#Wiegehtesuns? | Intensivpflegerin auf Covid-Station - "Unter diesen Arbeitsbedingungen habe ich es nicht mehr ausgehalten"

Intensivkrankenschwester war immer ihr Traumberuf. Aber nach zehn traumatischen Monaten auf einer Covid-Intensivstation in Berlin hat Marie K. ihren Job aufgegeben. Sie erzählt, wie es so weit kommen konnte. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Marie K. ist 26 Jahre alt und hat drei Jahre lang als Intensivpflegerin in einem Berliner Krankenhaus gearbeitet. Wer ihr Arbeitgeber war, darf sie nicht preisgeben. Die Intensivpflege war für sie immer ein Traumberuf. Aber nach ihrer Ausbildung erlebt sie im Berufsalltag eine herbe Enttäuschung. Zeitdruck, Stress, Überforderung – und ihr bleibt kaum Zeit für die Patienten. Vielen ihrer jungen Kollegen geht es ähnlich. Noch schlimmer wird die Situation, als die Pandemie in Berlin ausbricht und sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege weiter verschärfen. Marie arbeitet auf einer Covid-Station am Rande ihrer Belastungsgrenze – bis sie nicht mehr kann. Nach langem Ringen kündigt sie. Hier erzählt sie, wie es ihr heute mit ihrer Entscheidung geht:
Ich dachte, ich hätte versagt. Ich hatte furchtbare Schuldgefühle. Mir ging immer wieder durch den Kopf: Marie, jetzt hast du gekündigt, jetzt müssen andere deine Arbeit machen. Du lässt deine Kolleginnen mitten in der Pandemie im Stich. Im Januar und Februar konnte ich kaum darüber sprechen und habe viel geweint. Ich war körperlich und psychisch am Ende.
Nach meinem letzten Arbeitstag am 17. Dezember 2020 habe ich meine Arbeitsschuhe und mein Stethoskop mit nach Hause genommen und in eine Schublade gesteckt. Ich habe sie monatelang nicht mehr aufgemacht. Ich brauchte Abstand zu allem, was mich an die Covid-Station erinnert hat. Wenn ich mein Stethoskop jetzt aus der Schublade heraushole und es mir um den Hals lege, fühlt es sich fremd an. Als dürfte ich es gar nicht mehr besitzen.
Dabei wollte ich immer Intensivpflegerin werden. Es war mein absoluter Traumberuf. Aber schon vor Corona habe ich mit dem Job gehadert. Denn all die Probleme in der Pflege, die 2020 umso sichtbarer wurden, die gab es ja schon vorher. Dass die Leute uns plötzlich wahrgenommen und für uns geklatscht haben, fanden wir heuchlerisch. Wir waren ja schon vor Corona da und unsere Probleme auch.
Als ich 2018 nach meiner Ausbildung 2018 in den Job gestartet bin, war ich motiviert und idealistisch. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich die Patienten nicht so pflegen konnte, wie ich es in der Ausbildung gelernt habe. Ich bin von A nach B gehetzt, konnte ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden. Außerdem war ich mir bei Vielem unsicher und oft überfordert von den komplexen Aufgaben. All die hochkomplizierten Geräte und Abläufe. Jeder Handgriff muss sitzen, denn das Leben von schwerkranken Patienten hing davon ab.
Was mache ich, wenn es hier piept? Was mache ich, wenn es dort piept? Die Einarbeitung war oft zu oberflächlich, ich wusste vieles noch nicht. Das hat bei mir eine extreme Unsicherheit ausgelöst, die mich gelähmt hat. Ich hatte ständig Angst, etwas falsch zu machen. Ich wurde einfach so hineingeworfen in den Beruf. Und habe mich mit der Verantwortung für schwerkranke Patienten alleingelassen gefühlt. Ich wurde nicht ausreichend professionell begleitet.
Ich hatte einen großen Wissensdurst, wollte mich verbessern und Fortbildungen machen. Aber oft konnten mir Kollegen nur kurz etwas bei Schichtwechsel erklären. Wegen des Personalmangels war keine Zeit für ausführliche Schulungen. Wenn ich einen Kurs mache, falle ich ja auf Station aus. Bei einem System, das sowieso schon auf Kante genäht ist, ist es extrem schwierig, Kollegen zu entbehren, weil sie natürlich am Patienten gebraucht werden. Nach Feierabend habe ich fieberhaft in Fachbüchern gelesen, um möglichst viel dazuzulernen.
Und dann kam der März 2020. Von heute auf morgen war meine Intensivstation eine Covid-Station. Unsere Aufgaben haben sich weiter verdichtet. Selbst erfahrene Pflegekräfte kamen an ihre Grenzen. Belastung, Überforderung, Dauerstress. Während der Schichten habe ich meine Grundbedürfnisse – Trinken, Essen, auf Toilette gehen – hinten angestellt. An angespannten Tagen habe ich erst bei Dienstende gemerkt, dass ich die letzten acht Stunden noch nicht auf Toilette war. Ich hatte es verdrängt.
