Vier Wochen bis zur Wiederholungswahl - Wie Franziska Giffey nach Wähler:innen fischen will

So 15.01.23 | 08:27 Uhr | Von Jan Menzel
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Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Raed Saleh, Vorsitzender der SPD Berlin und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, stehen am 14.01.2023 nebeneinander. (Quelle: dpa/Fabian Sommer)
Video: rbb24 Abendschau | 14.01.2023 | Dorit Knieling | Bild: dpa/Fabian Sommer

Die jüngsten Umfragen sehen für die Berliner SPD nicht besonders rosig aus: Mal liegen die Grünen vorne, mal die CDU. Doch Franziska Giffey wäre nicht Franziska Giffey, wenn sie nicht auf die Karte Optimismus setzen würde. Von Jan Menzel

Den Wahlkampf haben die Abgeordneten der SPD-Fraktion im Gepäck und in den Knochen. "Mir tut der Rücken weh" stöhnt eine Abgeordnete, als sie auf dem Landgut Stober eintrifft. Sie kommt direkt vom Wahlkampfstand in Berlin und steht jetzt auf dem gepflasterten Hof zwischen den alten Backsteingebäuden. Die SPD-Fraktion trifft sich im alten Borsig-Gut bei Nauen zu ihrer traditionellen Jahresauftakt-Klausur. Laut Tagesordnung geht es um "Bilanz und Ausblick auf das Parlamentsjahr". Doch die Überschrift des Programms müsste eigentlich heißen: Wie wir diese Wahl (doch noch) gewinnen.

SPD ruft Richtungswahl aus

Fraktionschef Raed Saleh redet in seiner Auftaktansprache nicht lange drumherum: "Es geht am 12. Februar nicht nur um die Korrektur von Wahlfehlern. Es steht eine echte Richtungsentscheidung an." Das könnte man beim ersten Hören als ein Bekenntnis zur amtierenden rot-grün-roten Koalition verstehen. Aber die SPD will sich in diesem Wahlkampf alles offenhalten und kämpft für "SPD pur". Deshalb schiebt Saleh gleich den vermeintlichen SPD-Wahlkampfschlager garniert mit einer Attacke auf die grüne Spitzenkandidatin hinterher: "Nicht Frau Jarasch entscheidet über das 29-Euro-Ticket. Das entscheiden die Berlinerinnen und Berliner bei der Wahl."

Das 29-Euro-Ticket sei die Idee seiner Partei gewesen, wird Saleh nicht müde zu berichten. Die SPD habe das kostenfreie Schulessen durchgesetzt, die Gebührenfreiheit in der Kita, die Lernmittelfreiheit und für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes die Hauptstadtzulage. Und als andere Parteien ihre Wahlplakate designt und den Wahlkampf geplant hätten, habe die SPD das Drei-Milliarden-Euro-Hilfspaket geschnürt, um die Stadt sicher durch die Energiekrise zu manövrieren, schwört er seine Fraktion ein.

Die Arbeiterpartei arbeitet

"Die SPD hat gearbeitet", ist Salehs Mantra, das die Abgeordneten auf der Klausur beklatschen. Aber noch wichtiger: Diese Erzählung soll die Wählerinnen und Wähler motivieren, am 12. Februar SPD zu wählen. Optisch passend zu dieser Botschaft plakatiert die Partei eine Regierende Bürgermeisterin, die im Schein der Schreibtischlampe vermeintlich bis spät in die Nacht Akten beackert.

Auch Franziska Giffey greift dieses Motiv in ihrer Rede auf. "Jetzt gilt es, dafür zu sorgen, eine handlungsfähige Regierung zu haben, die die Dinge erreicht, die jetzt anstehen". Das soll wohl heißen: Sollen die anderen doch wahlkämpfen, wir regieren. Für eine Regierende Bürgermeisterin ist das eine durchaus naheliegende Wahlkampf-Aufstellung. Allerdings kann Giffey laut Umfragen zwar auf ihr Amt, anders als andere Ministerpräsidenten aber kaum auf einen Amtsbonus setzen.

