Tagebuch (4): Ukraine im Krieg - "Ich wache morgens auf und denke, ich bin zu Hause, aber ich habe kein Zuhause mehr"
![Alexander Sasnovski vor dem Krieg zu Hause in Mariupol. (Quelle: privat) Alexander Sasnovski vor dem Krieg zu Hause in Mariupol. (Quelle: privat)](/content/dam/rbb/rbb/rbb24/2022/2022_03/sonstige/90974093_3106811222671026_7094338902638460928_n-21.jpg.jpg/size=708x398.jpg)
Alexander und seine Frau wollten Mariupol nicht verlassen. Doch Putins Krieg zwang sie zur Flucht: Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.
Samstag, 12. März 2022, Berlin
2016 wollte ich nach Mariupol reisen, denn die Stadt ist die nächstgrößte Stadt in der Nähe des Konfliktherdes in der Donezker Republik, heute darf man offiziell auch dazu Krieg sagen. Ich wollte an der Grenze recherchieren. Mehrere Freunde verwiesen mich auf Diana Berg und ihren Mann Alexander Sasnovski, sie waren in Mariupol im Alleingang für den Aufbau einer Zivilgesellschaft verantwortlich, sie machten alles, Jugendarbeit, Theater-Performances, stellten zeitgenössische Kunst aus. Ich rufe Alexander an, Diana kann nicht sprechen, sie findet die Kraft nicht.
Samstag, 12. März 2022, Lviv
Alexander: Seitdem wir vor drei Tagen aus der Belagerung geflohen sind, versuchen wir so viel wie möglich über die Situation vor Ort zu reden. Weil als wir gefahren sind, war die Situation schlecht, aber jetzt ist sie katastrophal und ich weiß nicht, wie weit es noch überhaupt schlimmer geht.
Er ist in der Nähe von Lviv, ich bitte ihn, sich nochmal vorzustellen.
Alexander: Ich heiße Sasnovski Alexander, ich bin 39 Jahre alt, 82er Jahrgang und lebe mein ganzes Leben in Mariupol. Ich lebe hier mit meiner Frau und vier Katzen. Oder ich lebte hier….
Wir haben uns beraten und uns entschieden hier in Mariupol zu bleiben, so lange wie möglich. Weil wir eine aktive pro-ukrainische Position haben. Meine Frau ist aus Donezk und wir waren hier im Jahr 2014, meine Frau ist 2015 hier hingezogen, also kannten wir den Artilleriebeschuss. Wir dachten, wir wären erfahrene Menschen und deswegen wollten wir wegen einem Beschuss nicht weg. Weil, wenn alle gehen, wer wird, dann hier bleiben und was machen?
Der Beschuss wurde immer lauter und kam näher und näher. Plötzlich gab es kein Licht mehr in der Stadt und damit auch keine Heizung mehr. Die Heizköper wurden kalt. Mit dem Licht ist auch der Mobilempfang zusammengebrochen. Das heißt, es gab kein Licht, man konnte nicht heizen und es gab auch keine Handy-Verbindung. Wasser gab es noch. Und wir dachten - okay, das schaffen wir.
Dann verschwand auch das Wasser. Es kam heraus, dass die russischen Truppen gezielt die Infrastruktur der Stadt zerstörten. Wir sind in das Freiwilligenzentrum gegangen. Sie hatten einen Generator. Also konnten wir dort etwas helfen. Das Letzte, was wir dort gemacht haben war, dass wir nachts Brot gebacken haben für die Menschen und die Armee. Weil es keinen Strom gab, wurde die Stadt zum Wald.
Er fragt mich, ob ich schon nachts in einem Wald war?
Alexander: In der Stadt zu bleiben, wurde immer gefährlicher und wir haben uns entschieden, sie zu verlassen. Das war auch gefährlich, wie meine Mama sagte. Von zwei Selbstmorden - dem Langsamen und den Schnellen, haben wir uns für letztere Variante entschieden.
Wir haben die Stadt unter Explosionen verlassen. Vor der Stadt lagen ausgebrannte Autos am Seitenstreifen. Nach fünf Kilometern war der russische Kontrollpunkt und sie sagten, passt auf, weiter vorne könnt ihr erschossen werden. Sie haben uns vorgewarnt. Wir waren total verängstigt, haben uns aber entschieden weiterzufahren. Und nach weiteren fünf Kilometern habe ich die russische Kolonne gesehen - mit Schützenpanzern, Kamaz-Fahrzeugen. Infanterie saß auf den Wagen und die Kolonne war lang. 20 Einheiten habe ich gesehen.
Was sollten wir tun? Die Kolonne war auch neben der Straße. Sie fuhren aufs Feld und dann auf die Straße zurück. Die haben ein bestimmtes Fortbewegungssystem. Sie fahren Schlangenlinien.
Was tun? Wir hielten an. Ich sehe, wie ein Panzer sich umdreht und auf uns zielt. Ich dachte, das war es. Er schießt auf uns und fährt dann weiter. Hat er aber nicht. Wir standen dort und dann habe ich eine Lücke zwischen zwei Schützenpanzern gesehen und bin mit dem Auto in dieses Loch rein, durch die Kolonne und wir sind durchgekommen.
Ich frage Alexander, wie es ihm geht?
Mein Haus ist komplett zerstört, komplett zerstört ist mein Leben, ich habe seit Tagen keinen Kontakt zu meinen Verwandten und mir nah stehenden Menschen und ich weiß nicht, ob sie am Leben sind. Und ich habe dort meine Katzen gelassen, weil ich dachte, wir sind kurz weg und kommen gleich zurück.
Einerseits tuen mir meine Verwandten leid. Ich möchte, dass sie überleben. Andererseits weiß ich, dass wenn die Stadt fällt, dann haben sie einen Landzugang von Rostov bis zu der Krim, dann werden sie vom Süden den Norden der Ukraine angreifen. Wenn wir Mariupol verlieren, dann geben wir ihnen die Möglichkeit, weiter anzugreifen und was will man? Dass die Verwandten überleben, oder dass sie weiter angreifen. Scheisse! Das ist ein Dilemma…
Du willst, dass deine Verwandten überleben und so schnell wie möglich, aufhören zu leiden. Aber man versteht, dass wenn sie aufhören, dann kann es für alle anderen noch schlimmer werden.
Ich wache morgens auf, mache meine Augen auf und denke ich bin Zuhause, und dann verstehe ich, dass ich ja kein Zuhause mehr habe.
Auch mein Vater hat endlich seine Datsche, wo er sich schon Monate auf den Krieg vorbereitet hat, verlassen. Er hatte alles da und es fiel ihm schwer zu gehen. Da das Dorf aber in der Nähe von Kiew ist und seine ehemalige holländische Firma ihm netterweise ein Hotel in den Karpaten bezahlt hat, entschied er sich zu fahren. Vorher hat er noch Medikamente für meinen Bruder gekauft, er ist erst 22, hat aber nach der Impfung eine Autoimmunreaktion und die Zellen weisen einen viel zu hohen Gehalt an Salz auf. In dieser Schlange vor der Apotheke hat sich mein Vater mit Corona angesteckt. Trotz des hohen Fiebers rief er mich gestern an, haben sie ihre Zwischenstation vor der Sperrstunde erreicht, trotz der vielen Kontrollpunkte.
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