Interview | Wahlforscher Thorsten Faas - "Karlsruhe hat sich für den kleineren Eingriff entschieden"
Die Wahl im Februar findet statt – allerdings unter Vorbehalt. Denn das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht entschieden, ob die Wiederholung rechtmäßig ist oder nicht. Die Hintergründe erklärt Wahlforscher Thorsten Faas im Interview.
Herr Faas, wie interpretieren Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
Thorsten Faas: Vor einem Stopp ist das Gericht zurückgeschreckt, das wäre wirklich auch ein sehr weitreichender Eingriff gewesen. Viele Tausend Berlinerinnen und Berliner haben schon die Stimme abgegeben, da wäre viel Unsicherheit entstanden. Jetzt bleibt auch eine gewisse Unsicherheit, was im Nachgang zur Wahl passiert, was noch aus Karlsruhe vom Bundesverfassungsgericht kommt. Aber erstmal können alle Berliner und Berliner wie geplant ihre Stimme abgeben. Insofern ist es doch ein eher geringer Eingriff, den wir jetzt haben.
Es bleibt eine Wahl mit ein bisschen Bauchschmerzen. Nicht nur, weil man nicht weiß, wie das Hauptverfahren dann läuft, sondern auch, weil man nicht genau weiß, war die Beschwerde vielleicht berechtigt?
Das ist ein echtes Dilemma, in dem man sich da bewegt. In welche Richtung man auch immer entschieden hätte, es hätte immer ein Szenario gegeben, was sehr unschön gewesen wäre. Jetzt verschiebt man die Wahl nicht, mit der Gefahr, dass man danach sagt, sie hätte so nie stattfinden dürfen. Umgekehrt: Hätte man die Wahl verschoben und dann später gesagt: Na, wäre eigentlich doch alles in Ordnung gewesen. Beides sehr, sehr unschön. Selbst wenn man sich das Berliner Urteil nochmal in Erinnerung ruft, auch das war ja nicht einstimmig. Also das ist ein Gebiet, wo einfach auch keine einheitliche, festgelegte juristische Meinung vorherrscht, sondern auch an der Stelle tatsächlich Neuland.
Welche Ausgänge sind im Hauptverfahren denkbar?
Also ich bin ja kein Jurist, aber es sind – glaube ich – sehr verschiedene Ausgänge vorstellbar. Karlsruhe könnte sagen, dass das erstmal alles in Ordnung war, dass diese Wiederholungswahl genau das angemessene Mittel war. Natürlich steht auch als Option im Raum, dass man das Urteil zurückgibt. Dass man sagt, der Berliner Verfassungsgerichtshof hat Fehler gemacht, muss neu über diese Sache entscheiden. Vorstellbar wäre auch etwas in der Mitte. Dass man in Karlsruhe bestimmte Grundsätze nochmal formuliert, dass man einfach auch mehr Klarheit für die Zukunft schaffen will, ohne dass man jetzt sagt, dass damit die Wiederholungswahl infrage steht, oder dass sie wiederholt werden müsste. In Karlsruhe ist auch noch das Verfahren mit Blick auf die Bundestagswahl anhängig. Also wie wird eigentlich das weitere Vorgehen mit Blick auf die Bundestagswahl in Berlin aussehen? Insofern wird man sich dort eh nochmal mit der Sache befassen müssen.
Jetzt hat das Gericht zunächst keine Begründung für seine Entscheidung mitgeliefert. Welche Begründung vermuten Sie? Steckt dahinter, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht in Landessachen einmischen will?
Bisher wissen wir nur, dass die Wahl nicht verschoben wird, alles andere steht ja weiterhin noch aus. Ich glaube, das war einfach eine Abwägung. Dass man sagt, wollen wir das jetzt anhalten und damit noch mehr Unsicherheit säen als das ohnehin schon der Fall ist? Oder sind wir eher bereit, gegebenenfalls im Nachgang Korrekturen einzufordern oder auf Mängel hinzuweisen? In dieser Abwägung ist die Entscheidung so der kleinere Eingriff gewesen. Vor allem muss man sehen, diese Debatten, die wir aktuell führen, die werden jetzt nicht jeden Berliner und jede Berlinerin intensivst beschäftigen, sondern die werden ihrem Leben im Alltag nachgehen. Das ist ja eine Eliten-Diskussion, die wir gerade führen. Die Wahl zu verschieben, das wäre wirklich ein Signal in die Breite gewesen, das hätte jeder und jede gemerkt. Und auch davor ist man hier eher zurückgeschreckt.
Sind die Leute jetzt so entnervt von diesem ganzen Chaos und hin und her, dass sie am 12. Februar weniger wählen werden?
Zum Glück haben wir keine Erfahrungswerte, wie die Wahlbeteiligung bei Wiederholungswahlen und auch bei solchen Wahlen, die mit Unsicherheit behaftet sind, aussehen wird. Klar ist aber, dass die Beteiligung niedriger liegen wird als 2021. Nicht nur wegen der Unsicherheiten, sondern einfach, weil die Bundestagswahl als Zugpferd fehlt und auch daran merkt man eigentlich sehr schön, man kann nicht einfach nur die Fehler beheben und alles andere gleich lassen, sondern es ist eine gänzlich neue Wahl unter gänzlich anderen Voraussetzungen und vermutlich eben auch mit einer deutlich niedrigen Wahlbeteiligung als es 2021 der Fall gewesen ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mit Thorsten Faas sprach Franziska Hoppen, rbb24 Abendschau. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Version des Interviews.
Sendung: rbb24 Abendschau, 31.01.2023, 19:30 Uhr
Audio: rbb24 Inforadio, 31.01.2023, 11:00 Uhr