Jarasch für Mietendeckel - Berliner Grüne wollen Wohnungsmarkt sozialer ausrichten
Weniger Autos, mehr öffentlicher Nahverkehr, dafür haben sich beim Landesparteitag der Berliner Grünen die Delegierten ausgesprochen. Auch wollen sie den Wohnungsmarkt sozialer gestalten. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch will etwa den Mietendeckel weiterentwickeln.
Die Berliner Grünen wollen den Wohnungsmarkt in der Stadt dauerhaft nach sozialen Kriterien ausrichten. Die Hälfte aller Wohnung soll künftig gemeinwohl- und nicht profitorientiert sein, dafür stimmten am Samstag auf dem Landesparteitag die Delegierten.
Das Wahlprogramm sieht die Zielzahl von 20.000 neuen Wohnungen jährlich vor, die laut Partei sozial und klimaverträglich gebaut werden sollen. Doch mit Neubau allein sei das Problem der Mietenexplosion nicht in den Griff zu bekommen, sagte die Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, Bettina Jarasch, am Abend im rbb: "Wir brauchen den Neubau für die wachsende Stadt und wir müssen die Mietenfrage, die soziale Frage im Bestand lösen - durch Mietenregulierung".
Als letztes Mittel sind für die Grünen auch Enteignungen denkbar. Abhängig gemacht werden soll das aber nicht von der Größe von Vermietern und Konzernen, sondern davon, wie sozial diese am Markt agieren.
Unterstützung für Enteignungs-Initiative
Die Delegierten stellten sich dennoch mit breiter Mehrheit hinter das Ziel des seit Februar laufenden entsprechenden Volksbegehrens "Deutsche Wohnen & Co. enteignen". Ein Bündnis von Mieterinitiativen will Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen "vergesellschaften".
Dem im Grundgesetz festgeschriebenen Leitsatz "Eigentum verpflichtet" müsse auch im Bereich Wohnen und Boden Geltung verschafft werden, heißt es im Grünen-Wahlprogramm. Zentral dabei sei, Mieter zu schützen und Spekulationen Einhalt zu gebieten. "Wir würden uns wünschen, dass die Umstände uns nicht zwingen, die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden, um den verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen zu können", so die Grünen. "Wenn Wohnungsunternehmen sich jedoch weigern, ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen, wird die öffentliche Hand, auch durch ein Volksbegehren gestützt, die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt mit diesem Schritt entschärfen."
Der Grünen-Beschluss offenbart einen Konflikt in dieser Frage innerhalb der rot-rot-grünen Koalition und könnte eine Belastung für mögliche Verhandlungen zur Fortsetzung des Bündnisses nach der Wahl sein. Die SPD ist strikt gegen Enteignungen. Die Linke ist hingegen dafür und unterstützt aktiv die Unterschriftensammlung.
Mietendeckel soll weiterentwickelt werden
Jarasch sprach sich zudem klar für den Mietendeckel aus, dieser sei mutig und richtig. Sie wolle den Deckel weiterentwickeln, wenn er ausläuft, betonte die Bürgermeisterkandidatin. Das ist eine klare Abgrenzung von Franziska Giffey, der SPD-Spitzenkandidatin, der Jarasch vorhält, einseitig auf den Wohnungsneubau zu setzen und den Klimaschutz dabei zu vergessen.
Jarasch bezog zudem eindeutig Stellung gegen den Weiterbau der Stadtautobahn. Statt über einen Weiterbau der A100 sollte über einen Rückbau geredet werden, sagte sie. Man brauche keine Schneise aus Beton, die dicht besiedelte Quartiere durchtrennt. Die A100 führt von Moabit über das Dreieck Funkturm bis zum Dreieck Neukölln. Von dort wird sie derzeit weitergebaut bis Treptow. Der Bau dieses 16. Abschnitts der Stadtautobahn wurde 2011 vom damaligen schwarz-roten Senat entschieden.
