#Wiegehtesuns? | Alleinerziehende Mutter - "Mir würde es helfen, wenn der Leistungsdruck in den Schulen abnehmen würde"

Als alleinerziehende Mutter ist Marie Hoffmann es gewöhnt, ihr Familiensystem zu wuppen. Doch das Home-Schooling mit ihrem zehnjährigen Sohn neben ihrem Vollzeitjob zu schaffen, ist auch für sie eine Herausforderung - denn es herrscht trotz Pandemie Leistungsdruck. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Marie Hoffmann ist Vollzeit arbeitende, alleinerziehende Mutter eines Fünftklässlers, der seit diesem Schuljahr ein grundständiges Gymnasium in Berlin besucht. Das Jonglieren mit Terminen ist sie gewöhnt. Auch dass sie abends nicht ausgehen kann, gehört für sie zur Normalität. Doch das Home-Schooling ihres Kindes bringt sie an ihre Grenzen. Vor allem, weil die Schulen ihre Ansprüche nicht herunterschrauben - trotz Pandemie und Ausnahmesituation. So geht es Marie:
Ich arbeite in der Wissenschaftsförderung einer privaten Stiftung in Berlin. Mein Sohn ist zehn Jahre alt und ich bin seit fast neun Jahren alleinerziehend. Im Moment wechseln wir beide zwischen Home-Office, Home-Schooling, der Notbetreuung und gelegentlicher Anwesenheit im Büro hin und her.
Was seit März zu schaffen ist, ist sowohl für mich als auch meinen Sohn eine große Herausforderung. Doch es geht uns, gemessen an den Umständen, gar nicht so schlecht. Auch wenn ich alleinerziehend bin, bin ich in der privilegierten Situation, dass mein Job nie betroffen war von der Pandemie. Meine Herausforderung ist, einen Vollzeitjob zu machen und gleichzeitig ein Schulkind zu betreuen und zu beschulen.
Im Normalzustand habe ich mir ein System aufgebaut, das funktioniert und mit relativ heißer Nadel gestrickt ist. Dieses System steht jetzt massiv unter Spannung.
Dabei treffen die Kontaktbeschränkungen mich persönlich gar nicht so sehr. Als Alleinerziehende habe ich ohnehin ein relativ eingeschränktes abendliches Sozialverhalten. Abendliche Termine, auch berufliche, habe ich nur dann wahrgenommen, wenn es unbedingt sein musste. Das ist also ganz ähnlich wie jetzt. Ich habe auch glücklicherweise kein verzweifeltes Kind zu Hause sitzen.
Die mit Abstand größte Herausforderung für mich ist das Home-Schooling. Ich kann mich weder zwei, noch dreiteilen. Irgendwas fällt immer runter. Wenn ich mich zwölf Stunden mit meinem Sohn hinsetzen könnte, würden wir natürlich ein fantastisches Home-Schooling hinbekommen. Da ich berufstätig bin, ist das aber nicht möglich. Die Selbstverständlichkeit, mit der das komplette schulische Pensum im Moment auf die Eltern abgewälzt wird, finde ich schockierend. Da geht es mir vor allem um das anhaltende Leistungspensum und den anhaltenden Leistungsdruck, den zumindest mein Kind, das die fünfte Klasse eines Gymnasiums besucht, erlebt. Ich würde mir von schulischer Seite mehr Empathie wünschen. Es wird bewertet - Wissen, das ich meinem Sohn vermittelt habe -, und es wird mit schlechten Noten gedroht.
Die jetzige Situation darf doch nicht dazu führen, dass wir hinterher alle erstmal Urlaub brauchen, weil uns das alles zu viel Kraft gekostet hat, um den normalen Alltag wieder aufzunehmen. Das Ziel müsste doch sein, sich die Kräfte für diesen Corona-Marathon gut einzuteilen. Es kann nicht sein, dass Kinder und Eltern dauerhaft völlig erschöpft sind.
Mein Kind ist nach den Sommerferien von der Grundschule auf das Gymnasium gewechselt. Daher habe ich erst im zweiten Lockdown Erfahrungen mit digitalem Lernen und einer School-Cloud gemacht. In der Grundschule war nichts digitalisiert – was aber auch nicht schlimm war. Was nämlich im November geschah, war, dass die Arbeitsblätter in der Cloud kamen. Viele reden ja von Entschleunigung. Wir wurden hingegen extrem beschleunigt. Von der Schule wurde eine Reaktionsschnelle vorausgesetzt, als würde man alle halbe Stunde die Cloud checken. Da fand ich es beinahe besser, die Arbeitsblätter im Briefkasten zu haben. Da konnten wir uns die Zeit wenigstens selbst einteilen.
Ich wundere mich, dass es manchen Lehrern an Minimalkompetenzen zu mangeln scheint. Wenn ich in meinem Job die Arbeitsanweisungen in kleiner Schriftgröße auf der zweiten PDF-Seite verstecken würde und mich dann beschwere, dass keiner sie gesehen hat, gäbe es auf Arbeit Klärungsbedarf. Das hat ja nichts mit der Digitalisierung zu tun. Das sind Kernkompetenzen, die ich einem Lehrer eigentlich zuschreiben wollen würde.
Dass die Digitalisierung in der Bildung komplett verschlafen worden ist, darüber brauchen wir ja gar nicht zu reden. Das ist ein Desaster und man steht da vor schweren systemischen Herausforderungen. Es reicht natürlich nicht, die Kinder jetzt mit Laptops zu bewerfen. Man muss sie auch befähigen.
Mir würde es helfen, wenn der Leistungsdruck in den Schulen abnehmen würde. Es ist erstaunlich, wie sich die Eltern von den Schulen vor sich hertreiben lassen. Es geht doch nicht, dass ein Lehrer Sonntagmittag eine Mail in die Cloud setzt und erwartet, dass die Kinder die Montagsmorgen um acht Uhr gelesen haben. Und dann schlechte Noten angedroht bekommen, wenn sie es nicht getan haben. Sowas muss aufhören.
Rein organisatorisch kann ich mich persönlich wirklich nicht beklagen, weil ich als Alleinerziehende sogar die Notbetreuung in Anspruch nehmen kann. Bei den restlichen Tätigkeiten helfen mir die Kompetenzen, die ich in den vergangenen Jahren entwickelt habe.
Was mich aber wirklich konsterniert ist, wie absolut selbstverständlich von der Politik – genau wie im April - davon ausgegangen wird, dass die Eltern das schon alles wuppen.
Gesprächsprotokoll: Sabine Priess
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