesucher:innen über 50 Jahre alt und 70 Prozent werden als sozial und finanziell gut ausgestattet gewertet.

Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Wohnsitz in Deutschland haben, machen nur 16 Prozent des Kulturpublikums in Berlin aus. In der Berliner Gesamtbevölkerung liegt ihr Anteil hingegen bei etwa 40 Prozent.

"Man kann hier ganz klar von sozialer Ungleichheit sprechen"

Die Daten aus der Publikumsforschung haben schon dabei geholfen, sich für ein vielfältigeres Publikum zu öffnen, erklärt die Leiterin des Vertriebs der Staatsoper Julia Hanslmeier. Die Daten werden vor allem für das Marketing genutzt, um die Kundenansprache zu verfeinern. Seit 2019 habe der Anteil der Besucher:innen mit Migrationshintergrund zugenommen, sagt sie. "Da sind wir aktuell über 15 Prozent. Damit sind wir jetzt über dem Branchendurchschnitt." Laut Kulturmonitoring ein Anstieg um sechs Prozentpunkte binnen vier Jahren.

Insgesamt stagniert bei den Berliner Kultureinrichtungen jedoch die Diversität. Thomas Renz, Wissenschaftler am Institut für kulturelle Teilhabeforschung, ist für das Kulturmonitoring mitverantwortlich. "Wenn man sich anschaut, wer kommt und wer nicht kommt, dann kann man hier ganz klar von sozialer Ungleichheit sprechen." Besonders besorgt schaut das IKTf auf die "fortschreitenden Überalterung" beim klassischen Kulturpublikum. Diese werde zur Herausforderung, weil die ältesten Besuchergruppen irgendwann wegbrechen, aber momentan keine jüngeren nachrücken.

Nicht nur das Marketing, auch die Inhalte müssen sich ändern

Die geförderten Einrichtungen müssten mehr tun. Da reiche besseres Marketing nicht aus: “In der Oper, aber auch in anderen Kultureinrichtungen muss man wirklich an den Kern des Angebots. Das sind die künstlerischen Inhalte, aber auch die Formate. Gerade die Oper ist schon ein sehr starres Format”, erklärt Renz. Doch zum ganzen Bild gehört auch: Jeder Kulturbereich hat sein eigenes Publikum. Die Besucher:innen des Technikmuseums seien etwa deutlich diverser als in den Berliner Opern, sagt Renz. Insgesamt stehe der klassische Kulturbereich vor den größten Herausforderungen.

Nur wenig Entwicklung in den Daten zu erkennen

Die Opern, so wirkt es, haben das Problem erkannt. Sie machen viele Angebote, um das Publikum diverser zu machen, etwa Aktionen wie "Oper für alle" mit Aufführungen unter freiem Himmel, Sozialtickets ab drei Euro oder Kooperationen mit Schulen. Dennoch gelingt es den Opern nur selten, sich für ein breiteres Publikum zu öffnen. Im Gegenteil: Der Anteil der Menschen ohne Abitur in Kultureinrichtungen ist sogar leicht zurückgegangen zwischen 2019 und 2023. Auch ein Nachrücken eines jüngeren Publikums ist in den Daten nicht erkennbar.

Gesine Karls jedenfalls hat die Oper gepackt. Der Besuch war ein positives Erlebnis, aber manches stört sie doch: "Es ist mitten in der Woche, ab 16 Uhr. Das ist eigentlich kaum möglich, es sei denn man ist Rentner, Privatier oder muss sich nicht sonst großartig tagsüber beschäftigen", sagt sie. Trotzdem kann sich gut vorstellen, öfter zu kommen - wenn auch nicht unbedingt für Wagner.

Sendung: rbb24 Abendschau, 23.03.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Lukas Haas und Marie Kaiser

94 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 94.

    Wie sie lesen können, interessiert sich urplötzlich ganz Berlin für die Oper.

  2. 93.

    "soziale Ungleichheit" wird es nie geben - auch gut so. Jeder ist seines Glückes Schmied!

  3. 92.

    Und deswegen sind unsere Steuern so hoch, weil wir alles subventionieren. Ein Zirkus oder Musical wird ja auch nicht durch Steuern unterstützt. Vielleicht sollte man auch nicht überdimensioniert Theater errichten und die Gehälter der Nachfrage anpassen, Marktwirtschaft lässt grüßen. So würden das erschwinglicher werden.

  4. 91.

    Auch ein Aspekt - Kulturgenuss! Es ist eine Anfahrt erforderlich, entweder mit dem Auto oder mit den Öffis. Hinzukommt, dass mehrheitlich viele Leute arbeiten gehen. Da ist dann pünktlicher Arbeitsschluss, nach Hause kommen "Hinein"-'hoppeln' in die Sachen schon eine der extra- Herausforderung.
    Ich stelle mir da jetzt gerade mit dem "Abendprogramm" - Kinder vor.
    Nicht jeder wohnt um die nächste Straßenecke!
    In meiner Zeit als Jugendliche gab es so eine Art "Kulturbus" -Fahrt. Das möchte ich mir preislich heute auch nicht mehr vorstellen.

  5. 90.

    Marianne Sonntag, 24.03.2024 | 12:27 Uhr
    "Soziale Ungleichheit"
    "Ein schwammiger Kampfbegriff. Es wird immer Ungleichheit geben. Und das ist auch gut so.
    Nicht jeder muss Opern, klassische Musik etc. gut finden."

