Karlsruhe entscheidet über Beschwerde - Wird der 12. Februar als Wahltermin doch noch gekippt?

Mi 04.01.23 | 15:39 Uhr | Von Agnes Sundermeyer
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Symbolbild: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. (Quelle: dpa/U. Deck)
Video: rbb24 Abendschau | 03.01.2023 | B. Hermel, A. Sundermeyer | Bild: dpa/U. Deck

Der Wahlkampf in Berlin läuft schon auf Hochtouren - dabei könnte der Termin noch fallen: Beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Beschwerde gegen die Wiederholung der Wahl vor. Das Gericht muss nun entscheiden, ob es das Verfahren annimmt. Von A. Sundermeyer

250 Seiten dick ist die Beschwerde. Darin finden sich viele gravierende Vorwürfe gegen das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtes zur Wiederholung der Wahl. 43 Berliner Klägerinnen und Kläger wollen damit verhindern, dass die Abgeordnetenhaus- und Bezirksverordnetenversammlungswahl komplett wiederholt wird.

Sie werfen den Richtern Willkür vor: Fehler habe es bei der Wahl 2021 zwar viele gegeben – aber eben nicht überall. Auch sei die Begründung falsch, die Bezirksverordnetenwahl komplett zu wiederholen, weil sie an die Abgeordnetenhauswahl geknüpft waren. Die Beschwerde kritisiert aber auch Formfehler beim Gericht, zum Beispiel, dass die Amtszeit einiger Richterinnen und Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits abgelaufen war.

Wahlwiederholung sei "über das Ziel hinausgeschossen"

Unter den Klagenden sind etliche Bezirksverordnete, aber auch acht Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Linken, SPD und FDP. Die wenigsten wollen sich öffentlich äußern. Einer der Klagenden ist Berlins früherer Finanzsenator Matthias Kollatz, direkt gewählt in Steglitz. Er kann nicht nachvollziehen, warum komplett neu gewählt werden soll.

"Nehmen Sie mal meinen Wahlkreis. Da wird dann so getan in dem Urteil des Landesverfassungsgerichts, als hätten sich die Fehler über alle Wahllokale verteilt. Das ist aber nicht so", sagt Kollatz. Die falschen Stimmzettel seien in genau drei Wahllokalen ausgegeben worden. Bei drei Wahllokalen von fünfzig sei eine komplette Wahlwiederholung "über das Ziel hinausgeschossen", so der Ex-Finanzsenator.

SPD-Stadtrat: "In Lichtenberg hat die Wahl funktioniert"

Ähnlich sieht es SPD-Stadtrat Kevin Hönicke, in Lichtenberg zuständig für Bürgerdienste und auch für die Wahlen. In seinem Bezirk habe die Wahl schließlich funktioniert: "Wir hatten eine der höchsten Wahlbeteiligungen jemals hier in Lichtenberg und keiner konnte nicht wählen gehen." Er könne deshalb nicht verstehen, warum man "eine funktionierende Wahl in Lichtenberg wiederholen müsse", beschwert sich Hönicke.

Vorbehalte gegen das Berliner Urteil haben nicht nur Politiker und Politikerinnen. Den Beschwerdeführern zufolge habe das Berliner Gericht die Wahlfehler gar nicht in der Tiefe ermittelt, sondern nur Vermutungen geäußert, indem es von Extrembeispielen auf alle anderen Wahllokale geschlossen habe. Diese Schwäche sieht auch der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza. Er wirft dem Gericht sogar Willkür in seiner Entscheidung vor. Es sei ein gravierender Fehler, "dass das Berliner Gericht eine Mandatsrelevanz der Fehler annimmt, ohne das genau wirklich zu begründen oder ohne alle Fehler ermittelt zu haben."

Auch für Bezirkswahlleiter Rolfdieter Bohm aus Friedrichshain-Kreuzberg gab es nach dem Berliner Urteil einige Fragezeichen. Er wurde vom Bundesverfassungsgericht um eine Stellungnahme gebeten.

Bohm würde eine Klärung begrüßen: Da sich das Bundesverfassungsgericht ja ohnehin mit der Prüfung der Bundestagswahl befasse, könne es sich "das Ganze mit Blick auf die Berliner Wahlen ja auch mal anschauen", so Bohm. "Die Unterbrechungen, die langen Schlangen, das betraf ja beide Wahlen."

