#Wiegehtesuns? | Der Flugbegleiter - "Man fragt sich natürlich, ob die Firma das überleben kann"

Den größten Teil des Jahres verbringt Flugbegleiter Steffen Drangusch normalerweise in der Luft. Durch Corona ändert sich das schlagartig: Einen einzigen Flug hatte er in fünf Monaten. Zwar hat er schon einen Plan B, schlaflose Nächte gibt's trotzdem - ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Steffen Drangusch ist 56 Jahre alt, mit Herz und Seele Flugbegleiter – genauer gesagt: Kabinenchef. Zurzeit ist er in Kurzarbeit und wartet auf neue Einsätze. Einen einzigen Flug hat er seit August. So geht es Steffen:
2 Uhr morgens, der Wecker klingelt, die Koffer stehen bereit und los geht’s. In der Regel beginnt so für Flugbegleiter Steffen ein ganz normaler Arbeitstag – bis Corona im März den Flugbetrieb weltweit einfriert. 100 Prozent Kurzarbeit ist angesagt und warten, auf neue Einsätze. Einen einzigen Flug hat er seitdem. Doch der bleibt erstmal eine Ausnahme. – Ein Gesprächsprotokoll.
2 Uhr morgens, der Wecker klingelt, die Koffer stehen bereit und los geht’s. In der Regel beginnt so für Flugbegleiter Steffen ein ganz normaler Arbeitstag – bis Corona im März den Flugbetrieb weltweit einfriert. 100 Prozent Kurzarbeit ist angesagt und warten, auf neue Einsätze. Einen einzigen Flug hat er seitdem. Doch der bleibt erstmal eine Ausnahme. – Ein Gesprächsprotokoll.
Am 29. August hatte ich meinen ersten Einsatz seit fünf Monaten, ein Berlin-Kanaren-Flug, hin und zurück. Der war auch wichtig, sonst hätte ich meine Lizenz verloren. Das passiert, wenn man nicht alle sechs Monate jedes Flugzeugmuster wenigstens einmal geflogen ist. In dem Fall hätte ich mehrere Tage in die Nachschulung gemusst, das wäre sehr aufwendig gewesen.
Die Abläufe sind im Großen und Ganzen wie vor Corona. Trotzdem hat sich vieles verändert. Das Boarden dauert deutlich länger, da die Passagiere nur in kleinen Gruppen einsteigen dürfen. Beim Einstieg und an Bord sind wir außerdem immer dazu angehalten, uns die Leute anzuschauen, um einzuschätzen, wie es ihnen geht. Wegen der Masken muss man sich erstmal daran gewöhnen, dass nur noch die Augen Informationen liefern können.
Andererseits wurde der Service massiv heruntergefahren. Zum Schutz der Besatzung und der Passagiere sollen wir möglichst wenig mit den Gästen interagieren. Das ist normalerweise ein wichtiger Teil unseres Jobs ist, den wir sehr gerne machen. Beim Getränke- und Essensservice werden nur noch abgepackte Sachen verteilt. Früher wurde ein Wein oder ein Sekt auch mal eingeschenkt, das passiert jetzt nicht mehr. Der Gast bekommt einfach die Flasche und den Becher in die Hand, das war’s.
Unter uns Crew-Mitgliedern müssen wir darauf achten, die Sicherheitsabstände einzuhalten. Bei unserem beengten Arbeitsplatz ist das sehr schwierig. Maskenpflicht gibt es natürlich auch für uns – ab Betreten des Terminals bis zum Verlassen des Zielflughafens. Da trägt man die Maske mal schnell bis zu zwölf Stunden am Stück. Aus Hygienegründen müssen wir die auch alle drei bis vier Stunden wechseln. Was als kleiner Vorteil für uns dazugekommen ist: Als Crew dürfen wir uns eine eigene Toilette an Bord reservieren. Das gab es sonst nicht. (lacht).