    Soziale - gemeint ist eigentlich: ökonomische Ungleichheit,
    ist kein "Kampfbegriff" sondern eine messbare, menschengemachte Realität.
    Zum Kampfbegriff wird er von denen relativiert, die daraus eine "Neid"Debatte machen wollen, oder mit dem Unsinn aufwarten. mit sozialer, ökonomischer Gleichheit sei die Gleichschaltung zu einem Einheitsmenschen gemeint. Das sind Argumente um sich mit den eigentlichen Sachverhalten nicht auseinanderzusetzen.
    Richtig ist - der Besuch öffentlich getragener oder hochsubventionierter Kultur, Bildung- Unterhaltungseinrichtungen ist teuer. Privatwirtschaftliche meist noch teurer.
    Frage ist wer real Zugang hat. Und welche Kultur Budget bekommt.

  6. 89.

    Ergänzend: Firmen die Freie beschäftigen, zahlen auch in die KSK ein, richtig geraten, für den Arbeitgeberanteil.

  7. 88.

    Antwort auf "Andreas G." vom Sonntag, 24.03.2024 | 13:25 Uhr
    "Und als Erzieherin noch niemals solche Häuser besucht?" Aber "Hut ab", als Premiere 5 Stunden Wagner!
    "Wo bleibt Erziehung und Weitergabe von Wissen an unsere Kinder?" Dafür wird sie im Beruf keine Zeitfenster haben, da müssen die Eltern ran.

  8. 87.

    Antwort auf "Panne" vom Sonntag, 24.03.2024 | 11:41 Uhr
    "Erwartet nicht von der Allgemeinheit, das sie mit Freude alles mitfinanzieren möchte und wer sich die Oper anschauen möchte sollte auch den entsprechenden Preis zahlen. " Das tun ja die meisten, aber wenn sich die Häuser allein aus den Eintrittspreisen finanzieren müssten, wären die Preise noch höher und für noch mehr Menschen nicht bezahlbar. Jede:r finanziert über die Steuern Dinge mit, die er nicht nutzt; die, die ich nutze sind auch von anderen mitfinanziert.

  9. 86.

    Nun interessieren sich vielleicht auch nicht alle für Oper?

  10. 85.

    Ich sehe es genauso. Und als Erzieherin noch niemals solche Häuser besucht? Wo bleibt Erziehung und Weitergabe von Wissen an unsere Kinder? Nicht alles ist eine Frage des Geldes sondern der Einstellung. Aber wenn’s nicht umsonst oder billig ist, geht man nicht hin. Traurig, wenn man auch bedenkt, wieviel Menschen allein auf und hinter der Bühne stehen!

  11. 84.

    Guten Tag! Wir würden uns über einen vergleichenden Artikel über die Situation von Kinder- und Jugendtheatern in der Stadt freuen.
    Mit freundlchen Grüßen & bestem Dank

  12. 83.

    "Soziale Ungleichheit"
    Ein schwammiger Kampfbegriff. Es wird immer Ungleichheit geben. Und das ist auch gut so.
    Nicht jeder muss Opern, klassische Musik etc. gut finden.

  13. 82.

    Wenn die Armen arm sind, zahlen sie gar nix, weil sie keine Einkommensteuer zahlen. Dafür bekommen sie aber vielleicht Sozialleistungen und überall Vergünstigungen. Ich glaub es könnte schlimmer sein....

  14. 81.

    "Was ich mir nicht leisten... ."
    Das sehe ich genauso, aber wenn man sich das genauer anschaut, liegt dort genau das Problem. Warum muss für alles der kleine Steuerzahler mit aufkommen? Erwartet nicht von der Allgemeinheit, das sie mit Freude alles mitfinanzieren möchte und wer sich die Oper anschauen möchte sollte auch den entsprechenden Preis zahlen. Das wurde oft genug zu Recht in den letzten Jahren kritisiert. Versteckten Vergünstigungen ist da auch nur eine Ausrede.

  15. 80.

    Sie fragen ernsthaft, warum bei Musicals gesungen wird?

  16. 79.

    Warum betrachten Sie nicht einfach konkret die Ticketpreise der Staatsoper UdL? Für eine der derzeit aufgeführten Wagner-Opern Kosten die Tickets zwischen 277 und 127 € , vorausgesetzt, Sie wollen die Bühne sehen und alles gut hören, was sicher nicht zuviel an Anspruch sein dürfte. Für weniger sind nur sicht- oder höreingeschränkte Plätze zu bekommen. Fragen Sie doch bitte die Verkäuferin oder den Busfahrer, die vielleicht auch opernbegeistert sind, wie oft sie in die Oper gehen können? Tja..

  17. 78.

    Hallo zurück!
    Danke, ich habe heute alle Stream-Abos gekündigt. ist wirklich Zeit+Geldverschwenung. Werd dafür öfter ins Theater und Kino gehen!

  18. 77.

    Moin Martin! Schönen Palmsontag erstmal. Ich arbeite ca. 75 Stunden die Woche und verdiene nicht soviel, aber geh trotzdem auch ins Theater. Braucht meine Seele!

  19. 76.

    Vielen dank Claudia für Deine Worte! ich wünsch allen (auch dem RBB24-Mitleser) auch noch einen schönen Palmsonntag!

  20. 75.

    Die KSK bezahlt Selbstständigen lediglich den Arbeitgeberanteil, den bei Festangestellten eben der Arbeitgeber bezahlt. Es handelt sich also nur um eine Gleichstellung mit Festangestellten. Von den Privilegien anderer Gruppen (beispielsweise Beamter, die aus unerklärlichen Gründen überhaupt nicht in die Rentenkasse einzahlen) ist das meilenweit entfernt.

Nächster Artikel