Sieger der Berlin-Wahl im Porträt - Kai Wegner: Gewonnen, aber ...

So 12.02.23 | 21:22 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner geht durch das Abgeordnetenhaus. (Quelle: dpa/Sebastian Christoph Gollnow)
Video: rbb24 | 12.02.2023 | Bild: dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Bei der Pannen-Wahl 2021 galt Kai Wegner noch als Unbekannter, ging mit seiner CDU nur als Dritter durchs Ziel. Nun gelang ihm ein deutlicher Wahlsieg. Ob ihn sein Erfolgsergebnis allerdings ins Rote Rathaus bringt, ist offen. Von Thorsten Gabriel

Zuletzt zeigte sich Kai Wegner auf Plakatwänden in ungewohntem, düsterem Ambiente: Der CDU-Kandidat vor grauer Wand sitzend, im dunkelbauen Anzug über weißem, offenen Hemd, die Beine übereinander geschlagen, den linken Ellenbogen auf die Sessellehne gestützt. Ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Lippen, aber wirklich nur leicht. Gediegen und würdevoll bis zum Anschlag. Es könnte das Werbefoto für die Armbanduhr sein, die an seinem Handgelenk hervorlugt. Oder für eine Bank, die sich den oberen Zehntausend zuwendet.

Lädt man das Plakatmotiv als Foto in der Google-Bildersuche hoch, um nach verwandten Fotos zu forschen, spuckt die Suchmaschine in der Tat zuoberst die Titelcover mehrerer Bücher aus, auf denen ebenfalls weitgehend kahlköpfige Männer "Kurzfrist-Strategien für Anleger", "Punktlandung beim Hausverkauf" und "100 Prozent mit Aktien" versprechen. Das passt – zum Bild, allerdings nicht zu Wegner.

Aber natürlich war die Botschaft klar: Vertrauen Sie diesem Mann, er ist angekommen im Leben, er weiß, was er tut. Anders gesagt: Hier sitzt er, Ihr neuer Regierende Bürgermeister – wenn Sie es denn wollen.

Der Kai Wegner im wahren Leben kam auf den letzten Metern vor der Wahl ganz anders daher, fast ein bisschen zweifelnd. Bei seinem Schlussplädoyer beim Kandidatencheck im rbb-Fernsehen wenige Tage vor der Wahl entschied er sich noch für unfreiwillig komische Rhetorik: "Ich bin Kai Wegner – aber jetzt entscheiden Sie!" Warum das Aber? Fast klang es so, als wollte er dem Erfolg doch nicht ganz trauen, der ihm aus allen Umfragen entgegenschlug. Das war durchaus erklärlich, denn lange Zeit sah es nicht nach einem Sieg für ihn aus. Noch im Dezember führten die Grünen – bis zur Silvesternacht mit ihren Krawallen und dem politischen Streit, der darauf folgte.

Wichtige Eigenschaft: Bierzelttauglichkeit

Von alldem ahnt Kai Wegner noch nichts, als er im März 2019 in seiner Partei nach der Macht greift: dem Parteivorsitz. "Mein Ziel ist es, die Berliner CDU wieder an die Spitze zu führen", kündigt er an und löst damit Monika Grütters von der Parteispitze ab, die nach der haushoch verlorenen Berliner Abgeordnetenhauswahl 2016 ans Ruder kam.

"Man sagt ja immer: Frauen bekommen immer dann eine Chance, wenn der Schaden, den die Männer angerichtet haben, besonders groß ist", hatte die ihre eigene Wahl etwas später einmal kommentiert. Mehr als eine Chance war es auch nicht, die die Partei ihr bot.

Grütters war als Kulturstaatsministerin zu stark im staatspolitischen Alltag gebunden, als dass sie die ganz basalen Bedürfnisse dieser Berliner CDU hätte befriedigen können: nämlich rund um die Uhr präsent sein und möglichst jeden Abend an Stammtischen die Seelen streicheln.

Eine Begabung, die Kai Wegner wiederum exzellent versteht: Bierzelttauglichkeit. Deshalb hielt er es auf dem Vizechefposten der Partei, auf dem er damals von Grütters positioniert wurde, auch nur unter Schmerzen aus. Wegner ist zwar gern Netzwerker im Hintergrund – aber eben auch einer, den es in die erste Reihe drängt.

"Ich bin davon überzeugt, dass ich mit meiner Erfahrung, aber vor allem auch mit meiner Leidenschaft dazu beitragen kann, der CDU ihren Stolz und ihre Zuversicht zurückzugeben", erklärt er damals bei seiner Kandidatur-Ankündigung für den Landesvorsitz – und fügt hinzu: "Daran werde ich arbeiten, sieben Tage die Woche, unermüdlich."

