Wegfall der Sozialbindung - Mieterhöhungen "jenseits von Gut und Böse"

Do 08.08.24 | 15:37 Uhr | Von Dorit Knieling und Jan Menzel
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Archivbild: Sozialbau-Wohnhäuser, Kreuzberger Zentrum. (Quelle: dpa/Schoening)
Audio: rbb24 Abendschau | 08.08.2024 | Dorit Knieling | Bild: dpa/Schoening

In Friedrichshain-Kreuzberg sind Tausende Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Bis Ende 2025 verliert der Bezirk noch ein Viertel der Sozialwohnungen. Es drohen drastische Mieterhöhungen oder gar Kündigungen. Von D. Knieling und J. Menzel

Die Idylle an der Samariterkirche ist trügerisch. Verena Siebelt-Zehm sitzt mit ihrem Mann und bestem Blick auf den hohen roten Turm vor der Eckkneipe. Seit Jahrzehnten ist der Friedrichshainer Kiez rund um die Kirche Siebelt-Zehms Zuhause. Doch was hier auf dem Mietenmarkt passiere, macht die Berlinerin auch an diesem lauen Sommerabend wütend, wie sie sagt.

"Du hast ja keine Chance hier irgendwo noch eine Wohnung zu bekommen und bist hier aufgewachsen. Das ist schon echt heftig." Wenn dann doch mal Wohnungen angeboten werden, verlangten die Vermieter Preise von 1.700 oder 2.000 Euro im Monat. "Jenseits von Gut und Böse", sagt Siebelt-Zahn das und schüttelt den Kopf.

Ausziehen können sich viele nicht leisten

Auch sie, ihr Mann und die anderen Mietparteien in ihrem Wohnhaus sehen sich seit Jahren mit wachsender Unsicherheit und Forderungen der Vermieterseite konfrontiert. "Bei uns in der Wohnung war das auch so: Die wollten Eigenbedarf anmelden, bieten dir Geld, dass du ausziehst und solche Sachen und versuchen mit allen Tricks, dich aus der Wohnung zu bekommen."

Doch Ausziehen können sich viele Bewohnerinnen und Bewohner schlicht nicht leisten. Günstige Wohnungen sind Mangelware im Szenekiez und nicht nur dort. Wir treffen einen Mieter an der Rigaer Straße. Aus Angst vor Konsequenzen möchte der Mann anonym bleiben. Der Vermieter hat ihn gerade erst im Juli informiert, dass seine Wohnung aus der Sozialbindung gefallen ist.

"Entmietungen" vor Augen

"Was das genau für mich bedeutet, ist mir nicht klar. Mieterhöhungen gab es vorher auch schon, bis zu 15 Prozent Anpassung an den Mietspiegel", berichtet er. Aber eine Ahnung, was auf ihn zukommen könnte, hat der Mann mit Mütze schon. Seit 20 Jahren lebt er im Samariterkiez und hat seitdem den Anstieg der Mieten und die Gentrifizierung vor Augen.

Im Gespräch zeigt er auf ein eingerüstetes Eckhaus, wo so genannte Entmietungen stattgefunden hätten, also die Mieterinnen und Mieter aus den Wohnungen gedrängt worden seien. "Noch vor Kurzem hingen Plakate aus, auf denen stand, dass die Miete sich innerhalb eines kurzen Zeitraums verdoppelt oder verdreifacht hätte und die Leute deswegen ausziehen müssten."

Gefahr: Eigenbedarfskündigungen

Dass sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Problem ballt, hat auch der Berliner Mieterverein in seinen Beratungen registriert. Bis Ende nächsten Jahres wird der Bezirk noch einmal 2.665 Sozialwohnungen verlieren, weil diese aus der Bindung fallen. Die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, Ulrike Hamann-Onnertz, rät Betroffenen, sich unbedingt zu wehren und Mieterhöhungsverlangen überprüfen zu lassen.

"Man darf eben nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen und zwar alle drei Jahre maximal 15 Prozent. Es sei denn, es ist eine landeseigene Wohnung. Diese Mieterinnen und Mieter haben Glück, weil dann sind es elf Prozent in drei Jahren." Die zweite große Gefahr sieht Hamann-Onnertz in Eigenbedarfskündigungen.

Problem mit Ansage

Hier empfiehlt die Geschäftsführerin des Mietervereins Betroffenen, sehr genau zu dokumentieren, wie sie sich um eine neue Wohnung bemüht haben. Das könnte bei etwaigen Gerichtsverhandlungen relevant werden, wenn es um Härtefälle geht. Grundsätzlich aber gilt in Berlin ein erweiterter Kündigungsschutz von zehn Jahren bei Eigentümerwechseln.