Verfassungsbeschwerde politisch umstritten

Im Abgeordnetenhaus stößt die Verfassungsbeschwerde vor allem bei CDU und AfD auf geharnischte Kritik. Reparieren könne das Wahlchaos vom September 2021 nur die komplette Wiederholungswahl, so CDU-Generalsekretär Stefan Evers, der seinerzeit die Verhandlung vor dem Landesverfassungsgericht mit beobachtet hat.

Für Evers ist die Sache klar - jeder, der das Wahlchaos erlebt habe, wisse doch, "dass diese Wahl wiederholt werden muss". Außerdem geht Evers davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht in Angelegenheiten der Landesverfassungsgerichte einmischen werde.

Gibt Bundesverfassungsgericht Zurückhaltung auf?

Tatsächlich ist es so, dass das Bundesverfassungsgericht sich seit 1998 nicht mehr mit Wahlprüfungsentscheidungen der Länder befasst. Diese werden in Karlsruhe streng als Sache der Landesverfassungsgerichte betrachtet. Bemerkenswert ist daher, dass das Bundesverfassungsgericht die Berliner Beschwerde nicht von vornherein abgelehnt hat, sondern bis kommenden Dienstag eine Frist für Stellungnahmen gesetzt hat.

Wie also wird das Bundesverfassungsgericht mit der Beschwerde umgehen? Eine Sprecherin des Gerichtes will sich nicht äußern – weder auf die Frage, bis wann die Stellungnahmen bearbeitet werden sollen, noch, ob es eine Tendenz in Karlsruhe gibt, das Verfahren anzunehmen.

Staatsrechtler Pestalozza ist trotz seiner Sympathie für die Klageschrift zurückhaltend in seiner Prognose. "Es ist nicht völlig unmöglich, dass sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache mit dem Urteil mit dem Verfassungsgerichtshof beschäftigt, es ist aber auch nicht sehr wahrscheinlich", sagt er.

Holt sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Verfahren aber auf den Tisch, könnte die Wiederholungswahl am 12. Februar tatsächlich kippen.

Beitrag von Agnes Sundermeyer

51 Kommentare

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  1. 51.

    Alleine schon die Tatsache das bis "weit" nach 18 Uhr Wahlzettel abgegeben wurden, rechtfertigt die Aussage das die Wahl ungültig ist, da anderen Orts schon ausgezählt wurde.

  2. 50.

    Nach 16 Jahren Merkelscher CDU-Versäumnisse bei der Integrationspolitik (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF) habe ich vor Rot-Grün-Rot am wenigsten Angst.

  3. 49.

    Angst fressen Seele auf. Angst wieder einer geregelten Arbeit wieder nachgehen zu müssen. Berlin ist durch solch unfähigen Politiker zu Moloch geworden. Wer nach den Vorkommnissen vom Silvesterabend immer noch rot,grün wählt, dem ist nicht zu helfen.

  4. 48.

    Blödsinn. Sowas lässt sich eindeutig feststellen. Dafür gibt es eine Wahlordnung die das durchzuführende Wahlverfahren festlegt.
    Also wenn die Wahlkabine, Stimmzettel oder Wahlurnen fehlten, die Wahlberechtigunsscheine und Personalien nicht überprüft wurden und so Mehrfachstimmen abgeben wurden, das Wahllokal einfach zu war oder der Wähler in anderer Weise im Wahllokal an seiner rechtmäßigen Stimmabgabe gehindert wurde etc. sind Wahlergebnisse grundsätzlich angreifbar.
    Anderfalls sind die Wahlergebnisse in den Wahlbezirken rechtskräftig.

    Genau über diese Sachverhalte wird sich das BVerfG jetzt einen Überblick verschaffen und entscheiden ob sie tätig werden. Wenn sie tätig werden, wird das Urteil des VerfGH aufgehoben, mit der Maßgabe die ordentlich erzielten Mandate entsprechend zu würdigen. Worauf dann der VerfGH in seinem neuen Urteil die alte Wahl nur noch in Teilen annulieren wird.

  5. 47.

    „Es ist ist nichts als eine Absetzung des gewählten Parlaments.“
    Gewählt? Rechtmäßig? Das sehen (z.B. afghanische) Wahlbeobachter anders.
    Ob die Nerven „am Rand“ blank liegen?

