Karlsruhe entscheidet über Beschwerde - Wird der 12. Februar als Wahltermin doch noch gekippt?
Der Wahlkampf in Berlin läuft schon auf Hochtouren - dabei könnte der Termin noch fallen: Beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Beschwerde gegen die Wiederholung der Wahl vor. Das Gericht muss nun entscheiden, ob es das Verfahren annimmt. Von A. Sundermeyer
250 Seiten dick ist die Beschwerde. Darin finden sich viele gravierende Vorwürfe gegen das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtes zur Wiederholung der Wahl. 43 Berliner Klägerinnen und Kläger wollen damit verhindern, dass die Abgeordnetenhaus- und Bezirksverordnetenversammlungswahl komplett wiederholt wird.
Sie werfen den Richtern Willkür vor: Fehler habe es bei der Wahl 2021 zwar viele gegeben – aber eben nicht überall. Auch sei die Begründung falsch, die Bezirksverordnetenwahl komplett zu wiederholen, weil sie an die Abgeordnetenhauswahl geknüpft waren. Die Beschwerde kritisiert aber auch Formfehler beim Gericht, zum Beispiel, dass die Amtszeit einiger Richterinnen und Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits abgelaufen war.
Wahlwiederholung sei "über das Ziel hinausgeschossen"
Unter den Klagenden sind etliche Bezirksverordnete, aber auch acht Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Linken, SPD und FDP. Die wenigsten wollen sich öffentlich äußern. Einer der Klagenden ist Berlins früherer Finanzsenator Matthias Kollatz, direkt gewählt in Steglitz. Er kann nicht nachvollziehen, warum komplett neu gewählt werden soll.
"Nehmen Sie mal meinen Wahlkreis. Da wird dann so getan in dem Urteil des Landesverfassungsgerichts, als hätten sich die Fehler über alle Wahllokale verteilt. Das ist aber nicht so", sagt Kollatz. Die falschen Stimmzettel seien in genau drei Wahllokalen ausgegeben worden. Bei drei Wahllokalen von fünfzig sei eine komplette Wahlwiederholung "über das Ziel hinausgeschossen", so der Ex-Finanzsenator.
SPD-Stadtrat: "In Lichtenberg hat die Wahl funktioniert"
Ähnlich sieht es SPD-Stadtrat Kevin Hönicke, in Lichtenberg zuständig für Bürgerdienste und auch für die Wahlen. In seinem Bezirk habe die Wahl schließlich funktioniert: "Wir hatten eine der höchsten Wahlbeteiligungen jemals hier in Lichtenberg und keiner konnte nicht wählen gehen." Er könne deshalb nicht verstehen, warum man "eine funktionierende Wahl in Lichtenberg wiederholen müsse", beschwert sich Hönicke.
Vorbehalte gegen das Berliner Urteil haben nicht nur Politiker und Politikerinnen. Den Beschwerdeführern zufolge habe das Berliner Gericht die Wahlfehler gar nicht in der Tiefe ermittelt, sondern nur Vermutungen geäußert, indem es von Extrembeispielen auf alle anderen Wahllokale geschlossen habe. Diese Schwäche sieht auch der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza. Er wirft dem Gericht sogar Willkür in seiner Entscheidung vor. Es sei ein gravierender Fehler, "dass das Berliner Gericht eine Mandatsrelevanz der Fehler annimmt, ohne das genau wirklich zu begründen oder ohne alle Fehler ermittelt zu haben."
Auch für Bezirkswahlleiter Rolfdieter Bohm aus Friedrichshain-Kreuzberg gab es nach dem Berliner Urteil einige Fragezeichen. Er wurde vom Bundesverfassungsgericht um eine Stellungnahme gebeten.
Bohm würde eine Klärung begrüßen: Da sich das Bundesverfassungsgericht ja ohnehin mit der Prüfung der Bundestagswahl befasse, könne es sich "das Ganze mit Blick auf die Berliner Wahlen ja auch mal anschauen", so Bohm. "Die Unterbrechungen, die langen Schlangen, das betraf ja beide Wahlen."
Verfassungsbeschwerde politisch umstritten
Im Abgeordnetenhaus stößt die Verfassungsbeschwerde vor allem bei CDU und AfD auf geharnischte Kritik. Reparieren könne das Wahlchaos vom September 2021 nur die komplette Wiederholungswahl, so CDU-Generalsekretär Stefan Evers, der seinerzeit die Verhandlung vor dem Landesverfassungsgericht mit beobachtet hat.
Für Evers ist die Sache klar - jeder, der das Wahlchaos erlebt habe, wisse doch, "dass diese Wahl wiederholt werden muss". Außerdem geht Evers davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht in Angelegenheiten der Landesverfassungsgerichte einmischen werde.
Gibt Bundesverfassungsgericht Zurückhaltung auf?
Tatsächlich ist es so, dass das Bundesverfassungsgericht sich seit 1998 nicht mehr mit Wahlprüfungsentscheidungen der Länder befasst. Diese werden in Karlsruhe streng als Sache der Landesverfassungsgerichte betrachtet. Bemerkenswert ist daher, dass das Bundesverfassungsgericht die Berliner Beschwerde nicht von vornherein abgelehnt hat, sondern bis kommenden Dienstag eine Frist für Stellungnahmen gesetzt hat.
Wie also wird das Bundesverfassungsgericht mit der Beschwerde umgehen? Eine Sprecherin des Gerichtes will sich nicht äußern – weder auf die Frage, bis wann die Stellungnahmen bearbeitet werden sollen, noch, ob es eine Tendenz in Karlsruhe gibt, das Verfahren anzunehmen.
Staatsrechtler Pestalozza ist trotz seiner Sympathie für die Klageschrift zurückhaltend in seiner Prognose. "Es ist nicht völlig unmöglich, dass sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache mit dem Urteil mit dem Verfassungsgerichtshof beschäftigt, es ist aber auch nicht sehr wahrscheinlich", sagt er.
Holt sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Verfahren aber auf den Tisch, könnte die Wiederholungswahl am 12. Februar tatsächlich kippen.