#Wiegehtesuns? | Der Filmverleiher - "Es werden unnötig Werte vernichtet - auch die Leidenschaft meiner Mitarbeiter"
Torsten Frehse betreibt einen Filmverleih. Seit Beginn der Pandemie stellt sich für ihn immer wieder die Frage: Lohnt es sich, einen Film in die Kinos zu bringen - oder macht mir ein neuer Lockdown das Geschäft kaputt? Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Über die Kinos, die in den Lockdowns geschlossen waren oder auch jetzt je nach Bundesland wieder mit Lockdowns, Einschränkungen und Regelungen zu kämpfen haben, hat man während der Pandemie immer wieder viel gehört. Doch wie sieht es aus bei denen, die den Kinos die Filme geben, den Filmverleihern? Torsten Frehse, gebürtiger Köpenicker und ehemaliger Kinobetreiber, leitet seit 1997 den unabhängigen Filmverleih Neue Visionen.
Ich hätte am Anfang wirklich nicht gedacht, dass sich das über zwei Jahre oder noch länger hinziehen würde. Bei mir herrscht zunehmend Frust und Verbitterung. Beim ersten Lockdown nimmt man es hin: "Höhere Gewalt", "flatten the curve": Alles richtig und man muss es halt tun.
Beim zweiten Lockdown war für mich schon der große Widerspruch, dass Gottesdienste erlaubt waren und Kinos nicht, was natürlich klar unsere Arbeit betroffen hat, obwohl es keinen nachweislichen Zusammenhang gab. Kinos haben die Pandemie nicht befeuert. Wenn, dann wohl eher Gottesdienste.
Da fühlt man dann schon Ungerechtigkeit und vor allem wurde da auch deutlich, dass das alles viel länger dauern würde. Und jetzt in diesem Winter ist es so, dass mich dieses Staatsversagen nur noch nervt. Wenn wir drei Monate früher mit Boostern angefangen hätten, würden wir mit viel weniger Lockdown klar kommen - und wir könnten unsere Arbeit machen.
Es werden unnötig Werte vernichtet - nicht nur Geld, sondern auch die Arbeitszeit, die Leidenschaft meiner Mitarbeiter. Da bin ich einfach nur noch sauer. Kulturorte werden als Sündenbock genommen, um so zu tun, als würde man etwas tun - das ist keine Pandemiebekämpfung, sondern Spiegelfechterei.
Klar, es gibt Hilfen, aber als Berliner Verleiher, der bundesweit einen Film in die Kinos bringt, hat man nicht so viele Fixkosten. Wir haben im November zum Beispiel den Film "A la carte" gestartet - und dann war auf einmal in fast der Hälfte der Bundesländer 2G+, wo dann kaum jemand mehr in die Kinos gehen konnte, weil es gar nicht genug Teststationen in den kleineren Städten gab. Und in Sachsen waren die Kinos ganz zu.
Während die Kinobetreiber das wahrscheinlich einigermaßen ausgeglichen bekommen, gehen wir da leer aus. Beim Filmstart von "A la carte" haben wir circa eine halbe Million Euro mit der Bewerbung und Vorbereitung auf den Start versenkt. Da kommt jetzt keiner und sagt: "Gut, da entschädigen wir dich." Für einen Filmverleih ist jeder einzelne Start eine riesige Investition - für ein Kino ist es ein Film, der neben den fünf anderen mal zwei Wochen schlecht läuft.
Im Augenblick trifft es die Verleiher am härtesten. Die Überbrückungshilfen betreffen einen Teil der Personal- und Fixkosten, aber ein Verleih funktioniert ja nicht über Fixkosten. Wir investieren in Lizenzen, also das Recht, einen Film zu starten, und wir bezahlen dafür, dass man es mitbekommt, dass dieser Film hier rauskommt.
Und von diesen Filmen, die wir jetzt herausbringen wollten, wird gerade einer nach dem nächsten vernichtet. Deswegen haben wir jetzt auch sämtliche geplanten Filme ab Januar erstmal auf Hold gesetzt. Wir haben die Kinostarts erstmal abgesagt und wollen uns erst dann wieder festlegen, wenn wir halbwegs absehen können, wie die politische Situation ist.
Es ist eine ernüchternde Situation, in der wir uns gerade befinden. Man hat den Eindruck, dass kulturelles Zusammentreffen, kulturelle Orte nicht wirklich geschätzt werden. Das ist eine Erkenntnis, die mir sehr weh tut. Vor zwei Jahren wäre mir das nie eingefallen, dass es das geben könnte. Kann man sich jetzt daran gewöhnen? Denkt man, dass es irgendwann wieder besser wird? Wie alt ist man dann?
Tja, es ist keine schöne Zeit, aber ich gehe noch nicht in Therapie. Wir haben zum Glück als Filmverleih ein paar gute Jahre gehabt bis 2019 und 2020. Wir werden schon überleben, und wir haben ja auch ein paar wirklich starke Filme, die wir gut herausbringen wollen. Da wollen wir nicht noch einmal auf dem falschen Fuß erwischt werden. Das ist uns dreimal passiert, erst mit "Die perfekte Kandidatin", die nach drei Tagen im Kino vom ersten Lockdown erwischt wurde, mit "Eine Frau mit berauschenden Talenten", die nur zwei Wochen von einem Lockdown verschont blieb, und jetzt im Herbst eben "A la carte".
Das ist ein Desaster - und das möchten wir nun wirklich nicht noch einmal erleben müssen. Irgendwann hat man einfach nicht mehr die Nerven.
Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht. Kann ich jetzt allen Ernstes beispielsweise einen Filmstart für Ende Februar festlegen? Wir müssen bei diesen Entscheidungen, die wir ja auch immer mehrere Monate vorher treffen, immer mit einberechnen, dass es für uns zu einem Komplettausfall kommen kann. Sei es durch Lockdown oder durch so unbequeme Regelungen, dass wirklich zu wenige Menschen ins Kino gehen, selbst wenn sie es dürfen.
Ich hoffe erstmal, dass die Berlinale wie geplant stattfindet und damit auch ein Signal gesendet wird: Kino ist ein sicherer Ort.
Gesprächsprotokoll: Alexander Soyez
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