Kommentar | Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot - Verschwurbelte Nullaussagen
Nichts weniger als die "Zukunftshauptstadt Berlin" wollen SPD, Grüne und Linke erschaffen. Man hätte kaum eine hohlere - aber auch keine passendere Worthülse für diesen 152-Seiten-Koalitionsvertrag finden können, kommentiertThorsten Gabriel.
Auf den Gehalt von politischen Slogans soll man bekanntlich nicht allzu viel geben. Das gilt für Wahlplakate genauso wie für alle anderen politischen Publikationen. Aber musste der Titel des nun vorgestellten Koalitionspapiers von Rot-Grün-Rot denn nun wirklich so dünn sein: "Zukunftshauptstadt Berlin"? - Ach, du liebe Zeit!
Dass es auch anders geht, hat doch gerade erst das Ampel-Bündnis im Bund gezeigt. Dessen Koalitionsvereinbarung ist nicht nur über weite Strecken in verständlichem Deutsch gehalten, sondern trägt auch noch den wohlüberlegten, geschichtsbewussten Titel "Mehr Fortschritt wagen". Geht doch.
Und Berlin dagegen mal wieder: "Zukunftshauptstadt".
Natürlich geht’s in einem Koalitionsvertrag um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit, und natürlich ist Berlin Hauptstadt. Was für ein leeres Wortgebimmel. Andererseits: In gewisser Weise ist dieser Titel auch passend, denn die 152 Seiten, die SPD, Grüne und Linke da zusammengeschrieben haben, sind an vielen Stellen ein Sammelsurium an verschwurbelten Nullaussagen. Insofern gilt: Drin ist, was draufsteht.
Jetzt wird es "noch besser"
Doch was sollen Parteien auch schreiben, die schon fünf Jahre zusammen regiert haben und genau wissen, dass vieles nicht rund gelaufen ist? Die SPD ist sogar schon mehr als 30 Jahre an der Macht und das macht die Sache nicht einfacher. Da klang es fast schon wie Satire, als SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei der Vertragsvorstellung sagte, jetzt wolle man es gemeinsam "noch besser" machen.
Konsequenterweise wimmelt es im Koalitionsvertrag dann auch von Projekten, die "weiterentwickelt", "verbessert" oder "ausgebaut" werden sollen. Und wenn das nicht infrage kam, entschieden sich die Autor:innen für "prüfen" oder "evaluieren". Lustig bis absurd ist zum Beispiel auch, dass sich die neue Regierung in den ersten 100 Tagen konkrete Berichte über alle größeren, laufenden Wohnungsbauprojekte vorlegen lassen will. Na, habt ihr etwa den Überblick verloren?
Erschöpft, aber nicht glücklich
Natürlich ist so ein Werk immer ein Kompromiss. Und Kompromisse sollte man nicht grundsätzlich schlechtreden. Sie gehören zum Wesen einer Demokratie. Insofern ist es gut, wenn künftige Regierungspartner:innen intensiv miteinander ringen. Das Problem dabei ist nur: Gerungen haben SPD, Grüne und Linke vorrangig nicht um die besten Lösungen für die Stadt. Bei ihrem Ringen ging es über weite Strecken vor allem um Gesichtswahrung, darum, wer wo als Sieger oder Verlierer vom Platz geht. Entsprechend erschöpft sahen alle Beteiligten am Ende aus. Erschöpft, aber nicht glücklich.
Aber auch wenn sich dieser Koalitionsvertrag über weite Strecken wie ein uninspiriertes Weiter-so-nur-vielleicht-ein-bisschen-anders liest, könnte diese Koalition am Ende doch erfolgreicher dastehen als ihre noch amtierende Vorgängerausgabe, denn vieles, was R2G in den vergangenen Jahren angeschoben hat, wird jetzt erst Früchte tragen. Die Schulbauoffensive etwa hatte eine lange Anlaufphase. Verkehrsprojekte wie der Tramausbau sind angeschoben, stockten aber an vielen Stellen. Die in der vergangenen Legislatur bestellten und dringend benötigen neuen U-Bahn-Züge werden erst in dieser neuen Wahlperiode geliefert.
Formelkompromisse, Prüfaufträge und wenig Konkretes
Die entscheidende Frage wird allerdings sein, ob das Bündnis wirklich gelernt hat, dass das ständige Streiten auf offener Bühne nicht nur nicht hilfreich ist, sondern auch Schaden anrichtet, weil man damit das Vertrauen der Wähler:innen verspielt. Bei den Koalitionsverhandlungen haben sie es schon mal etwas besser hinbekommen als in den vergangenen fünf Jahren. Das lässt hoffen.
Gedämpft wird diese Hoffnung allerdings durch die zahlreichen Formelkompromisse und Prüfaufträge im Vertrag, die noch auf Konkretisierung harren. Fast 90 Mal heißt es im Text, man wolle etwas prüfen: den Umgang mit dem Enteigungs-Volksentscheid, den Ausbau des U-Bahn-Netzes oder auch den Umbau des Verfassungsschutzes.
Es mangelt nicht an Bewährungsproben für Rot-Grün-Rot. Vor allem die künftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey muss nun zeigen, dass sie ein Dreierbündnis besser moderieren kann als dies ihrem Amtsvorgänger Michael Müller gelungen ist.