#Wiegehtesuns? | Der Abiturient - "Im Nachhinein war ich mir ein bisschen zu sicher"

Mo 28.12.20 | 08:24 Uhr
Wie geht es uns? Eine Person spielt Gitarre. (Quelle: imago images/Manuel Sulzer)
Bild: imago images/Manuel Sulzer

Im Frühjahr hat Jonas aus Berlin Abitur gemacht. Zu Weihnachten blickt er auf ein Jahr zurück, in dem die übliche Erleichterung und der freudige Tatendrang nach dem Ende der Schulzeit sich nie so recht einstellen wollten. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Jonas* aus Berlin-Friedenau hat 2020 nach den Osterferien Abitur gemacht - mitten im Corona-Jahr. Kurz zuvor hat er erstmalig mit rbb|24 gesprochen. Wie hat er sich an den Status zwischen den Lebensstationen gewöhnt? So geht es Jonas:

Wenn ich auf das halbe Jahr zurückblicke, seitdem wir das erste Mal gesprochen haben, denke ich: Krass, wie schnell die Zeit vergangen ist. Die Abi-Prüfungen sind dann im Endeffekt doch fast normal abgelaufen. Ein paar Maßnahmen gab es: Wir hatten immer die Fenster auf, manche Lehrer haben während den Klausuren Masken getragen. Wir sind gestaffelt in die Schule gekommen, in verschiedenen Gruppen. Außerdem gab es immer wieder den Appell, dass man Abstand hält. Das hat auch geklappt, soweit ich weiß, hat sich niemand angesteckt. Mit dem Abi-Ergebnis war ich zufrieden, ich denke nicht, dass die Prüfungssituation bei mir persönlich Einfluss darauf gehabt hat. Es hat sich aber wie ein unvollendeter Abschluss angefühlt, die große Erleichterung blieb aus, das war etwas schade.

Die Abiverleihung haben wir dann nur mit den Schülern und dem Kollegium gemacht, die Familien konnten alles zuhause per Videoübertragung verfolgen. Ich habe keinen Vergleich zu normalen Zeiten, aber ich fand es nicht so schlimm – meine Freunde und Lehrer waren ja da. Jetzt im Nachhinein, wenn man da drauf guckt, denkt man sich: Oh Gott, da saßen irgendwie 100 Leute in der Aula. Das ist jetzt unvorstellbar. Aber damals, Anfang des Sommers, ging das irgendwie.

Unsere Abifahrt konnte im kleinen Rahmen noch stattfinden. Wir sind an die Ostsee gefahren mit 15 oder 18 Leuten. Wir haben uns dafür entschieden, dass wir alle vorher eine Woche freiwillig in Quarantäne gehen. Und wir haben versucht, uns vor Ort in so kleinen Gruppen wie möglich zu organisieren, damit wir nicht alle gleichzeitig in den Gemeinschaftsräumen zusammen sind. Die meiste Zeit waren wir eh draußen, man wollte gar nicht drin sein.

Danach gab es den Sommer über weniger Einschränkungen. In unserer Freundesgruppe haben wir trotzdem versucht, uns an die Empfehlungen zu halten. Also zu versuchen, die Kontakte so klein wie möglich zu halten, keine größeren Partys zu feiern, so viel wie möglich draußen zu machen, was auch klar ging weil es ja warm war. Wenn es mal ein paar Personen mehr waren, hat man sich irgendwie direkt schlecht gefühlt.

Ich bin in Berlin geblieben. Insgesamt kam eine gewisse Leichtigkeit zurück. Ich glaube aber im Nachhinein, dass ich persönlich mir ein bisschen zu sicher war. Und ich glaube, dieses Gefühl spiegelt sich dann insgesamt auch in den Zahlen wider. Wenn man sich so an die niedrigen Fallzahlen gewöhnt hat, hat man das große Ganze ein bisschen aus den Augen verloren. Irgendwann im September, als die Zahlen langsam wieder hochgingen und es langsam kälter wurde, hat sich das wieder geändert, mir wurde wieder richtig bewusst, dass Corona ja nicht weg war.

Ich hatte mich nach dem Abi für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Berliner Naturkundemuseum beworben. Das hat leider nicht geklappt, weil sie in diesem Jahr niemanden nehmen. Meine Ansprechpartnerin schrieb mir nur, Corona würde "große Auswirkungen" auf die Arbeit des Museums haben, mehr habe ich nicht erfahren. Parallel hatte ich mich an der FU für ein Studium beworben, Philosophie und Politikwissenschaft, aber die hat mich auch abgelehnt, das hatte ich aber ein bisschen erwartet.

Ich habe mir dann erstmal einen Minijob gesucht, um Geld zu verdienen, bis ich nächstes Jahr etwas Neues anfangen kann. Ich arbeite in einem therapeutischen Betrieb, der Hörgeschädigte betreut. Ich erledige die Kommunikation mit Krankenkassen, ein ziemlicher Papierkram.

Wie es danach weitergeht? Bis zum Sommer hab ich alle Pläne gestoppt. Ich kann mir vorstellen, mich an anderen Unis zu bewerben, Studienerfahrung zu sammeln. Es muss nicht die FU sein, nicht mal unbedingt Berlin. Ich könnte mir auch das Ausland vorstellen.

Meine Familie ist zum Glück gut durch die Zeit gekommen, niemand hat sich infiziert. Meine Mutter war vor ein paar Tagen kurz in Quarantäne, aber alles war gut. In meinem Freundeskreis hat es von einer Person quasi die komplette Familie erwischt. Das war schon ein Moment, in dem ich gemerkt habe: Es kommt näher.

Ich vertreibe mir immer noch die Zeit damit, ein bisschen Musik aufzunehmen, ich spiele mehrere Instrumente. Ich glaube aber, dass Corona mit der vielen Zeit zuhause eher kontraproduktiv war, weil durch das viele Rumsitzen die Inspiration fehlt. Es macht einfach weniger Laune, was zu produzieren. Zu Musik zu spielen macht da mehr Spaß, da muss man nicht so kreativ werden und kann entspannen.

Auf den Winter schaue ich wenig begeistert, so geht es wahrscheinlich den meisten. Es wird früh dunkel, man kann nicht so gut raus, hängt zuhause fest. Aber ich schätze mich glücklich, dass ich nicht alleine bin. Ich wohne bei meiner Familie, ich komme mit allen gut klar. Ich kann mit meinen Freunden jederzeit kommunizieren, wenn ich möchte. Andere haben nicht so viel Glück, müssen sich vielleicht noch dazu Sorgen um ihren Job und das Geld für die Miete machen.

Ich hoffe, dass sich die Lage durch die Impfstoffe bis zum Sommer bessert, auch wenn man das jetzt erstmal abwarten muss. Mehrere Milliarden Dosen gekühlt um die ganze Welt zu fliegen, wird eine große Herausforderung. Ich denke da besonders an ärmere oder dünn besiedelte Länder, wo die Infrastruktur nicht so gut ist, und es nicht in jeder Stadt Möglichkeiten gibt, Impfstoff zu kühlen oder Medikamente zu bezahlen. Ich glaube, wir werden es im Vergleich dazu noch gut haben, wir leben in Berlin. Eine Riesenstadt in einem sehr wohlhabenden Land.

*Name auf Wunsch des Gesprächspartners geändert.

Gesprächsprotokoll: Sebastian Schneider

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