Spitzenkandidaten im Duell - Rot-grün-roter Nichtangriffspakt
Es war die letzte große Debatte der Spitzenkandidaten vor der Wahl: Im rbb-Fernsehen trafen Giffey, Wegner, Jarasch, Brinker, Czaja und Lederer aufeinander. Am Ende waren zwar nicht alle Fragen beantwortet - eine ganz zentrale aber möglicherweise schon. Von Sebastian Schöbel
Die kleine Deutschlandflagge hatte sich Sebastian Czaja vermutlich nicht zufällig ans Sakko gesteckt, bevor er zum rbb24-Kandidatencheck fuhr. Der FDP-Spitzenkandidat tritt schließlich nicht für ein Amt auf Bundesebene an, sondern will nach der Wiederholungswahl einem neuen Berliner Senat angehören. Dass der Weg dorthin wohl nur mit CDU und SPD als Partner gelingt, scheint für Czaja inzwischen klar zu sein: Anders kann man die schwarz-rot-gelbe Botschaft an seinem Revers wohl kaum verstehen.
Zumal CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner seinen Auftritt im Studio A an der Masurenallee nutzte, um eine Regierungskoalition mit den Grünen so gut wie auszuschließen. "Das, was Frau Jarasch und die Grünen in den letzten Tagen und Wochen gesagt haben, ist mit mir nicht zu machen", sagte Wegner nach einem hitzigen Schlagabtausch mit der amtierenden Verkehrssenatorin Bettina Jarasch. Dass die Grünen ihre Haltung in der Verkehrspolitik nochmal ändern, bezweifle er. Und stellte klar: "Also kann ich mir eine Koalition mit den Grünen nach der Wahl nicht vorstellen."
Verwaltungsreform bis 2024
Lauter hätte Wegner das schwarz-grün-gelbe Buch der ersten Berliner Jamaika-Koalition kaum zuschlagen können. Dass es wohl auf absehbare Zeit geschlossen bleibt, hatte sich aber schon vorher angedeutet: Da ließ Jarasch in einem Interview mit der Zeitung "Welt" wissen, dass Rot-Grün-Rot auch bei einem Wahlsieg der CDU weiterregieren könne. Die Hoffnung, diese Koalition auch anzuführen, hat Jarasch freilich noch nicht aufgegeben, auch wenn in Umfragen zuletzt die SPD vor den Grünen lag.
Am Mittag dann wurde mit den Eckpunkten zur Verwaltungsreform im Senat ein Projekt beschlossen, das bis weit ins Jahr 2024 ausgelegt ist. Geht es nach SPD, Grünen und Linken, bleiben die Bezirksämter nicht nur bestehen, die zwölf Bezirksbürgermeister sollen künftig auch deutlich mehr politisches Gewicht bekommen – das Gegenteil von dem, was FDP-Spitzenkandidat Czaja im Wahlkampf fordert. Der Plan sei "eine sehr, sehr gute fachliche Grundlage um das zu tun, was notwendig ist in Berlin", so Giffey. Bereits im April sollen die Details mit den Bezirken bei einem großen Reformkongress verhandelt werden. Zum Vergleich: Das ist weniger Zeit, als SPD, Grüne und Linke 2021 brauchten, um einen Koalitionsvertrag auszuhandeln.
Seltene Einigkeit im Wahlkampf
Die Eile passte zu einem Tag, an dem SPD, Grüne und Linke seltene Einigkeit in diesem Winterwahlkampf demonstrierten. Hatten sich die bisherigen Koalitionspartner zuvor immer wieder öffentlich beharkt, schien es nun so, als ob die Wahl in gut fünf Tagen nicht mehr als eine kurze Unterbrechung der gemeinsamen Langfristplanung sei. Im rbb-Kandidatencheck jedenfalls griffen weder Lederer, noch Jarasch oder Giffey ihre bisherigen Koalitionspartner an: nicht in der Wohnungs- und Mietenpolitik, nicht beim Verkehr und auch nicht bei der inneren Sicherheit. Trotz zuletzt teils großer Differenzen: von Elektroschockpistolen für Polizeibeamte, über den Weiterbau der A100, bis zur Enteignung großer Immobilienkonzerne.
Den drei Oppositionsparteien blieb damit nur übrig, sich an der bisherigen Senatspolitik abzuarbeiten. Überraschendes kam allerdings nicht dabei heraus. Bisweilen wirkte es sogar etwas bemüht. Etwa als Sebastian Czaja in seinem Schlussplädoyer erklärte: "Es geht nicht darum, wer die meisten Stimmen hat, sondern dass wir einen echten Wechsel vollziehen." Ob diese Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden: Die Zahl der Stimmen dürfte am Ende ziemlich wichtig werden, wenn es um die Bildung von Mehrheiten geht.
Mögliche Koalitionen: Giffey zurückhaltend
Franziska Giffey, um deren Zukunft als Regierende Bürgereisterin es am Sonntag auch geht, hielt sich bei der Frage nach Koalitionen wie immer zurück. Ein Aufschwung in den jüngsten Umfragen lässt ihr mehrere Optionen offen - sogar eine, in der sie als Chefin im Roten Rathaus weitermachen könnte. Wer wollte, konnte viel in ihr Fazit zur kontroversesten Debatte des rbb-Kandidatenchecks - der zur Verkehrspolitik - hineinorakeln: "Sie werden nie eine Gruppe haben, die 100 Prozent ihrer Wünsche erfüllt bekommt", resümierte Giffey. Besser hätte man ihr erstes Amtsjahr mit Grünen und Linken kaum beschreiben können. Und Giffey klang nicht so, als ob sie es nicht noch weitere vier Jahre aushalten würde.
Sendung: Ihre Wahl - Der Kandidatencheck, 07.02.2023, 20:15 Uhr