Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken - Die Landesmutter schmiedet ihre rot-grün-rote Zweckgemeinschaft

Mo 29.11.21 | 18:32 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Archivbild: Die Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteien im Land Berlin Bettina Jarasch (l-r, Bündnis 90/ Die Grünen), Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Die Linke) beantworten die Fragen der Medienvertreter. (Quelle: dpa/A. Riedl)
Video: Abendschau | 29.11.2021 | B. Hermel | Bild: dpa/A. Riedl

Nach fünf Verhandlungswochen steht der Berliner Koalitionsvertrag. Darin werden zahlreiche Ziele formuliert, doch vieles bleibt vage. Bei der Ressortverteilung zeigt sich die neue Balance der Macht - mit einem klaren Schwerpunkt. Von Sebastian Schöbel

Werner Graf gab sich viel Mühe, der Koalitionsverkündung im Berliner Abgeordnetenhaus ein wenig Frohsinn zu verpassen. Im Laufe der Verhandlungen habe man drei Geburtstage gefeiert, berichtet der Co-Vorsitzende der Berliner Grünen, "viele Spaziergänge" habe man gemeinsam unternommen. "Einmal haben wir sogar 'Wer hat den Farbfilm vergessen?' gesungen." Er selbst sei nach den vielen Verhandlungsrunden "drei, vier Kilo" schwerer und sagte in Richtung SPD und Linke: "Danke für die gute Gastfreundschaft."

Es sollte allerdings der einzige Moment der Heiterkeit in dieser dann doch sehr nüchternen Präsentation der neuen Berliner Regierungskoalition bleiben. Das mag einerseits an den vielen Verhandlungsrunden bis spät in die Nacht gelegen haben, "was man an unseren Gesichtern immer noch ein bisschen erkennen kann", so Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer. Andererseits ließ sich nicht leugnen, dass sich hier wohl eher eine Zweckgemeinschaft ohne große Euphorie gefunden hatte. Nur so ließ sich auch die Kulisse für den Auftritt von SPD, Grünen und Linken erklären: Die Spitzen der drei Parteien hatten sich vor der wohl schmucklosesten Wand des Festsaals im Abgeordnetenhaus aufgebaut - mit der Ausgangstür stets im Rücken. "Es waren fünf intensive Wochen", begann dann auch SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh in bedächtigem Ton, man habe "hart gerungen" miteinander. Am Ende habe man eine "gute Basis" gefunden.

Ein Programm für alle mit allem

Rund 150 Seiten dick ist der rot-grün-rote Koalitionsvertrag geworden. Mit relativ vielen Floskeln werden darin die gemeinsamen Ziele vorgestellt: Eine bunte Sammlung von Vorhaben, in der sich möglichst viel von allen drei Wahlprogrammen wiederfinden sollte. Ganz im Sinne der allumfassenden Berlin-Beschreibung von SPD-Chefin Franziska Giffey: "Wir sind Großstadt, Hauptstadt, und trotzdem immer Kiez."

Giffey kann insgesamt zufrieden sein: Ihre SPD kann in den kommenden Jahren in ihren Kernthemen Wohnen, Sicherheit, Bildung und Verwaltung den Kurs des Senats maßgeblich bestimmen. Das gilt vor allem für das Stadtentwicklungsressort, wo Giffeys Wahlkampfversprechen, den Wohnungsneubau anzukurbeln, umgesetzt wird. Das schwierige Thema der Enteignung von Immobilienkonzernen konnte die SPD derweil auf die lange Bank schieben: Eine Expertenkommission soll zunächst die Umsetzung des Volksentscheids prüfen, erst im Jahr 2023 wird es in dieser Sache eine politische Entscheidung geben müssen. Dass künftig auch das Wirtschaftsressort bei der SPD liegt, bietet die Chance, sich mit dem zu erwartenden Aufschwung nach der Coronakrise schmücken zu können. Bei der Bildung verwaltet die SPD zwar weiter einen Bereich, der vor allem unter chronischem Fachkräftemangel leidet, kann sich aber voraussichtlich auch für die Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften feiern lassen - zumindest von den Lehrerinnen und Lehrern.

Grüne werden die Schatzmeister:innen der Stadt

Dennoch dämpfte Giffey auch die Erwartungen: "Wir werden nicht alle Wünsche sofort erfüllen können", sagte sie mit Blick auf die Finanzlage. Zwar soll der Haushalt des Landes Berlin bis 2023 auf 34 Milliarden anwachsen, um Investitionen zu ermöglichen. Doch gerade hier musste Wahlsiegerin Giffey die vielleicht größte Kröte schlucken. Denn das Finanzressort wird künftig von den Grünen geführt. Das sei "Ausdruck davon, dass wir Verantwortung übernehmen wollen für ganz Berlin, für alle Themen und alle Menschen dieser Stadt", kündigte Grünen-Chefin Bettina Jarasch selbstbewusst an. Bei allen Projekten komme es darauf an, die richtigen Prioritäten zu setzen. "Und priorisieren bedeutet, dass wir uns auf die dringlichsten Vorhaben konzentrieren, und uns dabei vor allem an der Umsetzbarkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre konzentrieren werden."