Generell ist es im Flugzeug ruhiger geworden. Normalerweise ist viel Bewegung in einer Passagierkabine. Leute unterhalten sich, gehen auf die Toilette oder vertreten sich auf den Gängen die Beine. Manchmal rennen Kinder durch die Sitzreihen. Bei meinem Flug neulich habe ich es so empfunden, dass alle ganz brav auf ihren Sitzplätzen saßen und tatsächlich nur aufgestanden sind, wenn es denn unbedingt sein musste.
Als wir auf den Kanaren gelandet sind, sind einige von uns aus dem Flieger gestiegen und haben draußen ein Selfie gemacht: vor dem Flugzeug, mit Maske im Gesicht und einem Lächeln darunter. Ich fliege schon seit über 30 Jahren. Aber das war nochmal ein besonderer Moment. Bei den Fluggästen habe ich sehr viel Dankbarkeit wahrgenommen - dafür, dass es aktuell überhaupt noch Möglichkeiten gibt zu verreisen.
Trotz dieses Fluges im August bleiben die Aussichten eher trübe. Auch im September bin ich 100 Prozent auf Kurzarbeit. Deshalb habe ich mich für eine Kurzzeitstationierung in Hamburg beworben, weil dort kurzfristig Leute gesucht wurden. Den Platz habe ich auch bekommen. Das heißt aber leider noch nicht, dass ich tatsächlich auch eingesetzt werde. Das Robert-Koch-Institut hat jetzt etwa auch die Kanaren als Risikogebiet eingestuft. Brechen noch weitere Flugziele gleichzeitig weg, nützt mir die Stationierung in Hamburg auch nichts.
Als "Flieger" geht man schon davon aus, einen relativ krisensicheren Job zu haben. Es wird immer Leute geben, die fliegen wollen. Aber es verunsichert mich schon, zu sehen, wie schnell sich doch eine ganze Lebenssituation verändern kann. Andererseits bin ich meiner Firma dankbar für die flexible Kurzarbeiterreglung – dadurch rutsche ich nicht komplett in die Arbeitslosigkeit. Finanziell hat es meine Familie glücklicherweise nicht so hart getroffen. Da wir zwei Verdiener sind, kann man das eine Weile auffangen. Aber natürlich fragt man sich, ob die Firma das überleben kann. Wird man in ein paar Monaten noch einen Job haben? Deshalb gab es schon die ein oder andere schlaflose Nacht.
Den Gedanken an eine zweite Welle möchte ich gar nicht zulassen. Natürlich macht man sich trotzdem Gedanken darüber, wie es notfalls weitergehen kann. Den Supermasterplan B habe ich noch nicht, aber immerhin zwei, drei Ideen. Ein Kumpel arbeitet zum Beispiel für einen Limousinen-Service als Fahrer. Und die suchen eventuell noch jemanden. Das wäre eine Option. Aber nur übergangsweise, um zu arbeiten und ein bisschen Geld zu verdienen. Eine andere Freundin, sie ist Hotel-Chefin, hat mir angeboten, mich als Dozent an einer Uni zu bewerben. Das könnte ich mir vorstellen, wenn sich abzeichnet, dass ich auf Dauer keine weiteren Einsätze mehr bekomme.
Ich habe eine Weile gebraucht, um die Tatsache zu akzeptieren, dass ich nicht mehr ständig unterwegs bin. Gleichzeitig sehe ich aber auch das Positive daran. Ich kann jetzt gerade viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringen – und Zeit ist die wichtigste "Währung" in unserem Zusammenleben, von der wir normalerweise nur wenig gemeinsam haben. Zuhause habe ich jetzt auch die gesamte Hausarbeit übernommen, um meiner Frau den Rücken freizuhalten. All die Jahre hat sie das für mich getan. Wenn ich zu einem Einsatz musste, wusste ich immer, dass sie zuhause alles im Griff hat. Jetzt kann ich endlich ein ganzes Stück zurückgeben.
Gesprächsprotokoll: Jessy-Lee Noll
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