Hamann-Onnertz nimmt aber auch den Senat in die Pflicht: Der Wegfall der Sozialbindungen sei schließlich absehbar gewesen, das Problem somit eines mit Ansage. Das sieht auch der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker, so. Er hat die Angaben zum Wegfall der Sozialwohnungen in Friedrichshain-Kreuzberg beim Senat erfragt und sieht sich in der Diagnose bestätigt, dass Berlin immer stärker auf eine "wahrhaftige Wohnraumkrise" zusteuere.

Rettungsprogramm für sozialen Wohnungsbau?

"Wir brauchen jetzt endlich so etwas wie ein Rettungsprogramm für den sozialen Wohnungsbau", verlangt Schenker. Dazu gehöre der Ankauf von Wohnungen, die bald ohne Sozialbindung dastehen. "Wir arbeiten gerade auch an einem Konzept, dass wir private Vermieter dazu verpflichten können, dass sie Wohnungen als Sozialwohnungen vermieten müssen."

Für den Linken-Politiker ist aber auch klar, dass deutlich mehr Sozialwohnungen gebaut werden müssten. Eine Milliarde Euro an Krediten werde gebraucht, um die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften so auszustatten, dass sie 7.500 bezahlbare Wohnungen im Jahr neu bauen könnten, rechnet er vor. Doch ein solcher finanzieller Kraftakt scheint angesichts der Haushaltskrise höchst unwahrscheinlich.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verweist auf rbb-Anfrage darauf, dass für die ehemaligen Sozialmieter im Samariterkiez und andernorts das Mietrecht auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuchs greife. Danach sind Mieterhöhungen von maximal 15 Prozent in drei Jahren möglich und rechtlich zulässig.

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.08.2024, 19:30 Uhr

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Beitrag von Dorit Knieling und Jan Menzel

146 Kommentare

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  1. 146.

    "Für die Heizkosten kann aber keiner etwas....ausser die Bundesregierung welche die Preise stetig teurer macht. "

    Was für ein Unsinn, was hat die Bundesregierung damit zu tun wenn Vonovia falsche Abrechnungen herausschickt?

  2. 144.
    Antwort auf [Max] vom 08.08.2024 um 22:58

    Genau so soll es ja auch sein. Sie sehen ja auch hier in der Diskussion wie versucht wird die Gier vieler Immobilienbrsitzer schön zu reden. Da wohnen für alle aber preiswert und gut sein muss, müssen wir hier als Gesellschaft jetzt handeln. Und die Wohnungen verstaatlichen. Letztlich führt die Gier der Besitzer selber dazu.

  3. 142.

    Das hier ist eine sinnlose Diskussion hier Krampfhaft Schuldige zu suchen und irgend jemanden zu beschuldigen ist euer ganzes Problem? Ihr alle habt euch dieses Problem selbst zuzuschreiben wer seine Gesetze und Rechte nicht kennen will der muss auch am Ende die Rechnung zahlen. Vielleicht sollten hier einige jetzt Mal zu Besinnung kommen, bevor die Sache eskaliert.

  4. 141.
    Antwort auf [Max] vom 08.08.2024 um 22:58

    Zur Frage der Entschädigung empfehle ich die Lektüre von Art 14 Abs. 3 S. 3 und 4 GG:
    „ Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“
    Letztlich entscheiden also die ordentlichen Gerichte über die Höhe der Entschädigung.

  5. 140.

    Wie Sie sehen funktioniert die freie Marktwirtschaft auch nicht. Es bedarf schon eines gewissen Maßes an staatlicher Regulierung, sonst wird die Gier der Immobilienbesitzer zu groß.

  6. 139.

    Alle großen Wohnungsbauunternehmen entschädigungsfrei enteignen! Wohnen zum existenziellen Lebensrecht erklären.
    Die Konkurs gegangenen Unternehmen für n Euro aufkaufen und alle Mitarbeiter weit unter den Chefetagen wieder einstellen. Die rocken das schon, immerhin machen die sowieso schon die ganze Arbeit!
    Begründet wird das dann mit dem Risiko des Marktes!
    Problem gelöst

  7. 138.

    Enteignet wurden vorallen die Ostdeutschen! Treuhand, Währungsunion, Aberkennung von Berufs und Rentenjahren, 35 Jahre nach der Wende noch immer keine gleichen Gehälter! Das fand alles nach der Wende statt.
    Sind Sie Vermieterin? Ansonsten frage ich mich, warum Sie die Argumentation von Wohneigentums-Besitzern vertreten?
    Übrigens, in den ehemaligen Sowjetrepubliken wohnen ca 70% der Bevölkerung in Wohneigentum!
    Irgendwas haben die anders gemacht!

  8. 137.

    Und: Sie bekommen ja eine Entschädigung.

    Enteignung wäre damit grundgesetzkonform. Dauert alles zu lange. Die Leute wollen jetzt Wohnungen und nicht bis die Herren und Damen vom parteienbesetzten Verfassungsgericht mal ne Entscheidung getroffen haben.
    Außerdem was wenn die auch alle Vermieter sind?

