Interview | Bezirksbürgermeister Benn - "Bei den Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken ist nicht alles besonders logisch"
Ein großes Thema bei den Berliner Koalitionsverhandlungen ist eine Reform der Verwaltung. Der Pankower Bürgermeister Sören Benn (Linke) begrüßt, dass das Problem angegangen wird. Doch auch an anderer Stelle sieht er Handlungsbedarf.
rbb: Herr Benn, bei den Wahlpannen wurde wieder sichtbar, dass die Verantwortung für das Desaster zwischen Landeswahlleitung, Bezirken und Senat hin und her geschoben wurde. Warum passiert das immer wieder in Berlin?
Sören Benn: Die Zweistufigkeit, also die ungeteilte Verantwortung zwischen Senat und Bezirken, ist natürlich eine Herausforderung und eigentlich eine gute Idee. Aber wenn die nicht zu Ende gedacht, geplant und organisiert ist, sondern überall lose Enden sind, führt es natürlich immer wieder dazu, dass die Verantwortung auf zu vielen Schultern verteilt ist.
Am Ende ist es auf so vielen Schultern verteilt, dass sie irgendwann zwischen den Schultern durch diffundiert und niemand mehr so richtig haftbar und dingfest gemacht werden kann für bestimmte Fehlleistungen. Das ist ein ernsthaftes Problem, aber schon seit Jahrzehnten.
Sie sprechen sich für eine Verfassungsreform aus. Was sind die Kernpunkte, die Ihrer Meinung nach geändert werden müssten?
Wir haben ja sogenannte Richtlinienkompetenzen. Wenn jemand wie Klaus Wowereit sagt, schon zu seiner Zeit hätte er sich über X und Y geärgert, dann glaube ich ihm das. Aber er hat es ja damals auch nicht geschafft, wenn er Probleme wahrgenommen hat, sich gegenüber den anderen Senatsverwaltungen und der Verwaltung bis in die Bezirke hinein durchzusetzen.
Das hat damit etwas zu tun, dass auch ein Regierender Bürgermeister, aber zum Beispiel auch ein Bezirksbürgermeister, letztlich keine Durchgriffsrechte in die Tiefe der Verwaltung hat. Sondern wir haben ja sowohl in den Bezirken als auch in den Senatsverwaltungen so etwas wie Fach- und Ressourcenkompetenzen der einzelnen Bereiche.
Jeder Stadtrat hat seine eigene Fach- und Ressourcenkompetenz. Da kann ein Bezirksbürgermeister ihnen nicht wirklich reinregieren, sondern muss permanent Überzeugungsarbeit leisten. Das ist auch oft nicht erfolgreich.
Wir haben außerdem das Problem, dass bei den Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken nicht alles besonders logisch ist. Es ist zum Beispiel nicht logisch, warum die Schulverwaltung für die inneren Schulangelegenheiten, also für das, was in den Klassenräumen inhaltlich stattfindet, zuständig ist. Und die Bezirke für die Hausmeister, die Klassenräume und die Stühle. Das passt nicht zusammen. Das kann man so nicht machen.
In den Stadtstaaten, die zentralistisch organisiert sind, wie zum Beispiel Hamburg, scheint es deutlich besser zu laufen, zumindest bekommen sie ihre Wahlen ohne Probleme hin. Wäre das nicht ein Argument für eine Umorganisation in diese Richtung, also tatsächlich weniger Macht in den Bezirken?
Dass es in Hamburg klappt, hat mit Sicherheit nicht nur etwas mit der anderen Struktur zu tun, sondern auch damit, dass Hamburg diese harten Sparjahre, wie Berlin sie hatte, niemals hatte.
Heißt das, es würde schon helfen, wenn man einfach mehr Geld und mehr Personal reinsteckt?
Es ist, wie gesagt, nicht nur ein Strukturproblem, sondern es ist auch ein Personalproblem. Wir sind in Berlin immer noch massiv unterausgestattet nach den Sparjahren in den Berliner Bezirken. Da können sie reformieren, was sie wollen. Wenn sie nicht genug Personal für die Dienstleistungen an Bord haben, die die Bürgerinnen und Bürger in Anspruch nehmen möchten, dann nützt auch keine Strukturreform.
Das heißt, wir müssen uns angucken: Was sind eigentlich die Bedarfe? Wie viel Personal braucht man für bestimmte Dienstleistungen? Und nichtsdestotrotz brauchen wir trotzdem eine Beschleunigung der Verwaltungsabläufe.
Die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat angekündigt, dass sie ein Verfassungskonvent machen möchte. Geht es jetzt in die richtige Richtung?
Wie das heißt, ist mir völlig egal. Aber richtig ist - und das hatten wir ja damals auch schon gefordert: Man darf sozusagen die Denkgrenze nicht an einer Verfassung ausmachen. Wir haben uns in den letzten fünf Jahren immer mit der Forderung auseinandergesetzt: Alles, was ihr macht, muss unterhalb der Verfassungsänderung sein.
Es ist gut, wenn dieses Dogma jetzt aufgehoben ist und man frei denken und sich eine Struktur überlegen kann, die sozusagen an dieser Grenze nicht Halt macht, sondern wo nötig, dann eben auch die Verfassung ändert.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Bezirksbürgermeister Sören Benn führte Dörthe Nath, Inforadio.
Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: Inforadio, 22.10.2021, 07:05 Uhr