#Wiegehtesuns? | Seniorin - "Ich glaube, danach wird es viele Initiativen geben"
Seit Corona ist Karin Regierer die meiste Zeit in ihrer Wohnung. Jetzt sei es wichtig, den Tag gut zu strukturieren und Neues zu lernen, sagt die ehemalige Lehrerin. Auch für die Zeit nach Corona setzt sie auf fantasievolle Lösungen. Das Gesprächsprotokoll einer 87-Jährigen.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Die ehemalige Religionslehrerin Karin Regierer, 87, lebt in Berlin-Wilmersdorf. Seit Corona verlässt sie ihre Wohnung kaum. So geht es ihr:
Vor Corona war ich sehr aktiv, viel unterwegs. Ich habe mich um die Kirchengemeinde in meiner Nähe gekümmert, habe meine Familie und einen großen Freundeskreis.
Seit Corona haben mir meine Kinder das Versprechen abgenommen, dass ich auf soziale Distanz gehe. Sie kaufen für mich ein, ich soll kein Geschäft betreten und mache das auch nicht. Jetzt bin ich die meiste Zeit allein in meiner Wohnung. Ich mache das, was möglich ist. Ich versuche, den Tag gut zu strukturieren: morgens ein bisschen Fernseh-Gymnastik, außerdem rausgehen und drei Kilometer laufen. Es geht mir gut.
Ich pflege meine Kontakte. Ich habe ich eine große Telefonliste und rufe diejenigen aus der Gemeinde an, von denen ich weiß, dass sie allein leben. Man muss sich überlegen, wie man diese Zeit gut übersteht. Moderne Medien sind dabei wichtig. Meine Kinder haben dafür gesorgt, dass ich mit allem ausgestattet bin. Ich kann mit meinem Sohn in Chile über Smartphone super telefonieren und wir können uns gegenseitig sehen. Das hilft sehr in dieser Isolation. Ab und zu ist es natürlich auch toll, sich Face-to-Face zu begegnen: Mit gebührendem Abstand gehe ich manchmal mit meiner Tochter spazieren. Das wollen wir auch an Ostern so machen.
Dann ist es interessant, sich zu überlegen, was man Neues lernen oder Altes wiederaufnehmen kann. Ich habe meine Gitarre wieder rausgeholt, lese englische Texte – sonst war ich immer in einer Englischgruppe. Ich will meinen Kopf in Gang halten.
Alte Leute sind eigentlich daran gewöhnt, allein zu leben. Das ist nicht so problematisch. Wenn sie gesund sind, geht ihr Leben genauso weiter wie vorher. Ich habe nicht gehört, dass jemand Depressionen gekriegt hat. Alle erzählen mir, dass sie sehr gute Hilfsangebote erhalten aus den Häusern, wo sie wohnen. Ich beobachte, dass viele noch einkaufen gehen. Das ist der menschliche Kontakt, den man noch hat. Ich soll das nicht tun, und es fehlt mir sehr. Ich kann verstehen, dass viele Alte die Hilfsangebote nett finden, aber sagen: Danke, ich geh noch selbst.
Wie es nach Corona aussieht? Wissen Sie, ich habe ein Kriegsende erlebt, eine völlig zerstörte Wirtschaft. Es war nichts mehr da. Aus dieser Situation ist schnell viel entstanden – natürlich mit politischer Unterstützung, aber auch mit Nachbarschaftshilfe und fantasievollen Lösungen. Diese Erfahrung hilft mir.
Auch wenn die Wirtschaft nach Corona am Boden liegt, sehe ich es nicht so negativ. Ich glaube, es wird viele Initiativen geben. Wir können staatlich auf ein gutes finanzielles Polster zurückgreifen. Wir werden Neues gestalten. Und die positiven Erfahrungen, die wir aus dieser Krise gewonnen haben, kommen hoffentlich zum Tragen.
Gesprächsprotokoll: Ula Brunner
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