Koalitionsrechner vor Wiederholungswahl - Berliner Farbenspiele
Die CDU liegt vorne, die Grünen schwächeln und die SPD macht Boden gut. Unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl scheint politisch in Berlin Vieles möglich. Auch, dass am Ende der Wahlsieger ohne eine Koalitionsoption dasteht. Von Jan Menzel
Umfragen und Prognosen sind das eine. Wahlergebnisse das andere. Wer wüsste das besser als Franziska Giffey und Bettina Jarasch? Bei der letzten Abgeordnetenhauswahl vor fast anderthalb Jahren sah es kurz so aus, als würde die grüne Spitzenkandidatin Jarasch das Rennen machen. Dann zog Franziska Giffey doch noch an ihr vorbei und sicherte der SPD das Rote Rathaus.
Bei der Wiederholung der historischen Pannenwahl an diesem Sonntag tritt neben Giffey und Jarasch auch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner erneut an. Wenn die Demoskopen nicht völlig falsch liegen, könnte er dieses Mal das Nachsehen haben.
Dabei führt Wegners CDU derzeit alle Umfragen souverän an. Der Vorsprung ist so deutlich, dass die Union aller Voraussicht nach erstmals seit Jahrzehnten wieder stärkste politische Kraft in der Hauptstadt sein wird. Das hatte zuletzt Eberhard Diepgen 1999 geschafft. Doch um nach langer Durststrecke in der Opposition wieder an die Regierung zu kommen, könnten Wegner die Partner für ein Regierungsbündnis fehlen. Wegner sei ein König ohne Land, spötteln die politischen Kontrahenten.
Schwarz-Grün lag in der Berliner Luft
Zwar gab es zu Beginn des Wahlkampfs zaghafte Annäherungsversuche zwischen Schwarzen und Grünen. Man spreche miteinander und verstehe sich menschlich gut, wurden Spitzenleute beider Parteien nicht müde zu betonen. Doch mit den Silvesterkrawallen kam der Bruch. Die Frage der CDU nach den Vornamen der Tatverdächtigen brachte die Grünen auf die Barrikaden. Wer Jugendliche stigmatisiere, komme für eine progressive Koalition nicht in Frage, ließ die Grüne Bettina Jarasch die CDU wissen. Deren Spitzenkandidat Wegner revanchierte sich umgehend: Bei Grünen-Plänen für einen massiven Abbau von Parkplätzen und mehr Tempo 30 mache er nicht mit.
Nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich ist wohl jede Form von Zweierbündnis. Geht man nach aktuellem Deutschland- und BerlinTrend, reicht es stimmenmäßig für Schwarz-Grün oder auch Schwarz-Rot nur, wenn die FDP aus dem Abgeordnetenhaus fliegt. Die Liberalen stemmen sich aber mit aller Kraft dagegen und trommeln für eine Koalition in den Deutschlandfarben. CDU, SPD und FDP hätten ausweislich der Umfragen sogar eine Mehrheit.
Und auch die drei führenden Köpfe Franziska Giffey, Kai Wegner und FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja liegen politisch gar nicht so weit auseinander. Es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass der linke Berliner SPD-Landesverband sich in ein solches Bündnis zwingen lassen würde, nicht einmal von der eigenen Landesvorsitzenden Franziska Giffey.
Giffey setzt auf Giffey
Sie hat es in diesem wie auch im vorigen Wahlkampf tunlichst vermieden, in der Koalitionsfrage Farbe zu bekennen. Sie kämpfe für eine starke SPD, ist das Einzige, was Giffey sich entlocken lässt. Bekannt ist, dass sie persönlich mit einer Ampel-Koalition wie im Bund geliebäugelt hat. Die Zahlen geben dieses Bündnis von SPD, Grünen und FDP allerdings nicht her. Nach Lage der Dinge wäre die Fortsetzung der bisherigen Koalition ohnehin die attraktivste Variante für die SPD und für Franziska Giffey.
Denn so wie die CDU in den Umfragen enteilt ist, kann sie nur in einer rot-grün-roten Koalition ihr Amt als Regierende Bürgermeisterin retten. Für die ehemalige Bundesfamilienministerin liegt darin das zentrale Wahlkampfziel. Dafür müssten sich die Sozialdemokraten auf den letzten Wahlkampfmetern weiter nach vorne robben und vor die Grünen schieben, wonach es zuletzt aussah.
Kann die SPD auch Juniorpartner?
Die Grünen haben ohnehin schon bekannt gegeben, dass sie am liebsten mit SPD und Linken weiter machen würden. Bettina Jarasch ist allerdings auch angetreten, die Kräfteverhältnisse umzudrehen und erste grüne Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden. Ausweislich der Umfragen liegt das nach wie vor im Bereich des Möglichen. Die Berliner Langzeit-Regierungspartei SPD hätte in diesem Fall eine harte Nuss zu knacken. Die Sozialdemokraten müssten dann beweisen, dass sie auch Juniorpartner können. Umgekehrt gilt als sicher, dass die Grünen eine SPD-Führung akzeptieren würden.
Wie sehr sich aber Stimmungen, Präferenzen und taktisches Kalkül innerhalb weniger Wochen ändern können, macht CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner deutlich. Zu Beginn des Wahlkampfs watschte er die SPD noch heftig ab. Die Partei trage die Verantwortung dafür, dass vieles in Berlin schlecht funktioniere. Das "System SPD" habe fertig, so Wegner. Einige Wochen später wendete sich das Blatt. Den offenen Wahlausgang im Blick sendete Wegner zuletzt auch versöhnlichere Signale an Giffey und die Genossen.
Kategorisch ausgeschlossen haben sowieso weder Wegner, Giffey noch Jarasch die verschiedenen politisch machbaren Varianten. Das ist auch ein Gebot der politischen Klugheit: Denn am Ende zählt nicht, wer bei der Wahl die meisten Prozente einfährt. Berlin regieren kann nur, wer auf eine verlässliche Mehrheit im Abgeordnetenhaus kommt. Einiges spricht dafür, dass Wegner trotz eines absehbaren Wahlerfolgs nicht an Rot-Grün-Rot beziehungsweise Grün-Rot-Rot vorbeikommen wird.