Jarasch: Innerstädtischen Raum nicht an Autobahn verschwenden
Kritik an Jaraschs Äußerung kam von Wirtschaftsvertretern. Die A100 sei die meistbefahrene Autobahn Deutschlands und lebenswichtig für den Wirtschaftsverkehr und die Versorgung von Millionen Menschen, teilten die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg am Samstag mit.
Ein Sprecher Jaraschs stellte am Samstag klar, dass sich Jarasch mit der Rückbau-Äußerung auf den 16. Abschnitt der A100 (Dreieck Neukölln-Treptower Park) bezog, der noch im Bau ist. In der "B.Z." sagte Jarasch: "Ich meine damit, dass Berlin mit der A100 vor vielen Jahrzehnten etwas begonnen hat, was im Jahr 2021 ganz klar ein Fehler ist. Innerstädtischer Raum ist heutzutage viel zu wertvoll, um ihn an eine Autobahn zu verschwenden." Im rbb sagte sie am Samstagabend: "Es ist völlig verrückt, in einer dicht besiedelten Stadt weiterhin so eine Betonschneise zu bauen."
Die Planungen für den 16. Abschnitt stammten noch aus dem Jahr 2008, so Jarasch, damals habe man noch nicht an die wachsende Stadt gedacht. Der Abschnitt solle in etwa drei Jahren fertiggestellt sein und ende dann in einer völlig ungelösten Situation etwa auf Höhe der Elsenbrücke. "Wir werden da eine riesige Stausituation haben", warnte sie.
Die Planungen für die Abschnitte 17 und 18 hatte Rot-Rot-Grün 2016 gestoppt. Der Weiterbau soll demnach nach dem Willen der Grünen ganz aus dem Bundesverkehrswegebau gestrichen werden.
Ab 2035 keine Verbrennerautos mehr in der Stadt
Ein halbes Jahr vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus haben die Grünen zudem ihren Plan für ein klimaneutrales Berlin beschlossen. Die Delegierten eines Online-Parteitages stimmten am Freitagabend für eine Null-Emissions-Zone (Zero Emission Zone): Ab 2030 sollen demzufolge innerhalb des S-Bahn-Rings keine Autos mit fossilen Antrieben mehr fahren, bis 2035 soll das Modell auf die ganze Stadt ausgeweitet werden.
Zudem sollen nach dem Willen der Öko-Partei bis 2025 alle landeseigenen Gebäude mit Solaranlagen ausgestattet sein und bis spätestens 2030 die letzten Kohlekraftwerke vom Netz gehen.
Keine Mehrheit für komplett autofreie Innenstadt
Die Punkte bilden einen Schwerpunkt des grünen Programms für die Wahl am 26. September. Keine Mehrheit fanden nach Angaben eines Parteisprechers Anträge, die Null-Emissions-Zone schon 2025 umzusetzen beziehungsweise die Innenstadt bis dahin komplett autofrei zu machen, also etwa auch Elektro-Autos zu verbannen. Stattdessen sollen nach dem Willen der Grünen überall in der Stadt autofreie Kieze entstehen und Anreize geschaffen werden, damit Menschen freiwillig auf ihr Auto zu verzichten.
Die Grünen wollen darüber hinaus Radverkehr, Bus und Bahn schnell ausbauen und vor allem die Außenbezirke besser anbinden. Der Tram-Ausbau soll dabei Vorrang haben, ein Ausbau der U-Bahn an Kriterien geknüpft werden wie ein stark steigendes Fahrgastaufkommen oder neue Umsteigemöglichkeiten. Eine Festlegung auf bestimmte U-Bahn-Linien lehnten die Delegierten nach Angaben des Parteisprechers ebenso ab wie einen Antrag auf grundsätzlichen Stopp des U-Bahn-Ausbaus.
Sendung: Inforadio, 20.03.2021, 16 Uhr