Gleichzeitig war es eine Zeit, in der ich Hoffnung geschöpft habe. Die Augen der Welt waren auf die Intensivstationen und unsere Arbeit gerichtet. Ich habe gehofft, dass sich endlich etwas tut und die Politik handelt. Aber da wurde ich enttäuscht. Allein schon die mickrigen Corona-Boni, die an Pflegende gezahlt wurden. Im Vergleich zu unserer immensen Verantwortung waren sie lächerlich. Ich glaube, die Unterstützung aus der Gesellschaft war vorbei, als wir gestreikt haben. Als wir Forderungen nach mehr Gehalt gestellt haben. Vielleicht hätten wir mit dem Klatschen zufrieden sein sollen, vielleicht war das das höchste der Gefühle.
Im Sommer habe ich überlegt, alles hinzuschmeißen. Aber ich dachte mir: Komm, reiß dich zusammen und mach weiter. Du wirst gebraucht. Ich wollte ja mein Team nicht hängen lassen. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Im Herbst habe ich all meinen Mut zusammengenommen und gekündigt. Am Ende war es die Summe aus allen Belastungen. Auch dass ich gemerkt habe, dass sich gesellschaftlich nichts ändert, dass Pflege so erscheint, als seien wir nur Hinternabwischer. Unsere Professionalität wurde nicht gesehen.
Am Anfang haben mich meine Schuldgefühle ziemlich fertig gemacht. Gleichzeitig wusste ich auf einer rationalen Ebene, dass ich nicht allein bin. Ich kenne viele andere junge Pflegekräfte, die auch aufgegeben haben. In meiner Ausbildungsklasse waren wir damals 30 Leute und nur noch vier bis fünf von ihnen arbeiten heute noch in der Pflege. Es macht mich traurig, denn eigentlich müssten wir die Zukunft des Berufs sein. Ich finde es makaber, dass die Pandemie so viele Pflegekräfte in die Kündigung getrieben hat. Aber die Bedingungen sind daran schuld, dass wir aufgegeben haben und nicht wir selbst. Ich studiere jetzt Gesundheitswissenschaften und will mich weiter für die Pflege und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.
Ich brauche noch etwas Zeit, um die traumatischen Momente auf der Covid-Station zu verarbeiten. Aber mittlerweile fühle ich mich nicht mehr schuldig. Schuld ist ein krankes System, das von Anfang an auf Überforderung angelegt ist.
Gesprächsprotokoll: Anna-Maria Deutschmann
Kommentar
Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.
Nächster Artikel
Dritte Runde im Tarifstreit - Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gescheitert - Schlichtung soll folgen
Im Alter von 55 Jahren - Rosenstolz-Sängerin Anna R. gestorben
Diskussion um PCK Schwedt - Habeck kritisiert Woidke wegen Aussage zu russischem Öl
Ab Ende März - ÖBB streicht Nachtzugverbindung zwischen Berlin und Brüssel
Berliner Stadtautobahn - A100 auf maroder Ringbahnbrücke über Nacht in nördlicher Richtung gesperrt
Krankenhausreform - Brandenburger Kliniken sollen mehr ambulante Versorgung bieten
Fußball-Bundesliga - Das ist drin für Union Berlin in den kommenden Spielen
Berlin - Person verklagt Fluglinie wegen fehlender geschlechtsneutraler Anrede
Berlin-Köpenick - 83-Jährige stirbt mehrere Wochen nach Unfall im Krankenhaus
Hase/Volodin vor WM - Eiskunstlauf-Trainer Schubert: "Sie sind die Gejagten"
Prozess nach 30 Jahren - Mutmaßliche Linksextremisten gestehen Anschlagsplan in Berlin
Berlin-Kreuzberg - 1.-Mai-Demonstranten wollen Text von Ex-RAF-Terroristin Klette verlesen
Infrastruktur - Brandenburger Sportvereine hoffen auf Fortsetzung der Fördermittel
Wohnprojekt - Wiesenburger Sägewerk wird gesellschaftliches Zentrum
Zwei Tote in der Uckermark - Tödliche Stiche in Casekow: Verdächtiger soll psychisch krank sein
"Nummer gegen Kummer" - Berliner Sorgentelefon steht vor dem Aus
Wieder Elfmeter-Ärger - Cottbus-Trainer Wollitz spricht sich für VAR in der 3. Liga aus
Berliner Projekt - Schutzwohnung für Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel eröffnet
Widerstand gegen CDU-Chef Merz - Scheidender CDU-Abgeordneter Czaja will gegen Finanzpaket stimmen
Zuwanderung aus dem Ausland - Neue Berliner: Wer kommt, wer bleibt - wer prägt die Zukunft?
