#Wiegehtesuns | Corona-Streit zu Weihnachten - "In meiner Familie kursieren gefälschte Impfausweise - das hat mich erschüttert"

Do 23.12.21 | 11:38 Uhr
Geschenke liegen unter einem geschmückten Weihnachtsbaum (Bild: imago images/MiS)
Bild: imago images/MiS

Harmonie - das ist in Josefines Familie zu Weihnachten das Wichtigste. Aber das Thema Corona trennt die Tochter von den anderen. Sie ist die einzige Geimpfte - und hat kürzlich erfahren, dass eins ihrer Geschwister gefälschte Impfausweise besorgt hat. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Josefine* (Name von der Redaktion geändert) ist Ende 20 und studiert in Berlin. Ihre Familie lebt in einem anderen Bundesland. Die zwei engsten Angehörigen wollen sich nicht impfen lassen. Josefine dagegen ist geimpft und macht sich Sorgen, wie das Weihnachtsfest ablaufen wird.

Ich fahre mit sehr widersprüchlichen Gefühlen nach Hause. Einerseits freue ich mich sehr darauf, viele Menschen in meiner Familie jetzt wiederzusehen. Auch unseren Familienhund, der schon sehr alt ist und auf mich wartet. Die Stimmung ist festlich, wir werden einen Baum haben, das Haus ist geschmückt.

Andererseits fühle ich mich dafür verantwortlich, was meinen Angehörigen geschehen kann. Mein Elternteil ist in Rente, hat wenige Kontakte. Ich dagegen habe in Berlin sehr viele Kontakte, auch wenn mein Umfeld die Pandemie sehr ernst nimmt und sich an alle Regeln hält. Aber trotzdem mache ich mir Gedanken, was das anrichten kann für die Personen in meiner Familie, die ungeimpft sind.

Ich habe mir zur Bedingung gemacht, dass wir uns alle testen lassen vor meinem Besuch. Wegen der Omikron-Variante habe ich alle kontrollierbaren Kontakte in der vergangenen Woche gänzlich ausgesetzt. Meine beiden Familienmitglieder sind damit auch einverstanden, dass ich unter diesen Umständen komme.

Die Corona-Impfung empfinden meine engsten Angehörigen eher als Bedrohung als als Schutz. Die Impfskepsis fing, glaube ich, mit der Pockenimpfung an. Da hat sich das aufgebaut. Mein Elternteil und das Geschwister sind sehr darauf bedacht, sich gesund zu ernähren. Gedanklich kommen sie aus der esoterischen Ecke, sie denken sehr ökologisch und haben einen pädagogischen Hintergrund.

Solange die Corona-Impfstoffe nicht mit Blick auf Langzeitfolgen erforscht sind, werden meine Familienangehörigen sich damit nicht impfen lassen. Dass ich geimpft bin, wissen sie. Eins meiner Geschwister war darüber ein bisschen erschrocken. Dass ich die Impfung gut vertragen habe, wurde nicht weiter besprochen.

Sachlich über Dinge zu kommunizieren und zu diskutieren, das sind nicht unbedingt Fähigkeiten meiner Familie. Nachrichten, egal ob im Fernsehen, Radio oder in der Zeitung, sind ihnen zu anstrengend. Zu viel negative Energie. Sie hören lieber auf Buchautoren, die sie kennen - zum Beispiel aus der Esoterik.

Sie sind sehr sensibel, sehen sich selbst auch so. Sie wissen, dass wir beim Thema Corona komplett entgegengesetzte Meinungen haben. Wie ich mich damit fühle, darüber machen sich meine Angehörigen - glaube ich - keine Gedanken. Das wird lieber ignoriert. Es ist die Harmonie, die nicht gestört werden darf. Das ist das Wichtigste in der Familie.

Vor Kurzem habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, den Kontakt abzubrechen: als ich erfahren habe, dass mein Geschwister für sich und das Elternteil gefälschte Impfdokumente besorgt hat. Das hat mich erschüttert. Ich frage mich: Funktioniert das noch für mich? Diese 'Harmonie' zu erleben, ohne tatsächlich das besprechen zu können, was mich beschäftigt?

Ich weiß nicht, was noch passieren muss, dass ich wirklich sagen würde: Das war's für mich! Keine Ahnung.

Ich bin hin- und hergerissen, ob ich das Thema mit den gefälschten Dokumenten an Weihnachten zur Sprache bringe. Allerdings glaube ich, die Argumentation schon zu kennen, die da kommen wird: Meine Angehörigen sehen keine andere Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was sie mit ihrem Körper machen möchten.

Ich weiß aber, dass meine Familie sich freut, wenn ich zu Weihnachten komme. Im Moment plane ich auch weiter, zu ihnen zu fahren. Mein Programm, um die Tage trotz der Differenzen zu genießen, sieht so aus: mir regelmäßig Zeit für mich zu nehmen, in der ich allein bin, Spaziergänge mache, meinen Gedanken folgen kann. Und: Leute kontaktieren kann, mit denen ich ungefiltert reden kann, ohne auf Eierschalen zu laufen.

Gesprächsprotokoll: Sylvia Tiegs

Sendung: Inforadio, 21.12.2021, 16:50 Uhr

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