Ganz praktisch könnte das zum Beispiel im Verkehrsbereich bedeuten, dass schnell gebaute neue Radwege und Straßenbahnschienen Vorrang vor kostspieligen und langwierigen U-Bahn-Verlängerungen erhalten. Das Schlüsselressort für die Mobilitätswende, die Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt, haben sich die Grünen jedenfalls erneut sichern können. Hier wird auch maßgeblich geplant, wie viel Platz Autos in Zukunft noch in der Berliner Innenstadt bekommen sollen - ein Thema, bei dem sich Grüne und SPD zuletzt oft nicht ganz einig waren.

Harte Kompromisse für die Linken

Die größte Überzeugungsarbeit an der eigenen Basis für diesen Koalitionsvertrag müssen allerdings weder die Grünen noch die Sozialdemokraten leisten, sondern die Linken. Zwar bemühte sich Linken-Chefin Katina Schubert zu betonen, das Vertragswerk trage "auch eine linke Handschrift". Dennoch bleibt dem kleinsten Koalitionspartner auch das kleinste Stücke vom Kuchen: Klaus Lederer kann Senator für Kultur und Europa bleiben, Elke Breitenbach wird wohl erneut Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales. Dazu kommt erstmals überhaupt die Führung der Justizverwaltung. Hier kann sich die Partei für ihre Kernthemen Vielfalt, Anti-Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit einsetzen, Schubert selbst versprach gar eine "linke Rechtspolitik". Um später etwas ungelenk nachzuschieben: "Es geht darum, die Knäste noch schöner und besser zu machen."

Ihr wichtigstes Thema jedoch, die Wohn- und Mietenpolitik, mussten die Linken abtreten - ausgerechnet an die SPD, mit der sie hierbei die härtesten Auseinandersetzungen hatte. Aus Teilen der Parteibasis wird bereits die Ablehnung des Koalitionsvertrages angedroht, denn ein klares Bekenntnis zur Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" fehlt.

Insgesamt bleibt es ein Papier der Kompromisse, von denen die meisten nur vage umschrieben sind: Bei den großen politischen Leitlinien ist man sich zwar relativ einig, vor allem was den sozial-ökologischen Umbau der Stadt und die Investitionen in den öffentlichen Sektor angeht. Doch es bleiben zahlreiche Sollbruchstellen übrig, von der Verkehrs- über die Innen- bis zur Mietenpolitik.

Die Landesmutter hat "alle im Blick"

Welche Rolle Franziska Giffey als erste Regierende Bürgermeisterin in Berlin spielen will, ist nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages hingegen glasklar. Sie werde kein Fachressort übernehmen, kündigte die ehemalige Bezirksbürgermeisterin an, sondern sich um "Koordination, Kooperation, Steuerung und Präsenz" kümmern. Heißt wohl für die Praxis: Giffey wird viel Zeit haben, als omnipräsente Senatschefin ihre Regierungsmannschaft eng zu führen. "Unter dem Aspekt: Alle im Blick", so Giffey. Gemeint waren alle Berlinerinnen und Berliner - aber sicherlich auch alle Koalitionspartner.

Die wichtigsten Punkte im Berliner Koalitionsvertrag

  • Stadtentwicklung, Wohnen

  • Verkehr

  • Gesundheit und Pflege

  • Klima- und Umweltschutz

  • Bildung

  • Kultur

  • Sicherheit

  • Wirtschaft

  • Finanzen

Beitrag von Sebastian Schöbel

58 Kommentare

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  1. 58.

    Lächerlich....wissen Sie wieviel Steuern, incl. Kfz Steuer ich monatlich zahlen muss ?!
    Davon könnte ich mir einen Tiefgaragenplatz leisten.
    Was zahlen die Radler, für die ständig Luxus-Rädwege gebaut wèrden. Aktuelles Beispiel. ..Torstrasse ....parallel ist die Linienstrasse eine FAHRRADSTRASSE .
    Und nun noch einen schönen Abend

  2. 56.

    "Und abschließend noch eine Bemerkung, die Autofahrer finanzieren hier doch fast alles......"

    Eine leicht zu widerlegende Behauptung.

    "Was finanzieren eigentlich die Radler ?????"

    Satzzeichen sind keine Rudeltiere aber das ist leider nicht alles was man ihnen erklären muß.

  3. 55.

    Ihr Parkplatz wird von der Allgemeinheit finanziert oder dachten sie ihre Steuerausgaben reichen dafür aus?

  4. 54.

    Und abschließend noch eine Bemerkung, die Autofahrer finanzieren hier doch fast alles......
    Was finanzieren eigentlich die Radler ?????

  5. 53.

