#Wiegehtesuns? | Die Wohnungslose - "Ich habe jetzt ein Bett und eine Dusche – was für ein Segen!"
"Bitte bleiben Sie zu Hause" heißt es auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Doch Andrea hat kein Zuhause, sie ist wohnungslos. Als Frau auf der Straße zu leben, beschreibt sie als besonders hart. Doch die Pandemie hat für sie auch etwas Gutes. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Andrea [Name von der Red. geändert] ist wohnungslos. Ein Gutes hat die Corona-Krise für sie: Die Stadtmission hat für Menschen wie sie ein Wohnheim eingerichtet, in dem sie auch drei Mahlzeiten am Tag bekommt. So geht es Andrea:
Mitte Mai hat die Berliner Stadtmission ein Wohnheim für wohnungslose Menschen eingerichtet. Wir sollen vor den Gefahren der Pandemie geschützt werden. Für mich ist das Wohnheim ein Segen. Ich kann in dem winzigen Bad, das zu unserem Zimmer gehört, duschen und bekomme drei Mahlzeiten am Tag. Dadurch kann ich sogar etwas Geld sparen. Neben dem Speisesaal steht ein Regal, wo ich mir Bücher aussuchen kann. Gerade habe ich mir ein englisches Buch genommen.
Wohnungslos – da denken viele Leute an verlotterte Männer, die nach Schnaps riechen. Dass ich seit drei Jahren keinen festen Wohnsitz mehr habe, sieht man mir wohl nicht an. Ich lege großen Wert auf Körperpflege. Vor der Pandemie habe ich oft in der Notübernachtung der Stadtmission geschlafen, wo man sich auch waschen kann. Alkohol trinke ich kaum. Meine Mutter war trockene Alkoholikerin und hat mich von klein auf immer wieder vor Hochprozentigem gewarnt. Einmal erlitt sie für anderthalb Jahre einen Rückfall, der mir drastisch im Gedächtnis geblieben ist. Inzwischen sind meine beiden Eltern tot.
Ich habe einen Fachschulabschluss. Auch das würden viele Leute von einer Wohnungslosen kaum erwarten. Aber ich habe schon etliche Menschen mit anspruchsvollen Berufen getroffen, die in Berlin durchstarten wollten, es aber nicht geschafft haben. Mir ist es bislang auch nicht gelungen, in meinem Beruf so Fuß zu fassen, dass ich davon leben kann.
Das will ich mir jetzt erkämpfen. Auf der Straße zu leben ist ein Abenteuer, aber vor allem entsetzlich anstrengend. Du bist immer in der Öffentlichkeit, hast niemals einen Raum für dich. Wohnungslose Frauen gelten einigen Männern als leichte Beute. Ich bin schon oft sexuell belästigt worden. Ich habe auch Angebote bekommen, nach dem Motto: Du kannst bei mir wohnen, wenn du putzt. Es war klar, dass die betreffenden Männer mit mir schlafen wollten, so als Gegenleistung. Aber ich bin keine Prostituierte!
Es mag komisch klingen, aber seit ich keinen festen Wohnsitz mehr habe, hatte ich auch viele gute Erlebnisse. Berlin ist eine Stadt, wo du mit verschiedenen Leuten leicht ins Gespräch kommst. Es macht Spaß, zum Beispiel mit Touristen aus Irland oder den USA zu plaudern. Manche Leute fragen ganz nett: Wie geht es dir? Brauchst du etwas?
Vor der Pandemie habe ich mich oft in eine Bibliothek oder ein Café gesetzt, um Zeitung zu lesen. Als es losging mit Corona, war dann alles plötzlich zu, und die Straßen waren wie leergefegt. Surreal! Ich las andauernd Aufforderungen: "Bleiben Sie zu Hause, so retten Sie Leben." Liebend gern wäre ich nach Hause gegangen, zumal es im März noch recht kühl war.
Ich bin evangelisch getauft. Gott spielt tatsächlich eine Rolle in meinem Leben. Schon vor drei Jahren habe ich mich gefragt, warum mir dieses Los zuteil wird – als Frau auf der Straße zu leben. Im Gebet habe ich so eine Art Antwort bekommen: Du bist nicht schuld an dieser Situation. Es wird sich alles klären, nur braucht es dafür etwas Zeit.
Schon jetzt merke ich Verbesserungen. Ich schlafe nicht mehr draußen. Ich habe Termine mit Sozialarbeitern, die mich in einem Wohnprojekt unterbringen wollen. Auch um einen Job will ich mich kümmern. Vielleicht werde ich das, was ich jetzt als Wohnungslose erlebe, in ein paar Jahren künstlerisch aufarbeiten. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Lebensabschnitt vorübergeht. Und dass ich hier etwas Wichtiges lerne. Ich schaffe das – mit Gottes Hilfe!
Gesprächsprotokoll: Josefine Janert
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