Auf die Älteren kommt’s an

Umso mehr haben die Wahlkampfstrategen der SPD analysiert, wo die Partei besonders stark ist und wo sich Mehrheiten holen lassen. Das sind nicht so sehr die Bezirke in der Innenstadt und auch nicht die jungen und mittelalten Wähler:innen. Die vermeintlich sichere Bank der SPD ist die Generation 65-plus. Passend dazu ist als Klausurgast der stellvertretende Vorsitzende der Landesseniorenvertretung Bernd Gellert ins Landgut eingeladen worden.

Es geht um Selbstbestimmtheit auch im hohen Alter und bei Pflegebedürftigkeit, Seniorensport , Barrierefreiheit und darum, dass Dienstleitungen oder Tickets auch ohne Smartphone verfügbar sein müssen. Teilhabe muss "online und offline" möglich sei, verspricht die Regierende Bürgermeisterin und die SPD sei an dieser Stelle die Partei, die "Jung und Alt gleichermaßen berücksichtigt". Die Fraktion diskutiert dazu Anträge für mehr barrierefreie Wohnungen, zusätzliche Sitzbänke an Bushaltestellen und neue Stadtteilzentren. Ältere Menschen sollen dort Hilfe beim Ausfüllen von Formularen erhalten.

"Der einsame Kai"

So gesehen ist kaum überraschend, dass Giffey und die SPD vier Wochen vor dem Wahltag die CDU als Hauptgegner ausgemacht haben. Mit strahlendem Lächeln berichtet Franziska Giffey von Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Rudower Wahlkreis. Die hätten ihr gesagt, dass sie nun erstmals SPD wählen wollten, nachdem die jahrelang ihr Kreuz bei der CDU gemacht hätten. Unabhängig davon, ob dieses Gespräch nun so oder so ähnlich verlaufen ist, zeigt die kleine Anekdote, wo die Regierende Bürgermeisterin ihr Stimmenpotential sieht.

Und ausgerechnet von der CDU hat Giffey im neuen Jahr völlig unverhofft Schützenhilfe bekommen. Mit der Frage nach den Vornamen der Beteiligten an den Silvester-Krawallen, hat CDU-Chef Kai Wegner Giffey eine Vorlage geliefert, auf die sie nicht hoffen durfte, die sie aber auch auf der Fraktionsklausur dankbar aufnimmt. "Ich kann nicht akzeptieren, dass der Name darüber entscheidet, dass ich jemanden als guten oder schlechten Menschen einstufe. Das kann doch nicht wahr sein", sagte Giffey unter anhaltendem Applaus. Und ruft sie ihrer Fraktion noch zu: "Wir haben alle Chancen und werden sie nutzen."

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.01.2023, 19:30 Uhr

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Beitrag von Jan Menzel

90 Kommentare

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  1. 90.

    Danke für die Antwort. Dann war das wohl wegen des aktuellen Schwerpunktes eine subjektive Wahrnehmung.

  2. 89.

    Warum wirbt die SPD nicht mit Rot-Grün-Rot VOR der Wahl, wenn sie NACH der Wahl wieder Rot-Grün-Rot machen wird?
    Sorry, offenbar sollen hier Wähler in der Mitte gefischt werden, weil es sonst für den Senat nicht mehr reicht.
    Ich wähle doch nicht SPD - um dann mit einer Koalition mit Grünen und Linken aufzuwachen.
    Auf gar keinen Fall!

  3. 87.

    "Mal abgesehen davon,dass die AFD allemal seriöser und ehrlicher als die Grünen ist,gebe ich ihnen Recht "

    Der Witz der Woche, was ist an der rechtsextremen AfD ehrlich und seriös? So ehrlich wie die Richterin, die einen Staatstreich mitplant oder so seriös wie die dunklen Spendenkanäle der Rechtsextremen?

  4. 86.

    Wechselwähler bei Grün halte ich für ausgeschlossen. Aber wenn von den rd. 10% "Sonstige" nur 5% die CDU oder FDP wählen würden könnte sich schon ein wenig ändern. Enttäuschte SPD Wähler soll es ja auch noch geben.
    Bleibt nur zu hoffen dass die Berliner das Angebot wahrnehmen und sich ne neue Regierung wählen.....zum Wohle der Stadt!

  5. 85.