  9. 136.

    Herr Schmitt, im Osten sind die Menschen einfach dem Irrsinn stärker ausgesetzt als bei euch im saturierten Westberlin.
    Auch sind sie sensibler Gegenüber dem Wahlbetrug , wenn man von Parteien was versprochen bekommt und die sich hinterher nur um sich kümmern.Hatten wa schonmal und habens weg demonstriert. Die Erfahrung fehlt euch noch.

  10. 135.

    Sie gehören zum Souverän. Welchen Charakter bestimmte Parteien tatsächlich haben müssen sie selbst rausfinden.
    In Berlin gibt es soweit ich weiß einen Volksentscheid. Wollen sie als Mieter was ändern, müssen sie eine Partei wählen, die dessen Durchsetzung fordert. Mehr können sie nicht tun. Abgesehen vom Demonstrieren.

  11. 134.

    Hauptsache, der Hl. Gral Kapitalismus wird nicht angetastet. Schauen wir immer neuem Wahnsinn zu und tun: NICHTS.

  12. 133.

    Eine Idee die Gefahr zu entschärfen ist, wie unter Präsident Nixon,Privatpersonen beim ersten Häuschenbau o. Kauf beim Kredit zu unterstützen.(Kreditvergabe unter leichteren Bedingungen und z.b.2Prozentpunkte unter Basiszins. Ich würde es auch auf den Eigentumwohnungserwerb im Speckgürtel ausweiten.

    Gerade wo die Immobilienpreise momentan sinken.Aber bringt ja dem Normalo nichts wenn die Zinsen steigen. Da freuen sich nur die Konzerne die mit einer Kapitalerhöhung auf einen Schlag zahlen. Bei guten sicheren Ivestitionsmöglichkeiten kriegt man ne Aktienemission schnell bei der Aktionärsversammlung durchgeboxt.


    Desweiteren brauch es sozialen wohnungsbau.eine Erbschafts- und Schenkungssteuer.Und ein Neudenken von Städten.Inkl derer Speckgürtel.Platz ist ja eigentlich genug nach außen.

    Durch eine 15%soziale Wohnungsbauquote wird man Konzerne nur dazu verleiten. Das Firmengeflecht noch komplizierter zu gestalten und einige sogar vom Neubau abhalten.Also das Problem verschärfen

  13. 132.

    Die Linke gehört zu den größten NIMBYs und ist mitverantwortlich für die Wohnungskrise. Selbst wenn es um landeseigene Wohnungen geht, stellen sich Linke-Politiker auf Bezirksebene regelmäßig gegen Wohnbauprojekte, bis hin zu der Behauptung, ein Projekt zum Bau von 150 Wohnungen in Schöneberg habe keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Sie sind Heuchler und man sollte ignorieren, was sie zu diesem Thema sagen.

  14. 131.

    Für die Heizkosten kann aber keiner etwas....ausser die Bundesregierung welche die Preise stetig teurer macht.

  15. 130.

    " "Wir arbeiten gerade auch an einem Konzept, dass wir private Vermieter dazu verpflichten können, dass sie Wohnungen als Sozialwohnungen vermieten müssen."
    Das ist ein tolles Konzept um private Vermieter/Bauherren endgültig zu vergraulen. Werter Herr Schenker, bspw. bei der Gewobag stecken "haufenweise" Wohnungen im Sanierungsstau fest. Es wäre schön, zuerst vor der eigenen Haustüre zu kehren. Die Wohnung meiner verblichenen Mutter steht seit einem Jahr leer, es tut sich nichts. Sogar der Name ist noch am Klingelschild. Trommeln sie mal partei- und bezirksweise übergreifend bei ihren Ressortkollegen, sie mögen in die Gänge kommen. Da könnte etwas Druck aus dem Kessel entweichen.

  16. 129.

    Nun hören Sie doch mal auf mit Ihren 15% in 3 Jahren. Unterschätzen Sie nicht die Kreativität der Immobilienhaie. Eine Möglichkeit habe ich vorher schonmal erwähnt. Sie erinnern sich: lief beim RBB: tausende € Nachzahlungen bei Heizkosten zum Beispiel bei den Immobiliengiganten. Die mussten teilweise zurückrudern. Teilweise. Geben Sie mal bei Google ein: Falsche Nebenkostenabrechnungen bei Vonovia. Andere Möglichkeiten sind aberwitzige Mietsteigerungen nach Modernisierungen.

  17. 128.

    Eine Hufe als Anspruch für jeden Bürger! Bzw. ein Äquivalent. Wieso sollte auch nur 1 qm unseres Landes "Investoren"-Holdings gehören? Back to the roots!

  18. 127.

    Hier wird reichlich gebaut und das treibt den Mietspiegel in die Höhe. Man verdichtet aber passt die Infrastruktur nicht an. Die Mieten sind Mondpreise.

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