Berlin - Amateurfußballspiel in Prenzlauer Berg nach Gewaltvorfällen abgebrochen
12.000 Tonnen Abfall - BSR holt nach Streik wieder Müll in Berlin ab
Aus Holz, Kupfer und Edelstahl - Arbeiten für Turmhaube der Garnisonkirche beginnen
Berlin-Tegel - Mann soll Mutter von Balkon gestoßen haben – Psychiatrie beantragt
Schöneiche (Oder-Spree) - Feuerwehren üben Rettung von Opfern nach Straßenbahn-Unfällen
Oder-Spree - Innenstadt von Erkner wegen Bauarbeiten für 1,5 Jahre teilweise dicht
Lolas - "September 5" über Olympia-Attentat zehnmal für Deutschen Filmpreis nominiert
Krieg in der Ukraine - Hilfstransport aus Cottbus für ukrainisches Kinderkrankenhaus gestartet
Bürgermeistwahl in Zehdenick - Parteiloser Kretzschmar gewinnt Stichwahl gegen AfD-Kandidaten
Wittenberge (Prignitz) - Bewohner müssen Pflegeeinrichtung nach Wasserschaden vorübergehend verlassen
5:1-Auswärtssieg - Reese schießt Hertha in Braunschweig zum Befreiungsschlag
Herthas 5:1-Sieg in Braunschweig - Im Torrausch aus der Krise?
Bürgermeistwahl in Zehdenick - Parteiloser Kretzschmar gewinnt Stichwahl gegen AfD-Kandidaten
Öffentlicher Dienst - Tarifeinigung oder neue Warnstreiks?
Basketball-Bundesliga - Alba Berlin fertigt Löwen Braunschweig ab
Co-Reading in Berlin - "Erst lesen, dann socializen, dann gehen wir wieder heim"
Frauen-Bundesliga - Turbine verspielt Führung in Essen
Rückkehr aus Venezuela - 30 Jahre nach gescheitertem Anschlag auf Gefängnis: Zwei Männer vor Gericht
Erfolg zum Playoff-Auftakt - Eisbären gewinnen erstes Viertelfinalspiel gegen Straubing
2. Frauen-Bundesliga - Union Berlin mit enttäuschendem Remis gegen Bayern II
3. Liga - Cottbus feiert in Sandhausen glücklichen Sieg
Berliner Wasserbetriebe - Ausbau des Klärwerks Waßmannsdorf am BER fertig
Regionalliga Nordost der Frauen - Viktoria gewinnt deutlich gegen Jena, Hertha siegt im kleinen Derby
Regionalliga Nordost - Hertha 03 beendet CFC-Serie, Altglienicke und Luckenwalde mit knappen Niederlagen
Neukölln und Spandau - Verletzte bei zwei Bränden - Polizei ermittelt wegen Brandstiftung
Uckermark - 59-Jähriger stirbt bei Wohnungsbrand in Templin
Energiewende - Wohnungsverband gegen Rückabwicklung des Heizungsgesetzes
Neuruppin - Fünf Autorinnen auf Shortlist für Fontane-Literaturpreis
Łužyske rěcy - Youtube unterstützt nun sorbische Untertitel
Von Abwehrbollwerk bis Offensiv-Effizienz - Fünf Gründe für Unions Remis-Coup gegen Bayern
1:1 gegen den Tabellenführer - Joker Hollerbach belohnt starke Unioner gegen Bayern
Verkorkste Bundestagswahl - Brandenburger Ministerpräsident Woidke fordert Wechsel an der Spitze der Bundes-SPD
Anlage auf dem Brauhausberg - Früheres Landtagsgebäude in Potsdam weiterverkauft
Zwischen Extremsport und Hilfsmitteln: - Das Geheimnis (fast) ewiger Jugend und Fitness
Ulli Zelle geht in Rente - "Abschied ist ein scharfes Schwert"
Nach zehn Jahren Bauzeit - A100-Verlängerung bald fertig – aber wohin mit dem Verkehr?
3:0 gegen Dachau - BR Volleys gewinnen zum Hauptrundenabschluss
Parkgebühren - Anwohnerparken in Cottbus wird ab April knapp viermal so teuer
Volleyball - Potsdamerinnen gewinnen am letzten Spieltag der Bundesliga-Hauptrunde
Sieg gegen Österreich - Handball-Nationalmannschaft qualifiziert sich frühzeitig für EM
Projekt in Pankow - Wie eine Genossenschaft erfolglos versucht, ein Azubi-Wohnheim zu bauen
Landesparteitag - Andrea Lübcke und Clemens Rostock sind neue Spitze der Brandenburger Grünen