#Wiegehtesuns? | Freischaffende Musikerin - "Streaming kann ein Live-Konzert nicht ersetzen"
Die Musikszene hatte große Hoffnungen für 2021: Doch Clubs bleiben wohl noch lange geschlossenen, Konzerte sind auf unbestimmte Zeit verlegt. Der Landesmusikrat berät über die Lage der freischaffenden Musiker. Winnie Brückner plant, als würde es besser werden. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Unter ihrem Künstlernamen "Niniwe" tritt Winnie Brückner in verschiedenen Ensembles als freischaffende Jazzsängerin auf. Vor der Pandemie tourte sie quer um die Welt - nun ist sie froh über ihre anderen Standbeine: Sie arbeitet als Komponisten und unterrichtet online als Musikdozentin an der Hochschule Weimar. Hier berichtet sie, wie es ihr ergeht:
Ich war sauer, dass der Eiertanz um einen erneuten Lockdown so lange gedauert hat. Erst war es ein halber Lockdown, dann doch wieder nicht. Nun bin ich froh, dass sie sich für den harten Lockdown entschieden haben. Denn auch ich möchte gerne, dass das irgendwann soweit eingedämmt ist, dass wir auf jeden Fall wieder unseren Beruf ausüben können, Konzerte durchführen können. Ich hoffe, dass uns die Mutationen nicht nochmal einen Strich durch die Rechnung machen.
Ich versuche, wie alle meine Kolleginnen und Kollegen, mich nicht entmutigen zu lassen. Diese Perspektivlosigkeit kann einen manchmal schon runterziehen. Keiner weiß, wie lange es noch dauern wird. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass jede Menge Konzerte, die ausgefallen sind, auf später dieses oder nächstes Jahr verlegt werden. Das heißt, es staut sich eine Riesenwelle an.
Es ist herausfordernd, sich seinen Status als freischaffende Musikerin und den Kontakt zu den Veranstaltern zu erhalten. Man läuft auch ein bisschen Gefahr, den Kontakt zu seinem Beruf, also zu seinem Künstler- und Sängerdasein zu verlieren. Wenn man ewig nicht auftritt und kein Konzert hat, ist es manchmal schwierig, sich noch daran zu erinnern, warum das mal gemacht und sich für diesen Beruf entschieden hat. Ich merke schon, dass ich nicht ganz so im Saft stehe wie normalerweise. Meine Stimme ist auf jeden Fall so ein bisschen eingerostet, die Kondition fehlt.
Ich habe viel Glück in dieser Situation. Glück, dass ich nicht nur ausführende Künstlerin, also nicht nur Sängerin bin, sondern dass ich auch komponiere. Das kann man wunderbar machen, wenn man keine Menschen trifft. Zwei Tage die Woche unterrichte ich - natürlich auch online. Ich habe außerdem das Glück, einen Hund zu haben, der mich zwingt, bei Wind und Wetter mit ihm Spazieren zu gehen. Ich glaube, ohne den Hund würde es mir viel schlechter gehen. Es ist nicht immer leicht, ich habe viel mehr Zeit. Gut durchgetaktete Tage, an denen ich viel im Stress stehe, sind schön. Das fehlt mir auch.
Ich glaube, dass die Künstlerinnen und Künstler sehr unzufrieden mit der Politik sind. Am Anfang wurde in Berlin sehr unkompliziert die Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Das ist sehr positiv aufgenommen worden. Aber im Verlauf der Pandemie merkt man, dass die Politik gar keine Ahnung von unserer Lebensrealität hat. Zum einen daran, wie diese Hilfen gestrickt sind. Dass man da einen Monatsdurchschnitt angeben muss. Denn wenn man Pech hat, hat man da wenig verdient. Zum anderen haben sich viele Spielstätten extrem viele Gedanken über sinnvolle Hygienekonzepte gemacht und zum Teil haben die auch viel Geld investiert, für Entlüftungen und so weiter. Und dann sind diese Spielstätten wieder zuerst geschlossen worden, obwohl es Studien gibt, die belegen, dass dort nicht die Ansteckungen stattfinden.
Ich tue immer innerlich erstmal so, als würden alle Planungen dieses Jahr gehen. Ich gehe erstmal davon aus, dass alles stattfinden wird. Und wenn nicht, dann wird man sich darauf einstellen müssen. Ich versuche, mein Jahr optimistisch zu planen, wir haben schon Konzerttermine für Weihnachten festgelegt. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein gestreamtes Konzert ein Live-Konzert nicht ersetzen kann. Ich finde, da darf man sich auch ein bisschen rar machen. Das Publikum oder die Fans dürfen einen auch ein bisschen vermissen, man muss jetzt nicht die ganze Zeit abliefern. Für mich ist Streaming kein Format.
Ich kenne niemanden, der schon aufgegeben hat. Die meisten haben noch Hoffnung. Allein schon, weil wir uns dafür entschieden haben, Solo-Selbstständige zu sein. Das sind von der Persönlichkeit schon flexible Menschen, die ein gewisses Risiko gewohnt sind und damit kreativ umgehen können.
Für die Zukunft wünsche ich mir in allererster Linie, dass der Impfstoff funktionieren wird und dass er vor allen Dingen gerecht verteilt wird, gerecht nicht nur in Europa, sondern auch im globalen Süden, auf der ganzen Welt. Ich wünsche mir, dass wir aus der Geschichte lernen, denn in der Art, wie wir leben, ist es ein Wunder, dass das nicht schon eher passiert ist. Ich hoffe, dass es eine Art Karthasis geben wird, die dazu führt, dass man gewisse Dinge überdenkt, die vielen Flugreisen oder Massentierhaltung. Aber im Moment sieht es wohl nicht danach aus. Es wird ja die Autoindustrie und Lufthansa subventioniert.
Gesprächsprotokoll: Jenny Barke
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