#Wiegehtesuns? | Musical-Darsteller - "Für Berufsanfänger gibt es jetzt nicht so viele Möglichkeiten"

Der Lockdown hat den Musical-Darsteller Mathias "Matti" Reiser hart getroffen. Längst würde er in der deutschen Erstaufführung des Harry-Potter-Musicals in Hamburg auf der Bühne stehen. Nun nutzt er die freie Zeit, um sich und neue Formate weiterzuentwickeln. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Der 26-jährige Wahlberliner Mathias Reiser, den alle nur Matti nennen, ist eine Frohnatur. Nach seinem Studium an der Universität der Künste (UDK ) ging es erstmal steil bergauf für den frisch ausgebildeten Musical-Darsteller. Jetzt muss er wie die gesamte Unterhaltungsbranche zurückstecken, lässt sich davon aber nichts unterkriegen.
Gerade habe ich meine erste eigene Single herausgebracht. Der Song "I wish" ist über einen Monat hinweg entstanden. Jeden Tag habe ich meiner Freundin als Adventskalender zwei Zeilen geschenkt. Aufgenommen habe ich die zuerst mit dem Handy. Nach und nach wurde der Song dann komplex, vielfältig, lang und wir haben ihn professionell im Studio aufgenommen. Daraus könnte sich sogar ein Langspielplatten-Projekt ergeben. Darauf hätte ich richtig Lust.
Ich bin in Mecklenburg in den Kindergarten, in Basel in der Schweiz zur Schule gegangen und insgesamt ziemlich behütet aufgewachsen im kreativen Spannungsfeld zwischen meiner Mutter, die Kunsttherapeutin ist, und meinem Vater, der die alternativen "Longo Mai"-Selbstversorger-Projekte mit begründet hat. Insofern kann ich relativ gelassen mit der Corona-bedingten Zwangsarbeitspause umgehen.
Ich glaube, das hängt immer davon ab, wie man mit der Situation umgeht, wie viel Glück man auch hat und wie man die Dinge betrachtet. Denn natürlich gibt es für uns jetzt nicht so viele Möglichkeiten als Berufsanfänger. Denn wir haben uns ja noch keinen Namen gemacht. Wir können uns noch nicht auf etwas ausruhen und erwarten, dass jemand auf uns zukommt. Wir müssen uns zeigen, und sagen 'Hallo, guck mal, das sind wir! Wir sind jetzt auch auf dem Markt!' Und wenn uns diese Möglichkeit nicht gegeben wird, dann ist es natürlich sehr schwierig, an Musical-Jobs zu kommen.
Das Musical "Harry Potter und das verwunschene Kind" sollte eigentlich in Hamburg aufgeführt werden. Das wäre im März vor fast einem Jahr gewesen und seitdem bin ich in Kurzarbeit und hoffe, dass es nun bald losgeht. Die Termine wurden andauernd verschoben. Wegen der Kurzarbeit muss ich mir aber keine allzu großen finanziellen Sorgen machen. Ich habe nicht den Druck von Kollegen, die völlig frei und selbständig unterwegs sind.
Ich würde natürlich gerne Musical machen und arbeiten, aber die Unterhaltungsbranche liegt gerade total flach und deswegen habe ich geguckt, was es für Möglichkeiten gibt und habe dann eben einen Youtube-Kanal gestartet. Der heißt "Matti Mind". Da spreche ich über Dinge, die ich gerade gelernt habe, da geht es vor allem um Wachstum und Dankbarkeit und all den Kram, den ich gelesen habe, in der Zeit, in der ich soviel Zeit hatte. Das versuche ich jetzt anderen beizubringen, wie man die Dinge am besten positiv sieht und das Beste aus der Situation macht. Und deswegen beantworte ich die Frage: Bin ich ein Lost-Generation-Kind und habe Probleme damit, mit jein. Natürlich ist es schwierig, aber es kommt auch immer darauf an, was man damit macht. Und ich versuche anderen klarzumachen, dass die Umstände nicht wirklich die Umstände sind, sondern es kommt auf den Umgang damit an. Es gibt immer Möglichkeiten. Wir sind hier in einer so guten Welt, in der westlichen Kultur hier in Deutschland, dass wir uns eigentlich immer gut aufgehoben fühlen können.
Schon während meines Studiums Musical/Show an der UdK Berlin durfte ich den "Romeo" spielen in einer multiperspektivischen Gender-übergreifenden Inszenierung. Mein Professor Peter Lund hat mich an die Neuköllner Oper zu "Welcome to Hell" geholt. Dann war ich im Ensemble der Geschwister-Pfister-Produktion "Roxy und ihr Wunderteam" an der Komischen Oper. Meine Kollegen, die jetzt an der UDK in den Startlöchern stehen, haben es Corona-bedingt ungleich schwerer, denn eigentlich bietet der Studiengang eine sehr praxisorientierte Ausbildung. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, jetzt Schauspiel-, Gesangs- und Tanzunterricht online zu machen. Das sind alles Stunden, wo der Professor am besten vor den Studierenden steht, sie sieht und sofort korrigieren kann. Da geht momentan, glaube ich, viel verloren. Es funktioniert schon, aber es ist natürlich komplett anders als in der Zeit, als ich da studiert habe. Es ist sehr viel schwieriger und aufwändiger, aber möglich! Was dabei herauskommt, wird auf jeden Fall etwas anderes sein. Die Absolventen dieser Jahrgänge werden eine andere Ausbildung haben als wir.
Gesprächsprotokoll: Ute Büsing
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