    Na kneifen Sie mal nicht,oder können Sie mir das nicht erklären. Los.....ich bin gespannt

  6. 52.

    Bitte nicht übertreiben, es ist nur gut das 11,5fache, siehe Kommentar 25 dazu! Seltsam bleibt, warum eigentlich nur Autofahrer mit solch Wucher zur Vorfinanzierung herangezogen werden .. Eine Bürger-Pauschale in Berlin träfe jeden, die Gebühr wäre für alle insgesamt geringer und sozial fair(Abgestuft)und ein klares Bekenntnis für den Lebensstandort Berlin, also die Bereitschaft, sich an den Maßnahmen auch zu beteiligen, anstelle einseitig zu fordern. Doof nur, wenn man sich dann vielleicht mal ne Latte um die Ecke kneifen muss, ein viel zu hoher Preis. Das Geschrei wäre einfach zu groß, es passt einfach nicht ins Konzept einer vernunftgesteuerten Fahrradfreundlichen Stadt, in der so mancher das Auto satt und es infolge schwarz-weiß Denkens zum Feindbild Nr.1 erklärt hat. Ganzheitlich wird das so nix, RGR!

  7. 51.

    Die Landesmutter sollte lieber um Ihre Familie kümmern als in der Politik was reissen zu wollen. Das wird so uns so nicht mit dem Koalitionsvertrag und der zukünftigen Politik.

  8. 50.

    "Inwiefern finanziert irgend jemand meinen Parkplatz, den ich mir alltäglich mühsam suchen muss."

    Muß ich ihnen das wirklich erklären? Fallen die vom Himmel? Soviel zu Unsinn, der nicht mehr zu überbieten ist.

  9. 49.

    Also das ist an Unsinn nicht mehr zu überbieten, was sie hier fabulieren. Inwiefern finanziert irgend jemand meinen Parkplatz, den ich mir alltäglich mühsam suchen muss. Genauso wenig wie ein Parkplatz, den ein Lastenfahrrad (2,50 lang und 65 cm brei )in Anspruch nimmt,finanziert wird.
    Und bevor Sie eine Schnappathmung bekommen, ja solche "Ufos" stehen hier rum....und das noch auf dem Gehweg.

  10. 48.
    Antwort auf [Bernd Stelter] vom 30.11.2021 um 14:58

    Sie hingegen haben sich nicht verändert. War "Hilde Benjamin" doch zu gewagt und werden sie uns heute noch mit ihren Zweitnicks beglücken?

    "zu Kreuze Krischende"... und schon wieder Chlaqure vergessen oder beherrschen sie inzwischen da wenigstens die richtige Schreibweise?

    Ich spendiere ihnen einen VHS Kurs Rechtschreibung! Schreib dich nicht ab, lern lesen und schreiben!

  11. 47.

    Foto ohne Worte, das sagt doch schon alles, dieser Senat wird nicht lange zusammen Arbeiten. Bin gespannt wann in Berlin Neuwahlen sind. Der erste Krach wird nicht lange dauern.

  12. 46.

    "So etwas können sich nur Politiker ausdenken, die jeden Tag zur Arbeit gefahren werden. "

    Oder Menschen die es für unzumutbar halten, dass die Mehrheit der Berliner, die kein Auto besitzt, ihren Parkplatz finanziert. Mit welcher Berechtigung auch?

    Freuen sie sich doch über die Geschenke, die sie jahrzehntelang erhalten haben.

  13. 45.

    Das Bild sagt mehr als tausend Worte...

  14. 44.

    Übrigens für alle die es noch nicht verstanden haben: demnächst kostet eine Anwohnervignette das 12-fache
    So etwas können sich nur Politiker ausdenken, die jeden Tag zur Arbeit gefahren werden.

  15. 43.

    Was habe ich ihnen denn unterstellt? Ein Lastenrad nimmt ca. ein Viertel des Platzes ein, den ein Kleinwagen braucht. Ein Kleinwagen, kein Elefantenrollschuh!

    Aber ehrlich gesagt wollte nur den Unsinn des Vergleichs aufzeigen, den sie hier aufgstellt haben.

  16. 42.

    Frau Jarasch wollte wohl heute im "Schönen Morgen" bei radioeins unbedingt beweisen, dass es bei ihr Clowns zum Frühstück gibt?

  17. 41.

    Und die Justiz geht an .... die Linken. In der Rigaer 94 knallen die Sektkorken.

  18. 40.

    Was unterstellen Sie mir,ich habe nicht behauptet, dass ein Auto nicht im öffentlichen Raum steht. Und ein Lastenfahrrad nimmt wohl mehr Platz als ein Viertel des Autos ein.
    Da war wohl ihr Zollstock defekt.

  19. 39.

    Na prima,hat sich Frau Giffey so richtig einlullern lassen.Es bleibt so wie es die letzten 5Jahre war.Chaos! Schönen dank für nix!!!

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