  6. 46.

    Es ehrt Ihre Oma, dass sie persönlich wählen wollte und die Briefwahl nicht vorgezogen hat. 4 Stimmzettel, Deutsche Wohnen, Marathon, Corona Verordnungen und Wahlhelfer, die mit der Spritze gelockt wurden und nach dem Schuss sich krankmeldeten. Wie lang könnte da eine Schlange sein? Das Grundproblem war, dass sich die Verantwortlichen in Berlin ( mal wieder ) verzockt hatten. Ein total schwacher Bürgermeister, Kollatz, Pop und wie sie alle hießen.

  7. 45.

    Die Verlierer von damals versuchen mit der Neuwahl Vorteile zu erlangen. Sie wollen ausnutzen, dass eine Regierung am Anfang die unangenehmen Dinge regelt und am Ende der Wahlperiode erst Geschenke verteilt. So macht das jede Partei und so geht Demokratie. Eine Wahl geht nach so langer Zeit nicht wiederholen und bestraft die Gewinner von damals. Es ist ist nichts als eine Absetzung des gewählten Parlaments.

  8. 44.

    Warum "berichtet" der rbb über ungelegte Eier? Reine Spekulation.

  9. 43.

    Wer die Wahl auf die stattgefundenen Fehler hin überprüfen will und dazu lediglich die Aussagen von 100 Wahlhelfenden sowie Pressemitteilungen(!) heranzieht, muss sich nicht wundern, unabhängig vom Urteil, angezweifelt zu werden. Ich halte die Unverhältnismäßigkeit, die Pauschalität, die für die Gänze des Umfangs der Wahlen in Frage stehende Mandatsrelevanz bei den meisten Wahlbezirken und den Mangel an akurater Ermittlungsarbeit seitens des Berliner Gerichts für fatal. Wenn eine komplette Wahl nötig sein sollte, dann muss das auch nachgewiesen werden. So haben Rechtsextreme, an deren Schulter cDU/cSU stets wiederzufinden sind, gleich doppelt leichtes Spiel, den Parlamentarismus vorzuführen und zu delegitimieren: die Abläufe der Wahl sowie die grob unseriöse Stellungnahme des Gerichts dazu. "Die können es nicht und sie wollen auch gar nicht genau wissen, inwieweit sie es nicht können", das serviert man den Demokratiefeind*innen frei Haus mit solchen Handlungen.

  10. 42.

    Ich habe mich mit unserer Oma 92 jahre zum wählen anstellen wollen. Daraufhin sagte mir der Wahlhelfer die Wartezeit liegt bei einer Stunde, Morgens um 9:00 Uhr, wir sollen besser später wiederkommen.
    Ich habe die Oma heimgebracht weil sie so lange nicht stehen konnte.
    Bin danach etwa 9:30 dort gewesen zum wählen, Die schlange war gleich geblieben. Habe 1,5h gewartet.
    Sehr, sehr viele ältere Menschen und auch viele jüngere haben sich nicht angestellt sondern sind heim gegangen.
    Am Nachmittag war die Schlange doppelt so lang, sodass ich Oma nicht überreden konnte sie nocheinmal zu Wahllokal zu bringen.
    Angeblichlief in unseren Wahllokal aber alles korrekt wie Herr Kollatz sagt, der in meinen Wahlkreis ist.
    Aha, wenn so eine korrekte Wahl aussieht, dann gute Nacht Demokratie!

  11. 41.

    "Für mich ist der Zeitraum zwischen der Wahl, der Feststellung der Mängel und der Wiederholung erschreckend." Dafür gibt es (eingehaltene) Fristen....

  12. 40.

    "Es hat REICHLICH PANNEN bei den letzten Wahlen gegeben - auch wenn es nicht in allen Bezirken so war "

    Aber genau das ist entscheidend. Das durch ordentliche Wahlen erworbene Mandat kann in einer Demokratie nicht einfach wieder entzogen werden, schon garnicht der einfachheit halber. Wenn der VerfGH Berlin die ordentlich erworbenen Mandate im Berliner Abgeordnetenhaus nicht hinreichend gewürdigt hat, dann sind die Beschwerde der Personen A vor dem BVerfG berechtigt.
    Hinzu kommt, dass im selben Wahlzug der Bundestag gewählt wurde, worüber das BVerfG aufgrund von Beschwerden der Personen !A ebenfalls entscheiden muss und wo der Bundestag keine komplette Neuwahl in Berlin für notwendig hält.