    Klar. Ist immer ganz einfach. Wenn es einem nicht passt stimmt es nicht oder es ist nicht repräsentativ oder sonst was. Es sind mehrere Umfragen von verschiedenen Instituten. Gestehen sie sich einfach mal ein, dass sie zu der klaren Minderheit gehören. Das ist der beste Weg tolerant zu werden und andere Meinungen zur Kenntnis zu nehmen ob sie ihnen nun passen oder nicht.

  6. 84.

    Obwohl ich die afd bekämpfe - nach derzeitigem Sachstand gilt die afd leider als demokratische Partei, obwohl A bschaffungsmodell F ür Deutschland Nazis magisch an zieht, kriegt die afd absolut nichts gebacken und koalieren will überhaupt keine andere Partei mit diesem peinlichen Haufen.

  7. 82.

    Insbesondere in Wahlkampfzeiten sind wir dazu verpflichtet, ausgewogen und überparteilich zu berichten. Außerhalb auch?
    Mir fällt dazu spontan der Kollege Sundermeyer und seine Beiträge ein, die ein Paradebeispiel für ausgewogene und besonders neutrale Berichterstattung sind. Diese sind schon in ihrer Machart so steril geworden, dass nichts neues mehr zu erfahren ist und man schon vorher die Pointe vorhersagen kann.

  8. 81.

    "ausgewogen und überparteilich zu berichten" finde ich wichtig und ich freue mich auf weitere objektive Berichte über andere Parteien ...

  9. 80.

    Glauben Sie wirklich dass die vielen Grünwähler/innen von 2021 jetzt was anderes wählen? Und dass es wirklich dazu kommt, dass in allen Wahlbezirken wahlwiederholend gewählt werden muss, oder nur in den 3 Wahlkreisen, wo die Wahl 2021 tatsächlich fehlerhaft ablief?

  10. 79.

    "Die einzige Partei die man wählen kann, ist die AfD. Sie hat ein gutes Programm, das sehr überzeugend ist. "

    Das sehen aber weit über 80 % der Berliner Wähler anders und wählen lieber demokratischen Parteien und keine Richterinnen die sich an Staatsstreichen beteiligen.

  11. 78.

    Ich stimme Ihnen da voll zu. Nicht zu vergessen: Die Wiederholung der Wahl ist ein Erfolg der AfD und der Klage ! Ein großes Problem ist, neben einer grundsätzlichen negativen Berichterstattung, die auch so unverhohlen zugegeben wird, dass sich die Bürger und Wähler nicht über das Wahlprogramm informieren. Das besteht in großen Teilen aus ehemalignen CDU-Positionen, die auch von der WerteUnion geteilt werden. Auch nach mehrmaligem Lesen konnte ich bisher dort keine rechtsextremen Punkte entdecken. Nationale Interessen müssten eigentlich bei jeder Partei an oberster Priorität auf der Agenda stehen. Selbst Ereignisse wie Sylvester, das grüne Gewölbe, grüne Verkehrs-politik usw. usw. reichen anscheinend immer noch nicht für einen Weckruf aus.

  12. 77.

    Die Grünen und SPD hatten seit vielen Jahren ihre Chance. Ergebnis davon.
    Unwählbar !

  13. 76.

    Mal abgesehen davon,dass die AFD allemal seriöser und ehrlicher als die Grünen ist,gebe ich ihnen Recht . Um die ideologisch verblendeten Grünen zu verhindern muss man CDU wählen.....rein taktisch also.

  14. 75.

    Insbesondere in Wahlkampfzeiten sind wir dazu verpflichtet, ausgewogen und überparteilich zu berichten.
    Anlass für diesen Artikel war die Fraktionsklausur. Darüber berichten wir auch bei anderen Parteien, gestern z.B. über Die Linke:
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/01/kleine-parteitag-berliner-linken-wahlprogramm-sofortprogramm-wohnungspolitik.html

  15. 74.

    Was an einer Partei wählbar sein soll, in der Nazis, Reichsbürger und Umstürtzler organisiert sind, erklärt sich mir nicht. Mag mit die Politik der „etablierten“ Parteien kritisieren, deshalb wählt man nicht Rechtsaußenpartei.

  16. 73.

    das wäre, aus Sicht der SPD, sicher hilfreich. Aber dann müsste man sich ja festlegen und nach der Wahl auch so handeln ...

  17. 72.

    Die NSAfD hat kein Programm und schon gar kein "gutes Programm". Es ist 2023 und nicht 1933.

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