In der Berliner CDU lieben sie daueransprechbare Politik-Junkies wie ihn. Erst die Partei, dann die Familie – das ist das Erfolgsrezept, aus dem der heute 50-jährige gelernte Versicherungskaufmann nie ein Geheimnis gemacht hat. Er ist ein "Meine Frau hält mir den Rücken frei"-Politiker der alten Schule, zum zweiten Mal verheiratet, mit drei Kindern.

Wegner übt sich im Spagat

Und wo steht er politisch? Das ist immer schwerer zu sagen – und genau das ist letztlich auch ein Teil seines Erfolgs. Die Zeiten, in denen er auf Wahlplakaten mit "dynamisch, demokratisch, deutsch" für sich warb, sind jedenfalls lange vorbei.

Das war in den 1990ern. Seine ersten politischen Schritte macht er als eher rechter Haudrauf. Noch nicht mal volljährig, trat er 1989 in die CDU ein, war Landeschef von Schüler-Union und Junger Union, war Bezirksverordneter in Berlin-Spandau, saß und sitzt wieder im Abgeordnetenhaus und dazwischen 16 Jahre im Bundestag.

Besonders diese Phase hat ihn politisch geprägt. Sie hat ihn über den Tellerrand blicken lassen. Immer mehr wurde seitdem der Spagat zu seiner bevorzugten Turnübung: altgediente Parteifreunde nicht verschrecken und gleichzeitig neue gewinnen.

In der Verkehrspolitik etwa entdeckte die CDU unter seiner Führung das Fahrrad neu. "Wenn ich heute mit jungen Menschen spreche, haben noch einige einen Führerschein, aber es ist nicht mehr der große Wunsch, ein eigenes Auto zu haben", stellte Wegner vor den Parteifreunden 2020 fest und schickte sich an, die CDU vom Image der Autofahrer-Partei zu befreien. "Die Antworten, die wir vor zehn oder 20 Jahren gegeben haben, sind nicht mehr die richtigen Antworten, die wir heute geben sollten."

Jetzt, zwei Jahre später, entschied sich Wegner im Wahlkampf dann aber doch dafür, eher Auto-Lobbyist zu sein. "Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten" war auf den Wahlplakaten zu lesen. Zwar gilt das beschlossene, in Teilen durchaus progressive Verkehrskonzept der CDU weiterhin, aber der autofahrenden Wählerschaft zu sagen, dass der Straßenraum anders verteilt werden müsste, das kam Wegner dann doch immer seltener bis gar nicht über die Lippen.

Diskussion um Silvester-Krawalle nützlich

In der Innenpolitik war es zuletzt weniger ein Spagat als mehr eine Zwickmühle, der sich Wegner ausgesetzt sah. Nach den Krawallen in der Berliner Silvesternacht, fragte seine Fraktion beim Senat nach den Vornamen der Tatverdächtigen mit deutschem Pass. Es war nicht Wegners Idee, aber auch nach lautstarken Rassismusvorwürfen wollte er die Frage nicht zurückziehen lassen.

Trotzdem kamen von ihm daraufhin in der politischen Debatte betont mildere Töne. Es gehe nicht um Ausgrenzung, nicht um Stigmatisierung, sondern darum, "diese jungen Leute für unsere Gesellschaft zu gewinnen". Es seien "Berliner Jungs" in der dritten Generation mit einem deutschen Pass, die sich nicht dazugehörig fühlten. Von "Berliner Jungs" hatte auch seine grüne Konkurrentin Bettina Jarasch zuvor mehrfach gesprochen.

Bis zum Schluss musste Wegner dafür von SPD, Grünen, Linken und auch der FDP Kritik einstecken. Probleme müssten klar benannt werden, aber "Sag mir deinen Vornamen und ich sage dir, wer du bist" sei kein Konzept für eine fortschrittliche Partei, kritisierte zuletzt noch einmal die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey ihren Konkurrenten.

Doch so sehr feststeht, dass eine Antwort auf die Namens-Frage die Aufarbeitung der Silvestergeschehnisse keinen Deut vorangebracht hätte, so sehr gehört zur Wahrheit aber auch, dass diese Diskussion Wegner am Ende eher genutzt als geschadet hat.

Es dürften wohl auch die mitunter scharfen Äußerungen aus der Union – allen voran die von Bundesparteichef Friedrich Merz – gewesen sein, die in bestimmten Milieus der Berliner CDU den entscheidenden Schubs aufs Siegertreppchen gegeben haben. Ans Revers heften kann sich die Union dafür allenfalls, der AfD Stimmen abgenommen zu haben.

Doch der Preis, den er dafür womöglich zahlen muss, ist hoch: Für die Grünen hatte sich Wegner seit der Namens-Frage als Bündnispartner mehr oder weniger disqualifiziert. Zwar sind nun, nach der Wahl, die Karten neu gemischt, aber Wegner müsste doch zentrale Wahlkampf-Ansagen ("Wir bauen die Autobahn weiter!", "Ich schaffe das Anti-Diskriminierungsgesetz ab!") auf Eis legen, um bei den Grünen auch nur den Hauch einer Chance zu haben. Wahrscheinlicher geworden ist für Wegner der Weg ins Rote Rathaus nicht.

