Junge Abgeordnete - Diese U-30-Politiker wollen das Berliner Parlament aufmischen
Sie sind keine 30 Jahre alt und ziehen ins neue Berliner Parlament ein. Dort wollen die jüngsten Abgeordneten der Stadt Politik für "ihre" Generation machen. Ein bisschen Zeit für Sport, Musik und Partys müsse aber auch sein, sagen sie. Von Birgit Raddatz
Der Regen hat gerade etwas nachgelassen, als Niklas Schenker in seinem Wahlkreis rund um den Klausenerplatz in Berlin-Charlottenburg anfängt, die Wahlplakate der Linkspartei abzuhängen. In der einen Hand hält er seinen Kaffeebecher, in der anderen eine Zange. Damit durchtrennt er die Kabelbinder der Poster, auf denen auch sein eigenes Gesicht zu sehen ist.
Dabei rufen ihm immer wieder Menschen zu, ob er es ins Abgeordnetenhaus geschafft habe: "Hey, Niklas, bist du drin? Ich hab dich nämlich gewählt." Die Antwort: "Ja, ich hab’s geschafft!"
"Mit Bart wirke ich älter"
Schenker ist 28 Jahre alt und damit das jüngste Mitglied der Linksfraktion im neuen Parlament. Mittlerweile hat sich der Politikwissenschaftler mit den strubbeligen Haaren, die früher mal blau waren, einen Bart zugelegt. "Damit wirke ich älter", sagt er und lacht. Sein Herzensthema ist die Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung größerer Immobilienunternehmen. Manchmal kann der gebürtige Berliner seinen Einzug ins Abgeordnetenhaus nicht glauben – und noch weniger, dass 57 Prozent der Berlinerinnen und Berliner "Ja" zum Volksentscheid gesagt haben.
"Berlin ist, was die Frage des Wohnens angeht, vielleicht die spannendste Stadt der Welt. Und hier Politik zu machen, fühlt sich wie ein großes Privileg an", sagt Schenker begeistert.
Die jüngste Abgeordnete ist 2000 geboren
Mit 28 Jahren gehört Niklas Schenker nicht mehr zu den Allerjüngsten im Abgeordnetenhaus. Doch nur bei Linke, Grüne und der SPD finden sich nun auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die unter 30 Jahre alt sind - wie immerhin fast ein Drittel der Berliner.
Das jüngste Mitglied, Klara Schedlich von den Grünen, ist im Jahr 2000 geboren. Sie will sich vor allem für Chancengleichheit in der Bildungspolitik stark machen, erzählt die Maschinenbau-Studentin rbb|24. "Ich glaube, dass man einfach noch mal einen anderen Draht zu Schülerinnen und Schülern hat, wenn man nicht in deren Elterngeneration, sondern vielleicht eher bei den Geschwistern zu verorten ist."
"Migrationsgeschichten und Rassismuserfahrungen gehören dazu"
Sie selbst erwarte von den anderen Politikern im Parlament trotz ihres noch jungen Alters ernstgenommen zu werden, sagt die Reinickendorferin selbstbewusst. Und da ist noch etwas: Der Frauenanteil liegt auch nach der jüngsten Wahl lediglich bei nur knapp 35 Prozent. Zudem haben im neuen Parlament nur fünf Prozent nach eigenen Angaben einen Migrationshintergrund - sie sind also nicht in Deutschland geboren.
Schedlichs Mutter und Großmutter stammen aus Kroatien, sie selbst studierte dort ein Jahr lang, Kroatisch bezeichnet die Grünen-Abgeordnete als ihre Muttersprache. "Es ist unsere Verantwortung als Parteien divers zu sein, um alle Menschen gut abzubilden. Dazu gehören natürlich Migrationsgeschichten, Rassismuserfahrungen, aber auch Menschen mit Behinderung, die zum Beispiel überhaupt nicht repräsentiert sind bei uns im Parlament."
Neue Schwerpunkte müssen gefunden werden
Die neuen Abgeordneten müssen sich nun erst einmal zurechtfinden, die Fraktionen ausloten, wer sich schwerpunktmäßig mit welchem Thema befassen soll. Bei der SPD wäre zum Beispiel nach dem Ausscheiden von Thomas Isenberg der gesundheitspolitische Sprecherjob vakant.
Tamara Lüdke ist über die Bezirksliste in Lichtenberg ins Parlament eingezogen. Die 30-Jährige will unter anderem Akzente zum Thema Frauengesundheit setzen. "Grundsätzlich will ich dazu arbeiten, aber ich überlege mir vorher gut, ob ich mehr abbeiße, als ich kauen kann", sagt sie. Lüdke sieht sich als klassische Jungsozialistin - und inhaltlich trenne sie von SPD-Spitzendkandidatin Franziska Giffey so manches . "Aber wir teilen die gleichen Werte", fügt Lüdke hinzu.
Privatleben soll nicht zu kurz kommen
Sich Berufspolitikerin zu nennen, fällt Lüdke noch sichtlich schwer. Sie habe sich, bevor sie kandidierte, schon Gedanken dazu gemacht, was der Vollzeitjob im Parlament auch für sie ganz persönlich bedeute, so die Lichtenbergerin, die in Dachau geboren wurde. Ihre Partnerschaft solle nicht darunter leiden, ebenso wenig wie die Freunde.
Darins sind sich Tamara Lüdke, Klara Schedlich und Niklas Schenker einig: Neben der Parlamentsarbeit soll auch noch Zeit für anderes bleiben. Schenker etwa möchte künftig wieder mehr Sport machen und in einer Punkband spielen, Schedlich will weiter studieren und Cello spielen und Lüdke zieht es am Wochenende ab und zu in die Berliner Clubs. Die Energie für all das scheinen sie zu haben.