#Wiegehtesuns? | Die Lehrerin - "Diese Wertschätzung der Schüler ist wahnsinnig schön"

Sa 21.11.20 | 12:28 Uhr | Von Gunnar Krüger
#Wiegehtesuns? Lehrerin Anne Krautter an der Tafel (Quelle: Steffen Lasch)
Bild: Steffen Lasch

Anne Krautter ist mit Herz und Seele Lehrerin. Zu Corona-Zeiten verlangt ihr der Job einiges ab. Aber ihre Erfahrungen in dieser Zeit empfindet sie durchaus als positiv. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Anne Krautter, 42, unterrichtet am Hannah-Arendt-Gymnasium in Berlin-Neukölln die Fächer Deutsch und Spanisch - zurzeit in den Klassenstufen 7, 9, 10 und 11. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in Neukölln. So geht es Anne:

Zurzeit können die meisten Kinder in der Schule sein, und darüber sind sie sehr froh. Auch ich freue mich über jeden Tag, an dem ich nach Stundenplan normal unterrichten kann. Normal bedeutet eine fast volle Klasse. Im Moment fehlen immer drei bis fünf Schüler oder Schülerinnen pro Klasse. Wir haben Corona-Fälle oder Kinder, deren Eltern positiv getestet wurden, und die deswegen in Quarantäne sind.

Aber wir haben bereits seit den Herbstferien Maskenpflicht in der kompletten Schule. Das hat uns Lehrkräfte sehr beruhigt. Die Schüler verhalten sich vorbildlich. Ich habe ihnen erklärt, dass wir uns alle maximal schützen müssen, damit die Schule offenbleiben kann und keine Hotspots entstehen. Das sehen alle ein. Sie wollen nicht, dass die Schule geschlossen wird, weil sie das Homeschooling vor den Sommerferien nicht als angenehm erlebt haben. In dem Punkt stehen auch die Eltern voll hinter uns. Da gibt es keine Beschwerden.

Bislang habe ich mich nicht angesteckt, und ich schütze mich auch sehr. Obwohl es mir manchmal schwerfällt, versuche ich viel Abstand zu halten. Vor ein paar Tagen habe ich mir FFP2-Masken gekauft, weil im Moment so viele erkrankt oder in Quarantäne sind.

Es ist ein Spagat. Einerseits wollen wir alle, dass die Schule unbedingt offenbleibt und verlässlichen Präsenzunterricht anbietet. Aber wenn ich Einzelne nach Hause schicken muss, und die Fälle sich häufen, dann frage ich mich schon: Kriege ich das jetzt oder nicht?

Im Moment ist die größte Herausforderung, zwischen Online- und Präsenzunterricht zu springen, wenn Kinder in Quarantäne sind. Engagement und Krisenmanagement laufen bei uns gut. Wir haben uns früh in AGs und kleinen Teams überlegt, wie wir das digitale Lernen so interessant wie möglich machen können.

Wir stellen den Kindern, die in Quarantäne sind, Aufgaben in eine Cloud. Aber ich bin natürlich schon 26 Stunden körperlich präsent in der Schule. Ich kann nicht zusätzlich für die quarantänisierten Schüler ein extra Homeschooling machen, wo ich sie so gut betreue, wie es ihnen mit ihrem Recht auf Bildung eigentlich zusteht. Denn es ist nicht damit getan, dass wir die Aufgaben einfach nur reinstellen. Wir müssen den Kindern auch Feedback geben.

Wenn man das richtig gut machen will, kann das mehrere Stunden pro Woche in Anspruch nehmen. Ich habe kürzlich mit zwei Jungs gesprochen, die zwei Wochen in Quarantäne waren, und sie haben gesagt: Ja, wir haben Aufgaben bekommen. Aber wir haben uns auch mit Mitschülern in Verbindung gesetzt, die uns Material geschickt haben. Wir Lehrkräfte sind darauf angewiesen, dass die Kinder sich auch selbstständig darum kümmern.

Die digitale Ausstattung ist ein Knackpunkt. Sie entspricht einem Standard von vor 20 Jahren, das ist das größte Problem. Wir können zum Beispiel das Internet an unserer Schule für den Online-Unterricht nicht nutzen, weil es zu langsam ist. Die Computer stürzen ab. Ich muss mit meinem privaten Equipment arbeiten.

Eine positive Erkenntnis aus der Zeit? Dass die Schülerinnen und Schüler uns rückmelden, wie wichtig ihnen die Schule und auch die Lehrkräfte sind. Dass sie ein großes Interesse daran haben, dass ihre Schule offen ist, dass sie jeden Tag in die Schule gehen und dort mit uns gemeinsam lernen können, weil sie uns brauchen, um zu erkennen, was wichtig und was weniger wichtig ist an einem Lernprozess. Diese Wertschätzung der Schüler ist wahnsinnig schön.

Vor den Ferien durfte ich zwei Klassenarbeiten in Spanisch und Deutsch in einem Pilotprojekt online schreiben lassen, weil meine Klasse plötzlich in Quarantäne musste. Aber sie hatten so gut gelernt und wochenlang gearbeitet, die mussten jetzt die Chance haben, ihr Wissen zu zeigen. Das hat super funktioniert.

Das ist eine tolle Erfahrung, einfach Vertrauen in Schülerinnen und Schüler zu haben, dass sie das dann schon machen, und zwar auch so, wie man das von ihnen erwartet und manchmal auch über sich hinauswachsen. Ich glaube, das sind besonders schöne Momente in den letzten Monaten gewesen. Dass wir einerseits Lösungen finden für alles und sowohl die Lehrkräfte wie auch die Schülerinnen und Schüler manchmal über sich hinauswachsen.

Gesprächsprotokoll: Ula Brunner

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Beitrag von Gunnar Krüger

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