 

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Sendung: rbb24, 12.02.2023, 21:45 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

17 Kommentare

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  1. 17.
    Antwort auf [H. Haas] vom 13.02.2023 um 15:07

    Eine Koalition ohne inhaltliche Übereinstimmungen bringt doch niemandem was. Und wenn die CDU keine Koalitionspartner findet, ist sie halt nicht mehrheitsfähig. Auch das gehört zur Demokratie, egal wie man es findet.

  2. 16.

    Gratulation liebe Berliner*innen!
    Wenn ich mir die Stimmenverteilung in den Bezirken ansehe, es nicht ganz so penibel bewerte, stelle ich fest die Teilung in Ost/West scheint überwunden. Um den grünen Kern das schwarze Fruchtfleisch. Bis auf die kleinen Fehlstehlen in der Schale, trotzdem Chapeau. Undenkbar in meinem Heimatland.Ach so meine Meinung noch. Welche Regierung kann schon nach so kurzer Zeit im Amt seine Wahl bestätigen. Abgerechnet wird doch zum Schluss. Also Franziska wieder ans Steuer!

  3. 15.

    Das hoffe ich mit Ihnen gemeinsam vor allem zum Wohle der
    BERLINER BÜRGER.

  4. 13.

    Jedenfalls besser als eine Grüne aus Augsburg, die Berlin zu einem Dorf umfunktionieren und die Autos aus der Stadt verbannen will.

  5. 12.

    Sollte es so kommen wie Sie es prognostizieren wäre es aber

    NICHT MEHR VOLKES WILLE

  6. 11.

    Na jedenfalls ist es sehr viel MEHR als alle drei Parteien in der RGR-KOALITION jeweils für ihre Partei erreicht haben.

  7. 10.

    Nunja, jetzt ist ein Ergebnis da, was hoffentlich ohne irgendwelche Überraschungen im Nachgang daherkommt. Es ist ein Ergebnis was so Bestand hat. Ich bin zwar nicht glücklich, dass die Grünen schon wieder die Chance auf ein Regierungsamt haben, aber das ist ja Berliner Pech. Frau Giffey als neue Bürgermeisterin? Liebe SPD, geht lieber mit der CDU zum Wohle der Stadt zusammen. Frau Giffey kriegt eine Jarasch mit ihren Hyperneurosen nie in den Griff. Da gibt es dann wieder mehr Baustellen und was alles weggeräumt werden muss. Aber Das muss Berlin selbst entscheiden. Und wer nicht wählen war, darf sich über das Ergebnis nicht aufregen. Bei dieser ganzen aufgeheizten Stimmung im Vorfeld, der großen Unzufriedenheit der Berliner mit dem letzten Senat, ist die schwache Wahlbeteiligung sehr überraschend aber auch enttäuschend. Hoffentlich waren Wahlzettel ordentlich zugeordnet. Nicht dass Briefwahlen noch im Verteilzentrum liegen oder was weiß ich :-)

  8. 9.

    Ich selber, in der Mittelschicht hoffe das sich was Ändert, villt nur ein Wunschdenken aber man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Es geht um uns und unseren Kindern. Danke.

  9. 7.

    Es wird sich eine Koalition finden, die vom Ergebnis her die Mehrheit der Wähler repräsentiert. Da ist gar nichts undemokratisch dran.

  10. 6.

    Wer passt den Ihrer Meinung? Jamand Der seinen eigenen Willen gegen alles durchsetzt und dabei gut geschminkt ist?

  11. 4.

    Ein blasser Konservativer aus Spandau passt nicht als Bürgermeister zum heutigen Berlin.

  12. 3.

    Bis vor zwei Jahren noch ein Unbekannter. Aber seitdem er Menschen nach Vornamen sortieren will (siehe Silvester), genießt er in gewissen Kreisen anscheinend eine Popularität. Es ist schlimm, wenn Leute wegen Äußerlichkeiten, nur wegen ihres "ausländischen" Namens abgestempelt werden. Das scheint aber eine (zweifelhafte) Zielgruppe gefunden zu haben. Soll man dazu noch gratulieren?!

  13. 2.

    Äpfel mit Birnen verglichen. Es gab keine Linken, es gab keine AfD, es gab die Grünen so noch nicht. Die SPD hatte da übrigens 38,3% auf 18,5 jetzt.. was für ein Desaster.
    Demokratische Parteien werden sich undemokratisch über den Willen der Wähler hinwegsetzen?? Ich bin gespannt, aber ich befürchte es.

  14. 1.

    Also bei 28% von historischem Wahlsieg zu sprechen, scheint mir doch etwas übertrieben. 1981 hat die CDU 48% erhalten.

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