#Wiegehtesuns? | Die Hausärztin - "Ich habe noch nie unter solchen Bedingungen gearbeitet"

Do 02.04.20 | 07:47 Uhr
Symbolbild - Einer Patientin wird in der Sprechstunde der Blutdruck gemessen. (Bild: dpa/Monique Wüstenhagen)
Bild: dpa/Monique Wüstenhagen

Desinfektionsmittel und Schutzanzüge sind knapp, aber der Praxisbetrieb soll und muss trotzdem weitergehen. Karin U. erlebt anstrengende Zeiten. Das Protokoll einer Allgemeinmedizinerin aus Berlin. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Karin U., 56 Jahre, ist Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis in Berlin. Mit ihren Ressourcen muss sie haushalten - in vielerlei Hinsicht. So geht es Karin U.:

Im Moment ist alles sehr aufregend für mich. Ich bin seit 20 Jahren niedergelassene Allgemeinmedizinerin und habe noch nie unter solchen Bedingungen gearbeitet. Es gab vor einigen Jahren die Schweinegrippe und immer wieder Grippewellen, die auch Kräfte zehren. Aber ich habe noch nicht erlebt, dass die Gesundheit so vieler Menschen bedroht ist. Ich fühle mich auch selbst sehr unsicher, weil unsere Praxis mit Schutzausrüstungen nicht ausgestattet ist.

Wenn wir Patienten untersuchen, ist das eine recht nahe Situation. Wir müssen uns schützen. Das Tragen von Schutzkleidung ist dabei während dieser Pandemie sehr wichtig. Vor allem Flächen- und Handdesinfektionsmittel sowie hygienischer Mundschutz werden eben knapp. Ich muss mit den Dingen haushalten, die ich jetzt noch zur Verfügung habe. Deswegen haben wir unsere Sprechzeiten reduziert und bieten Telefonsprechzeiten an. Zudem werden wir Videosprechstunden einrichten.

Nicht notwendige Untersuchungen, sagen wir ab. Zurzeit rufen Patienten an von Praxen, die geschlossen haben. Da sage ich auch schon mal nein, das geht jetzt nicht, ich muss erstmal meine eigenen Patienten versorgen. Insgesamt fällt im Moment viel Bürokratie an: die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeit und Bescheinigungen.

Wir machen regelmäßig Teamsitzungen und besprechen: Wie war der Tag? Was war gut? Was müssen wir anders machen? Über alles zu sprechen, hilft. Ich plane auch nicht mehr so weit voraus. Ich versuche halt, möglichst flexibel zu bleiben und zu gucken: Wie geht es meinen Mitarbeiterinnen und mir selbst.

Für Spenden von Nachbarn und Patienten in Form von Desinfektionsmitteln, sogar 5 Liter Isopropanol, bin ich sehr dankbar. Angebote von selbstgenähtem Mundschutz erreichen meine Mitarbeiterinnen.

Ich würde mir wünschen, dass der Handel oder andere Orte, wo sich viele Menschen aufhalten, Unterstützung für Hygienemaßnahmen erhalten. Das könnten die privaten Krankenversicherungen leisten. Öffentliche Gesundheit ist sehr wichtig. Jetzt ist ein Umbruch, wo man über diese Dinge mal nachdenken könnte. Der Politik scheint das Leben der Menschen am Herzen zu liegen. Wenn man davon ausgeht, dass wirklich um das Leben jedes Einzelnen gekämpft wird, dann sollte auch Öffentliche Gesundheit ein Thema werden. Das Thema Bürgerversicherung sollte diskutiert werden.

Gesprächsprotokoll: Ula Brunner

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