Kommentar | Chaos bei Berlin-Wahl - Einfach nur blamabel
Lange Wartschlangen und fehlende Stimmzettel haben den Wahlsonntag in Berlin geprägt. Das genaue Ausmaß ist noch nicht bekannt. Das darf sich nicht wiederholen, kommentiert Sabine Müller.
Es hat lange Tradition in Berlin, Kritik an zweifelhaften Zuständen in der Stadt einfach als Gemecker neidischer "Provinzler" abzutun. Weil die einfach nicht verstehen, dass eine lässige Weltstadt nicht immer wie ein Schweizer Uhrwerk funktionieren muss. Aber am Super-Wahltag ist Berlin seinem Ruf als "failed Stadt" absolut gerecht geworden. Was sich vor und in manchen Wahllokalen abspielte, war einfach nur blamabel.
Pleiten, Pech und Pannen
Der verstolperte Beginn in zwei Bezirken, wo die Feuerwehr wegen Problemen mit elektronischen Schließ-Anlagen anrücken musste - geschenkt, das kann passieren. Aber dass erstmal niemandem auffällt, dass ganze Stimmzettel-Pakete zwischen Bezirken vertauscht wurden, dass es zu wenige Stimmzettel in nicht nur einem, sondern einigen Wahllokalen gab, dass der Nachschub nicht klappte, weil offensichtlich nicht bedacht wurde, dass der Berlin-Marathon Wege deutlich verlängert oder sogar unmöglich macht? Das darf vor allem in dieser Häufung nicht passieren.
Sicher, es gab viele Wahlzettel auszufüllen und die Corona-Hygiene-Maßnahmen verlangsamten alles zusätzlich. Aber das alleine kann die teilweise ewig langen Schlangen vor den Wahllokalen nicht erklären. Es muss in der Planung irgendetwas schiefgelaufen sein, wenn es zu einer Situation kommt, wo manche Wahllokale noch lange nach 18 Uhr geöffnet bleiben mussten, während in den Medien längst Prognosen und Hochrechnungen verkündet wurden.
Wahlrecht-Ausübung sieht anders aus
Da war es schon erschreckend naiv, wenn Landeswahlleiterin Petra Michaelis am späten Sonntagabend im rbb sagte, sie gehe davon aus, dass die Menschen in den Schlangen "unbeeinflusst" ihre Stimme abgegeben hätten.
Und als ob das alles nicht genug wäre, gibt es auch Berichte, dass Wählerinnen und Wähler, die stundenlang angestanden hatten, später am Abend teilweise abgewiesen wurden, weil einfach keine Stimmzettel mehr nachkamen und das Wahllokal dicht machte. Regelhafte Wahlrecht-Ausübung sieht anders aus.
Landeswahlleiterin unter Druck
Gut, dass Landeswahlleiterin Michaelis eine Bestandsaufnahme angekündigt hat. Weniger gut, dass sie dabei von "vermeintlichen Fehlern und Pannen" sprach. Natürlich müssen alle Vorwürfe erst auf Richtigkeit überprüft werden, allerdings schimmerte da die Gefahr durch, dass die Sache kleingeredet wird.
Aber es muss jetzt gründlich aufgeklärt werden, wo die Fehler passierten – wofür die Landeswahlleitung verantwortlich ist und wofür die Bezirke. In deren Richtung wies Michaelis auf ihrer Pressekonferenz, berichtete unter anderem davon, sie habe die Bezirks-Bürgermeister:innen etwa zwei Wochen vor der Wahl angeschrieben und um personelle Aufstockung der Wahlämter gebeten. Eine Antwort habe sie aber nicht bekommen.
Berlin muss funktionieren
Ob die Pannen und Unregelmäßigkeiten so gravierend waren, dass die Wahlen rechtlich angefochten werden können und eventuell teilweise wiederholt werden müssen, ist noch unklar. Experten vertreten hier unterschiedliche Ansichten.
Aber selbst wenn es nicht so weit kommt, muss dieser verkorkste Wahltag Konsequenzen haben. Wie immer der neue Senat aussehen wird, eins muss er schnell und mit Nachdruck angehen: Berlin zu einer funktionierenden Stadt machen - an Super-Wahltagen und auch an jedem ganz normalen Tag.
Sendung: Abendschau, 27.09.2021, 19:30 Uhr