    Wie passt das nun alles zusammen? Ich denke schon, dass der 2. Senat sich die Wahlvorgänge in Berlin sehr gründlich ansehen wird und teile die Ansicht, die werden die Beschwerde schon aus Respekt vor dem VerfGH ablehen (war ja in der Vergangenheit auch so) überhaupt nicht.

  13. 39.

    Den Parteien wäre es vielleicht gar nicht so schlecht gefallen.
    Damit geht aber ein jeder Glauben an eine funktionierende Demokratie verloren.

  14. 38.

    Das gewählte Politiker klagen ist für mich völlig verständlich, es ist die pure Sorge ihren lukrativen Job zu verlieren. Für mich ist der Zeitraum zwischen der Wahl, der Feststellung der Mängel und der Wiederholung erschreckend. In jedem anderen Land , insbesondere wenn es nicht in unserer Bild passt, würden wir in den Medien von Verschleppung, Vetternwirtschaft und Wahlbetrug schreiben und reden.

  15. 37.

    Langsam werden die ganzen Einwände gegen die Neuwahlen für mich unverständlich und auch nicht nachvollziehbar.
    Es hat REICHLICH PANNEN bei den letzten Wahlen gegeben - auch wenn es nicht in allen Bezirken so war - aber wenn jetzt diese Neuwahlen aufgrund Einiger, die vielleicht Angst haben ihren gutdotierten Posten zu verlieren, nicht stattfinden können, wird es immer einen komischen Beigeschmack hinterlassen und deshalb wird das damalige Wahlergebnis
    NICHT GLAUBHAFTER.

  16. 36.

    Angst frisst Seele!

  17. 35.

    Es geht übrigens nicht darum ob man in einer Demokratie mit dem Wahlergebnis zufrieden ist oder nicht. Man möchte schlicht, das wird sie überraschen, eine korrekte demokratische Wahl und das war 2021 schlicht nicht der Fall. So einfach ist das ...

  18. 34.

    Ich glaube schon dass die Wahl wiederholt wird, denn neben Stimmenabgabe nach 20:00, falsche oder keine Stimmzettel, ca. 90% ungültiger Stimmzettel in bestimmten Wahlkreisen ist der Präjudiz dafür gegeben. Lassen wir uns überraschen, bin gespannt wie ein Flitzebogen

  19. 33.

    Es ist schon lustig zu lesen wie diejenigen " argumentieren ", die nicht mit dem Wahlergebnis zufrieden sind und sich ein anderes Ergebnis wünschen und die andere Gruppe.
    Selbst in der Bank oder Volkshochschule wird man noch bedient, wenn man vor der Schliesszeit ansteht. Wieso Berlin allerdings wie immer den Megalomania heraushängen lassen muss und neben 4 Stimmzetteln auch noch den Marathon stattfinden lässt liegt daran, dass die Berliner sich einfach für die Größten halten. Ich persönlich glaube nicht, dass die Wahl wiederholt wird, aber wir werden ja sehen.

  20. 32.

    „Die Beschwerde kritisiert aber auch Formfehler beim Gericht, zum Beispiel, dass die Amtszeit einiger Richterinnen und Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits abgelaufen war.“

    Nun gehört das BVerfG nicht zum Instanzenzug. Es übt keine fachliche Kontrolle aus, sondern überprüft, ob die getroffenen Entscheidungen der Fachgerichte mit dem Grundgesetz in Einklang stehen.
    Insofern dürfte der Formfehler für die Entscheidung irrelevant sein.

    Aber ich frage mich natürlich schon, wie so etwas zudem an einem VerfGH passieren kann?!

    Allerdings kann ja die Wahl zum Abgeordnetenhaus im selben Wahlzug keinen anderen Mangel als die Wahl zum Bundestag haben.
    Insofern würde es doch sehr verwundet, wenn zum Berliner Abgeordnetenhaus komplett und zum Bundestag nur in einigen Wahlbezirken neu gewählt würde.

    Ich vermute, dass das überhaupt der Grund für die eibedürftige Einlassung des BVerfG ist. Die hätten die Beschwerde ja auch von vornherein zurückweisen können.

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